4 - Raubtier(e) und Beute

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Tove Lo - Talking Body (Nathan Callaghan Remix)

Inwiefern sollte ich seinen Wortlaut verdammt nochmal deuten?

Nun neigte ich den Kopf leicht zur Seite und sein Blick blieb kurz an meinen leichtgeöffneten Lippen hängen. Schnell fing er sich jedoch wieder, um scheinbar gespannt auf meine Antwort zu warten.

Scharf zog ich die Luft ein und ich spürte dieses... eigenartige Knistern zwischen uns ganz genau. Nur konnte ich das ebenso wenig deuten wie seine Worte.

Um ihn nicht länger wie ein seltenes Insekt aus dem Regenwald zu inspizieren, löste ich mich aus meinem eingefrorenen Zustand und entschied mich, auf dieses Spiel oder was auch immer er da trieb, erstmal einzugehen.

Einen Rückzieher konnte ich immer noch machen.

Charon also. Ein höchst seltener Name und irgendwie passte er zu ihm wie die Faust auf das Auge.

"Iva", entgegnete ich knapp und legte meinen Arm ebenfalls wie er auf der Theke ab. Der Abstand zwischen unseren Händen betrug vielleicht knappe fünf Zentimeter. Ein leicht amüsierter Ausdruck flackerte in seinen Augen auf und verschwand genauso schnell, wie er gekommen ist.

Anstatt mit irgendeiner Antwort darauf zu reagieren, zog er mit den Fingerspitzen den frisch gemixten Cocktail zu sich heran und nippte kurz am Strohhalm, bevor er das Glas zu mir herüberschob.

Erst jetzt fiel mir auf, dass dort zwei Strohhalme vor sich hindümpelten.

Seine Stimme riss mich jedoch aus meinen Beobachtungen. "Iva", wiederholte er sanft meinen Namen. Ich wollte gerade spöttisch Richtig sagen, da redete er auch schon weiter. "Iva, das Getränk ist offentsichtlich nicht vergiftet und ich habe auch nicht vor, dich irgendwo hin zu entführen."

Mir klappte beinahe die Kinnlade herunter.

Entweder konnte er doch Gedanken lesen oder ich habe gerade einen Anmachspruch entgegengeschmettert bekommen, der einfach nur frech war.

"Allerdings...", fuhr er weiter fort und seine vor Schalk blitzenden Augen suchten meine. "... wirkst du auf mich ziemlich gelangweilt, weswegen ich gerade überlege, ob du schon alles von diesem Club hier kennst. Wie oft warst du schon hier?"

Okay, das klang auch nicht gerade beruhigender. Aber offentsichtlich wollte er Smalltalk betreiben. Nur warum fühlte ich mich dann, als würde vor mir das Raubtier versuchen seine Beute einzuschätzen, in welche Falle es denn tappen würde?

Er Raubtier, ich Beute.

Höchst brenzlig - und doch leider spannend.

Ich wartete jedoch erstmal ab, bevor ich die Pferde unnötig früh scheu machte.

"Heute das erste Mal", antwortete ich ehrlich. "Und mir kommt es so vor, als wäre hier auch der einzige Bereich des Clubs - bis auf die Toiletten."

Er musterte mich einen Moment lang mit einem weiteren undeutbaren Gesichtsausdruck, dann stieß er ein leises Lachen aus, das ich trotz der Geräusche um mich herum hörte. Ein warmes Prickeln krabbelte sich einen Weg über meine Haut.

"Was ist denn daran so lustig?", hakte ich sofort nach.

Wieder dieses schelmische Grinsen. "Du hast ja keine Ahnung."

Bevor ich darauf eingehen konnte, tauchte neben ihm ein weiterer Unbekannter auf - der mir ebenfalls die Sprache verschlug.

Was ist denn das bitte für ein Club? Liefen hier Models undercover herum oder was? Oder wurden sie hier erst noch gecastet?

Jedenfalls schien der neue Unbekannte genauso trainiert zu sein und hatte in etwa die gleiche Größe wie Charon. Nur war er blond, in dem Licht war es beinahe Goldfarbend. Auch sein Gesicht glich dem Werk eines Bildhauers. Ein markantes Kinn, hohe Wangenknochen und etwas vollere Lippen. Er hob eine dunkle Augenbraue an, als er mich da so verdattert sitzen sah. Jedoch wandte er sich erstmal an Charon, statt an mich.

Die intensiven grünen Augen hatten allerdings eine genauso stechende Wirkung auf mich wie Charons hellblaue Diamanten, als ich mit ihnen kurzzeitig Bekanntschaft gemacht hatte.

Auch so ein dreister arroganter Schnösel, durchfuhr es mich.

Meine Augen blieben kurz an der scheinbar teuren Uhr an seinem rechten Handgelenk hängen und wanderten sein weißes, nicht zugeknöpftes Poloshirt und die helle, modisch zerschlissene Jeans ab.

Fehlte nur noch, dass draußen vor der Tür sein Sportwagen auf ihn wartete, dann wär dieses Outift für mich in meinem "Tumblr Denken" perfekt abgerundet.

"Hier bist du also", waren seine ersten Worte. Auch seine Stimme war tief, wies jedoch einen deutlichen Akzent heraus.

Kein Einheimischer?

"Mhm", machte Charon und ließ mich nicht aus den Augen.

Hatte er etwa Angst, dass ich die Biege machen würde? So wie er vorhin? Eigentlich wäre das gar keine schlechte Idee, um Menschen wie ihm mal eins auszuwischen.

Ich warf Charon ein wölfisches Grinsen zu, dass ich mindestens genauso drauf hatte wie er.

Überraschung blitzte in seinem Blick auf, dann vertiefte sich sein Lächeln noch mehr und ein Grübchen trat auf seiner rechten Wange hervor.

Ja, ich würde mal vorsichtig behaupten - mit ihm verstand ich mich scheinbar schon ohne Worte, was widerum versprach, noch interessanter zu werden.

Also würde ich schön an Ort und Stelle bleiben und nicht fliehen.

Jedenfalls noch nicht.

Schließlich löste Charon endlich seinen Blick von mir, worauf mir das Atmen etwas leichter fiel. "Das ist Iva", sagte er zu dem blonden Model.

"Und?", wiederholte der Blonde etwas unterkühlter als Charon.

Charon warf ihm einen seiner undeutbaren Blicke zu. Er schien wohl eine ganze Bandbreite davon zu besitzen. "Iva ist hier zum ersten Mal und scheint sich etwas zu langweilen. Ich habe sie gerade fragt, ob sie denn schon alles vom Club gesehen hat."

In einer Art klang es wie ein versteckter Vorwurf - nur konnte ich mir keinen Reim daraus machen, warum er ihm diesen versteckten Vorwurf machte.

Aber dieses Desinteresse, die der Unbekannte gerade eben noch an den Tag gelegt hatte, verflog und ein verschlagenes Lächeln kündigte sich an, als sich seine grünen Augen einen Weg zu mir suchten. "Ach. Tatsächlich", murmelte er vor sich hin. Anders als Charon, der wohl seine eigene Methode hatte sich vorzustellen, streckte mir der Blonde seine Hand entgegen.

Die beiden steckten offentsichtlich voller Überraschungen - ich war mir gar nicht mehr sicher, wie oft ich dieses Wort heute Abend schon in meinen Gedanken benutzt hatte.

Ich nahm seine Hand an. Sie war warm und etwas rau. Ich zuckte bei unserem Hautkontakt zusammen und hoffte, es hatte niemand von den beiden bemerkt. Es ist wie ein kurzer Stromschlag gewesen. Obwohl ich mir irgendwie denken konnte, er wäre eher der Mensch, der fester zupackte, drückte er meine Hand nur ganz vorsichtig. Diese Geste stand jedoch in einem völligen Gegensatz zu den nun geheimnisvoll funkelnden Augen und dem fortwährenden verruchten Lächeln. "Easton." Er ließ meine Hand endlich los und versuchte offenbar einen Blick mit Charon zu wechseln, doch dieser betrachtete mich weiterhin wachsam.

Easton schien sich daraus seine eigene Meinung zu machen, denn sein Blick glitt wieder herüber zu mir. "Also, Iva. Hast du zufällig Interesse, den gesamten Club kennenzulernen?"


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