Chrysanthemen

344 37 8
                                    

Lev PoV

"Lev, hebst du bitte ein wenig die Arme? Ja, genau so", sagte die Stylistin zu mir und ich tat, wie gehießen. Ich hatte wirklich Mühe, meine Gedanken bei der Anprobe zu behalten. Es war nun eine Woche her, dass Yaku vollkommen überstürzt aus meinem Hotelzimmer verschwunden war und ich habe auch seitdem nichts mehr von ihm gehört.

Eigentlich sollte es gut so sein. Seitdem er plötzlich wieder vor mir stand klopfte mein Herz unangenehm schnell in meiner Brust und ich spürte seine Lippen auf meinen eigenen, als ob sie sich sein Gefühl ganz genau gemerkt hätten. Genauso wie jetzt...

"Lev, bitte erst die Arme sinken lassen, wenn ich es sage, ja?", sagte die Stylistin etwas ungehalten und ich spannte meinen Körper wieder an. Verdammt, wenn ich mich weiterhin so mitziehen ließ, riskierte ich nicht nur ein weiteres gebrochenes Herz sondern auch noch meinen Job.

Ich schaffte es meine Arme weitere zehn Minuten oben zu halten, als Mika an die Tür klopfte. "Lev? Ähm, sag mir bitte nicht, dass du heute Geburtstag hast und ich ihn mir falsch eingetragen habe", fragte sie und ich staunte nicht schlecht, als sie mit einem riesigen Blumenstrauß mit weißen Chrysanthemen durch die Tür trat.

"Nein... ich habe erst in einem Monat Geburtstag. Warte, der soll für mich sein?", sagte ich und legte den Kopf schief. Sie nickte daraufhin und zog eine kleine Karte heraus. "'Für den weißköpfigen Riesen Lev' steht hier", las sie vor und ich spürte, wie meine Wangen rosa anliefen.

"Wahrscheinlich hat sich hier jemand einen Scherz auf Kosten deiner Größe erlaubt. Ich werde sie entsorgen, ja?", murmelte sie und drehte sich schon wieder um, doch ich tat, ungeachtet der Designerin einen Schritt nach vorn. "Nein, warte", rief ich schnell und ignorierte den bösen Blick, den die Frau hinter mir zuwarf.

"Ich... ich weiß von wem das kommt... bitte lass sie einfach da liegen, ja?", sagte ich und lächelte ein wenig verträumt. Die Blumen waren wirklich schön. 'Oh man, Yaku', schoss es mir durch den Kopf und ich schüttelte kurz den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen. Dann drehte ich mich freudig grinsend herum und stellte mich wieder an Ort und Stelle.

"Wenn du noch einmal so plötzlich losrennst, hast du das nächste Mal eine Nadel in deinem Arm", schimpfte die Stylistin und ich verbeugte mich entschuldigend. Doch das Grinsen verschwand nicht von meinem Gesicht. Mika schaute mich einen Moment warnend an, doch dann zuckte sie mit den Schultern, holte eine Vase aus der kleinen angrenzenden Teeküche und stellte die Blumen ordentlich neben meine Sachen, sodass ich sie die ganze Zeit sehen konnte.

Als die Dame endlich fertig war, hatte sich der Himmel draußen schon längst verdunkelt und ein leichter Regen prasselte gegen die Scheiben. Ich würde wohl ein Taxi nehmen müssen. Ich kreiste meine Schultern etwas und ging dann zu meinen Sachen, um den Strauß erneut zu betrachten. Ich nahm vorsichtig die Karte aus dem Bouquet und lächelte verträumt. 

Ich wollte die Karte gerade wieder zurück stecken, als ich sah, dass auch die Rückseite bedruckt war. Verdutzt drehte ich sie um und mir stockte plötzlich der Atem. Darauf stand ein Datum, eine Uhrzeit und eine Adresse. Mehr nicht. Mein Herz fing plötzlich laut an zu klopfen und ich wühlte in meiner Tasche nach meinem Handy. 

Das Datum... war heute. Die Uhrzeit lag schon eine halbe Stunde in der Vergangenheit und die Adresse... war hier in der Nähe. Vielleicht zehn Minuten zu Fuß, fünf Minuten, wenn ich rannte. Shit.

Wieso legte dieser Idiot einfach eine Uhrzeit fest, ohne zu wissen, ob ich Zeit hatte? Ich fluchte, packte meine Sachen in aller Hast zusammen und schulterte meine Tasche. Mir blieb nichts anderes übrig, als auch den großen Strauß mitzunehmen, denn Mika hatte schon Feierabend gemacht und so konnte ich ihn ihr nicht mehr aufdrücken. 

Ich verabschiedete mich eilig von der Stylistin, flog fast das Treppenhaus hinab und stürzte durch die Eingangstür nach draußen auf die belebte und nasse Straße. Ich schaute auf mein Handy, drehte mich in die Richtung, in die ich musste und rannte los, so gut es mit meinen voll gepackten Armen ging. 

Verdammt... wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass er bei diesem Wetter warten würde? Wir sind das letzte Mal nicht unbedingt gut auseinander gegangen und eigentlich wollte ich mich direkt wieder bei ihm melden, als wir von diesem nervigen Abendessen wieder ins Hotel zurück gekehrt sind. Doch irgendetwas in mir hielt mich zurück. Yaku sollte mir beweisen, dass es ihm ernst war.

Ich fluchte erneut. Jetzt wollte er es mir beweisen und legte sich dabei selbst Steine in den Weg. Der Regen hatte bald meine Kleidung durchnässt und lief mir unangenehm den Nacken hinunter und ich spürte, wie auch langsam die Kälte in meine Glieder kroch. Verdammt.

Ich bog um die Ecke und schaute nochmal auf die Adresse. Ich stand vor einem großen Bürokomplex, der jedoch nicht wirklich einladend aussah. Links und rechts erstreckten sich weitere Hochhäuser und Hotels, doch ich konnte Yaku nirgends ausmachen. 

'Wie ich dachte', schoss es mir durch den Kopf. Yaku war wieder verschwunden, sobald klar war, dass ich nicht auftauchen würde. Ich war komplett außer Atem und hätte vor Wut und Enttäuschung am liebsten den nächstbesten Mülleimer getreten, als eine Stimme hinter mir "Lev?", rief. 

Ich drehte mich um und sah einen vollkommen durchfrorenen Yaku aus einem Park auf mich zu laufen. Er trug zwar einen Schirm, aber die Hände um den Griff waren schon blau angelaufen und seine Nasenspitze glänzte gefährlich rot. Ich stürzte auf ihn zu und nahm seine Hände in meine Hand. 

"Yaku! Deine Finger sind eiskalt", rief ich besorgt und nahm sie an meinen Mund um sie ein wenig mit warmer Luft zu versorgen. Yaku ignorierte meinen Einwand und schaute zu mir auf. "Du bist gekommen", murmelte er ungläubig und sein Gesicht strahlte vor Erleichterung. "Ich dachte schon, es wäre alles vorbei. Ich dachte ich hätte alles versaut. Ich dachte sogar, Alisa hätte mich angelogen und die Karte wäre niemals bei dir angekommen. Aber du bist hier", sagte er und wankte ein wenig nach vorn. 

"Yaku", rief ich wieder besorgt und fing ihn auf. Ich legte eine Hand an sein kaltes Gesicht und er schmiegte sich sofort an meine warmen Finger, fast so, wie ein kleines Kätzchen. "Natürlich bin ich hier! Wie hätte ich auch nicht kommen können? Aber das ist jetzt egal, wir müssen dich jetzt erst einmal ins Warme bringen!" Ich schaute mich um. Die Hotels hier sahen hochpreisig aus, aber für Yaku würde ich gerade all mein Geld hergeben, nur um zu verhindern, dass er noch ernsthaft krank wurde. 

Doch bevor ich uns in die Richtung bugsieren konnte, zupfte Yaku an meiner Jacke und sagte leise: "Meine Wohnung ist hier ganz in der Nähe." Und er deutete auf den dunklen Park, aus dem er zuvor gelaufen kam. "Dahinter ist sie gleich", fügte er an. Ich nickte bestätigend und machte mich auf den Weg, in einem Arm immer noch den riesigen Strauß Chrysanthemen und in meinem anderen der geschwächte Yaku. 

Stay with me || Lev x YakuWhere stories live. Discover now