1. Kapitel

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Gedankenverloren blickte ich aus dem Fenster. Auf den gepflegten Rasenflächen vor Highclere Castle spielten die Kinder ausgelassen Fangen. Die langen Haare der Mädchen wehten im Wind wie Fahnen hinter ihnen her.

Wenn ich die Welt so aus dem Fenster betrachtete, hatte es den Anschein als hätte sich in den letzten 100 Jahren nichts verändert. Doch es hatte sich alles verändert, die ganze Welt, die Menschen und die Gesellschaft. Auch Highclere das seit über 80 Jahren mein Zuhause ist, hat sich vollkommen verwandelt.
Die Kinder die nun auf dem Rasen vor dem Schloss spielen sind nicht mehr die Kinder des Lords der einst hier lebte, sondern meine Urenkel.

"Clara, bist du so weit" fragte eine Stimme hinter mir

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"Clara, bist du so weit" fragte eine Stimme hinter mir. Langsam drehte ich mich zur Tür. Meine Knochen und Gelenke waren in den letzten Jahren schrecklich alt und müde geworden. Sodass sie bei jeder noch so kleinen Bewegung schmerzten. "Ja bin ich" antwortete ich und erhob mich mühsam.
Meine Tochter Emma reichte mir meinen Stock. Anfangs habe ich mich sehr dafür geschämt, dass ich alt wurde. Doch mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden, dass ich nicht mehr die Stolze Lady Bentley war.
Gemächlich schritten wir durch die vielen, wunderschönen Korridore mit den edlen Tapeten und Parkettböden. Es war Mittagessenszeit und in wenigen Minuten würden die Kinder ins Haus kommen. Dann wäre es mit der Stille fürs erste vorbei.

In all den Jahren die ich hier im Haus verbracht habe, wurde nie in einem anderen Speisesaal als diesem gegessen. Es war ein pompöser und sehr geräumiger Saal. Normalerweise aßen weniger Leute in diesem Saal, als an diesen Tagen. Denn die Familie war aus allen Teilen Englands angereist um meinen 100. Geburtstag zu feiern. Eigentlich war mir dieser ganze Aufwand zu viel. Ich hätte viel lieber eine kleinere Feier gehabt. Denn ich wusste nicht, ob ich so eine feierei auf meine alten Tage noch verkraftete.

Bisher waren nur die näheren Verwandten angereist. Meine Tochter und meine beiden Söhne, mit Ehemann und Ehefrau, deren Kindern und den Urenkeln.

Der Speisesaal war mit geschmackvollen Blumengestecken dekoriert und der Tisch war mit dem Besten Porzellan gedeckt. Es sah beinahe aus wie es vor 80 Jahren ausgesehen hatte. Wenn man von den neuen Lampen absah.
Ich hatte gehört dass das Essen in der neuen Zeit anders ablief als zu meiner Zeit. Doch hier im Haus wurde es so gehalten, wie schon immer. Die Diener servierten das Essen auf die gewohnte Weise. Und trugen die selben schwarz, weißen Anzüge wie immer. Beim Essen ging es weder laut noch wild zu. Man sprach gesittet über den neusten Tratsch aus der Gegend. Selbst die Kinder waren an die strengen Tischsitten gewöhnt.
Schon seit längerem war es mir zu anstrengend den Gesprächen zu folgen, deshalb nickte ich hier und da zustimmend wenn alle anderen zustimmten.

Nach dem Essen war ich froh als ich endlich wieder in meine privaten Gemächer zurück kehren konnte.

Ich saß wieder in Gedanken versunken auf meinem Lieblingsplatz am Fenster. Und wieder klopfte es an der Tür. "Darf ich herein kommen?" Es war die Stimme meiner Lieblingsenkelin Charlotte. "Natürlich darfst du meine Liebe" antwortete ich.
Charlotte ließ sich auf den Sessel, der neben meinem stand sinken.

Eine Weile blickten wir gemeinsam auf den wunderschönen Park. Mit seinen alten, knorrigen Bäumen, den Blumenbeten, Rasenflächen und kleinen wundervollen, versteckten Plätzen.

"Wie geht es dir Großmama" fragte sie plötzlich ohne den Blick vom Fenster abzuwenden. Ich seufzte, "das Alter beginnt langsam sich bemerkbar zu machen..." Sie nickte, offenbar wusste sie nicht was sie sagen sollte. Ich kann mich gut erinnern, dass ich darauf in ihrem Alter auch nichts zu sagen gewusst hatte. Charlotte war gerade einmal 16 Jahre alt. Sie war klug, freundlich und wunderschön. Mit ihren langen roten Haaren, dem engelsgleichen Gesicht und der schlanken Figur.

"Ich wollte dich schon lange etwas fragen" sagte sie nach einer Pause in der Schweigen herrschte. Plötzlich brach sie ab, als hätte sie sich eines besseren besonnen. "Was wolltest du Fragen, Charlotte?" "Ich weiß nicht ob ich das darf, weil es eine sehr persönliche Frage ist. Aber ich wollte fragen, ob du mir aus deinem Leben erzählen kannst..." Ich wendete den Blick vom Fenster ab und sah ihr direkt in die grauen Augen. Dann nickte ich, "wovon soll ich dir denn erzählen?" Charlotte sah mich an und sagte: "wenn du möchtest kannst du mir von allem erzählen!" Ich sah sie ernst an und seufzte abermals, "willst du wirklich alles hören? Von Armut, Elend, Liebe, Leidenschaft, Eifersucht, Krieg und Veränderungen?" Ohne zu zögern antwortete sie: "Ja, Das will ich!"

Lady Bentley von Highclere Castle Teil IWhere stories live. Discover now