Hidden Talent | Jeon Jungkook

1.3 | THE THREAT

„TANTE YU IST... besonders... Sie ist... etwas aufgedreht... in mancherlei Hinsicht auch verrückt, aber so ziemlich die liebenswürdigste und lustigste Frau Mitte fünfzig, die ich kenne."
Jimin saß gemeinsam mit Danbi im Auto auf dem Weg zum Haus ihrer Eltern und er versuchte sie auf das vorzubereiten, was sich anhörte, wie eine weibliche, doppelt so alte Version vom Kanarienvogel.
„Oh, und... Sie ist gerade erst von ihrer Grand Canyon Expedition zurück, das heißt sie wird über nichts anderes reden", warnte er seine Schwester noch gerade rechtzeitig, da sie zwei Sekunden später in die Einfahrt des großen Grundstücks einbogen.
Der Fahrer hielt und beide Passagiere stiegen aus dem Wagen.

Direkt neben ihnen war eine alte Vespa geparkt. Skeptisch betrachtete Danbi das Gefährt, an dessen Lenker ein brauner Lederhelm mit Schutzbrille hing, denn sie war sich nicht sicher, wie dieses Teil die letzte TÜV-Püfung bestanden hatte. An den bereits rostenden Stellen und den vielen Kratzern und Schlammspuren konnte man mühelos erkennen, dass dieses Motorrad schon einiges mitgemacht hatte.
„Sie ist also schon da", brummte Jimin im Vorbeilaufen.
An der Haustür angekommen wünschte er ihr noch ein „Viel Glück", bevor er - gefolgt von Danbi - den Eingangsbereich betrat.

Der Geruch von frisch gebackenem Kuchen stieg ihr in die Nase, als sie sich die Schuhe und Jacken abstreiften.
Im Wohnzimmer erwarteten sie bereits Danbis Dad und Mi, Mis Eltern und ihre berüchtigte Schwester, Jimins Tante.

„Ahhhh, Tante Yu, lang nicht mehr gesehen! Wie geht's dir? Sind noch alle Gliedmaßen dran?" Mit ausgebreiteten Armen lief Jimin auf eine kleine Dame mit kurzen, wild vom Kopf abstehenden, blond gefärbten Locken und roten Stöckelschuhen zu.
„Aber aber, ich lasse mich doch nicht von irgendwelchen Pumas zerfleischen. Du weißt doch, dass deine Tante in China gegen Kung-Fu-Meister Li Xin gekämpft und gewonnen hat."
Beide umarmten sich kräftig.
„Wie könnte ich das vergessen? Das ist die beste Geschichte, die ich je gehört habe!"
Er lächelte angestrengt.
„Und die weitaus Unrealistischste...", fügte er so leise hinzu, dass Danbi sich anfangs fragte, ob sie sich verhört hatte.
Autsch, dachte sie. Jimin, das war ganz schön hart...
Sie wollte ihm gerade einen ungläubigen Blick zuwerfen (auch, wenn sie nicht glaubte, dass diese Anmerkung die selbstbewusste Dame sonderlich kränken könnte), da fielen ihr die Gesichter der anderen Familienmitglieder auf, die weit weniger geschockt wirkten, als sie. Es schien vielmehr so, als würden sie alle dasselbe denken wie Jimin.

„Was hast du gesagt, mein Junge? Seit dem Feuerwerks-Unfall vom letzten Silvester in Dubai höre ich so schlecht."
Oh, so war das also.
„Ich meinte, wie du den Meister mit einem Sidekick zu Boden geworfen hast, trotz zwei gebrochener Beine. Wirklich unglaublich."
„Du Schleimer, du."

Nachdem Danbi Mis Eltern lächelnd die Hand geschüttelt hatte, war sie an der Reihe den Lockenkopf zu begrüßen.
„Danbi, Süße! Lass dich ansehen, wie geht's dir? Ich hoffe du hältst es mit Jimin zusammen in einer Wohnung aus. Ich weiß er kann manchmal ganz schön unordentlich sein."
Die Frau tätschelte ihr aufmunternd den Rücken.
„Schön, sie kennenzulernen", erwiderte Danbi nur, da Jimin und sie sich im Punkt Ordnung in mancherlei Hinsicht sehr ähnelten.
„Oh, du kannst mich duzen, Schätzchen, wir sind ja jetzt Familie."
Sie nickte lächelnd und überspielte die Tatsache, dass das Tantchen sie trotz ihrer geringen Körpergröße ein wenig einschüchterte.

Schließlich kam sie beim Geburtstagskind an. „Alles Gute zum Geburtstag, Mi."
Mit einem Grinsen umarmte Danbi sie. Sie mochte Mi und hatte das Gefühl, dass die neue Frau ihres Vaters ihr mit der Zeit sehr ans Herz wachsen würde.
„Danke, dass du meinen Vater glücklich machst."
Mi drückte Danbi etwas fester an sich. „Danke, dass ihr hier seid", entgegnete sie und als die Frauen sich voneinander lösten, zog Danbis Vater seine Tochter schließlich als Letzter in seine Arme. Danbi hatte ihn lange nicht mehr so glücklich gesehen, wie er es jetzt war.