Flashbacks

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Yaku PoV

„Bitte noch ein paar Bälle!", rief ich den Angreifern auf der anderen Seite des Netzes zu und wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Lass es gut sein, Yaku! Wir wissen doch schon längst, dass deine Annahmen gut sind", rief der Coach von der Seitenlinie aus.

Ich schüttelte den Kopf. „Bitte, Coach! Ich habe noch nicht das Gefühl, heute genug gegeben zu haben", rief ich und stützte meine Hände auf den Knien ab. Das Training der Nationalmannschaft, welches vor wenigen Tagen aufgenommen wurde, verlangte mir einiges ab. Ich versuchte meine Konzentration komplett auf den Ball zu fokussieren, sodass mein Gehirn keine Chance hatte, in irgendeiner Weise an Lev oder dem Gefühl seiner Lippen auf meinen erinnert zu werden.

Das funktionierte nur mäßig gut. Ich war noch kein Stammspieler des Teams und wenn weiterhin so unkonzentriert war, konnte ich den Platz für diese Saison vergessen. Die Angreifer schlugen noch für weitere zehn Minuten ihre Bälle, bis wir mit den Trainingsspielen begannen.

Als die Trainingseinheit abgepfiffen wurde, nahm ich mir meine Flasche und setzte mich in eine ruhigere Ecke, wo mich hoffentlich niemand stören würde. Meine Gedanken drehten sich unaufhörlich um das gesamte letzte Jahr und unfreiwillig blitzte vor meinem inneren Auge immer wieder das enttäuschte und hochrote Gesicht Levs auf, wie er mir stotternd sein Herz vor die Füße gelegt hatte.

Ich stand mit Kuroo, Kai und den ehemaligen Zweitklässlern des Nekoma Volleyball Teams zusammen und beglückwünschten Lev und die anderen Absolventen zu ihrem Abschluss. Zur Feier luden uns die anderen zu einem kleinen Barbecue ein und ich hatte schon ordentlich zugelangt, als Lev mich zur Seite nahm.

Schon seit ich den Riesen unter meine Fittiche genommen hatte, hatte ich eine Schwäche für ihn entwickelt. Die anfänglichen Neckereien brachten sowohl ihn als auch mich mehr und mehr in Verlegenheit und irgendwann war es klar: ich war meinem Kōhai mit Haut und Haaren verfallen. Hätte ich doch nur zu diesem Zeitpunkt gewusst, was diese Gefühle bedeuteten...

Er bestärkte mich in meinem Wunsch ins Ausland zu gehen und suchte mit mir gemeinsam nach möglichen Vereinen, sodass wir auch über meine Oberschulzeit hinaus einen intensiven Kontakt pflegten. Dass ich nun endlich einen passenden Verein in Russland gefunden hatte, war vor allem sein Verdienst gewesen.

Als er mich jetzt zur Seite nahm und mit mir in eine ruhigere Ecke verschwand klopfte mein Herz unangenehm schnell in meiner Brust. Ich fragte mich, was er mir ausgerechnet jetzt sagen wollte. Und vor allem, wieso er mich dazu extra zur Seite nahm.

Wir bogen in einen Gang der Schule, der um diese Uhrzeit vollkommen verlassen da lag. Lev drehte sich zu mir herum und lächelte leicht verlegen. „Ich hab mich total gefreut, dass ihr heute alle gekommen seid", fing er an und seine Wangen färbten sich ein wenig rosa. Ich grinste zurück und erwiderte: „Na aber hör mal! Dass du deinen Abschluss geschafft hast muss doch gebührend gefeiert werden."

Er kratzte sich nervös an seinem Hinterkopf und schaute auf seine Füße. „Es ist nur... ich... also... die letzten Monate mit dir haben wirklich Spaß gemacht... also ich meine...", er schluckte und unterbrach sich. Dann sprach er weiter, stotterte jedoch genauso nervös wie vorher: „Ich weiß... du wirst bald weg sein... und du weißt auch noch nicht wie lange du dort sein wirst... aber... also ich wollte nicht, dass du gehst ohne, dass ich es dir gesagt habe."

Ich hob eine Augenbraue und in etwas panischer Vorahnung fragte ich: „Ohne, dass du mir was gesagt hast?" Ich hatte das Gefühl, mein Herz würde mir gleich aus der Brust springen, so schnell klopfte es gegen meinen Rippenbogen.

Levs Wangen wurden wenn möglich noch dunkler und er hielt seinen Blick weiterhin gesenkt. Er zog die Schultern nach oben, fast so als würde er sich vor einem üblichen Tritt von mir wappnen. Dann holte er tief Luft. „Yaku Morisuke. Ich... ich glaube, ich habe mich... in dich... also... verliebt", sagte er so schnell, dass ich es fast gar nicht verstanden hätte. Und doch brannte sich jedes Wort einzeln in mein Herz ein, fast so, als ob ich es in Slow Motion hören würde.

Es war still zwischen uns. Sehr lang. Bis ich irgendwann leise fragte: „Was?" Ich hatte das Gefühl, plötzlich kein Japanisch mehr zu verstehen. Wieso... warum... Lev... in mich verliebt? Aber... er... und ich... also... das kann doch nicht... und wenn doch? Aber das bedeutete doch... und ich selber... könnte das vielleicht...

Lev hob ein wenig schüchtern den Blick. Sein Gesicht brannte mittlerweile. Meine eigenen Gedanken rasten... wie zur Hölle konnte das denn passieren? Ich meine... ja, weder er noch ich hatten uns sonderlich groß für Mädchen interessiert. Und dennoch dachte ich immer, es stünde außer Frage, dass ich irgendwann mal eine Frau heiraten und Kinder bekommen würde.

‚Das stimmt so nicht ganz', flüsterte eine leise Stimme ganz weit hinten in meinem Kopf. ‚Was ist mit den ganzen Gefühlen, die du in den letzten Monaten in seiner Gegenwart nicht einordnen konntest? Nur weil du sie ignoriert hast, sind sie nicht automatisch wieder verschwunden.' Ich musste schlucken und schaute ihn an. Und mein Herz tat bei seinem Anblick einen kleinen Hüpfer.

„Ich mag dich, Yaku... also wirklich sehr...", stotterte er nun weiter und ich konnte ihn nur weiter perplex anschauen. „Ja aber... ich bin kein Mädchen", platzte es aus mir heraus und jetzt war es an Lev verwirrt dreinzuschauen. „Und? Das hat doch nichts miteinander zu tun", antwortete er nur achselzuckend und ich spürte eine innerliche Panik in mir aufkochen.

Diese plötzliche Erkenntnis brachte das empfindliche Gleichgewicht unserer bisherigen Beziehung ganz schön ins wanken und ich hatte das Gefühl, in mir würde plötzlich ein Kurzschluss alle rationalen Gedanken über eventuelle Möglichkeiten auslöschen. Ich lachte nur unsicher auf und sagte: „Jetzt mal ehrlich, Lev. Das meinst du doch nicht ernst, oder? Ich meine... also ja, wir hatten wirklich eine schöne Zeit. Aber sieh mal: ich gehe in wenigen Wochen nach Russland und hab keine Ahnung wann wir uns wiedersehen werden. Also... ich glaube es ist wäre einfach das beste, wenn du das ganz schnell wieder vergisst ja? Lass uns das jetzt nicht so kaputt machen."

Ich wusste in diesem Moment, dass ich einen riesigen Fehler gemacht hatte. Lev sah unglaublich verletzt und traurig aus, als er ein falsches Grinsen aufsetzte und sagte: „Jaah du hast wohl recht, da hab ich mich wohl in etwas reingesteigert." Dann drehte er sich um und schlurfte mit hängenden Schultern davon. Ich selber atmete tief durch sobald er um die Ecke gebogen war und griff mir an die schmerzende Brust. Mir wurde noch im selben Moment klar, dass Lev mir womöglich direkt aus der Seele gesprochen hatte und er sich seiner Gefühle einfach viel früher bewusst geworden war als ich...

Als ich jedoch zurück zur Party kam, war Lev verschwunden. Und ich konnte ihn bis zum Tag meiner Abreise nach Russland nicht mehr erreichen.

„Yaku!" Ich wurde aus den Tiefen meiner Gedanken gerissen und schaute nach oben. Ich musste kurz den Kopf schütteln um zu erkennen, dass ich nicht mehr in meiner alten Schule, sondern in der Sporthalle des Nationalteams war. Ich richtete mich auf und fasste zeitgleich einen Entschluss. Diesmal würde ich um Lev kämpfen. Diesmal rannte ich nicht vor meinen Gefühlen davon.

Stay with me || Lev x YakuWhere stories live. Discover now