33.Whiskeyflasche

88 4 14
                                    

Allison

Ich lief geradewegs auf sein Büro zu.
Drei Tage zu spät.
Ich weiß nicht, was er sagen wird. Ist er wütend? Vielleicht möchte er mir nur noch einmal klarmachen, dass die Situation sich nicht wiederholen darf.
Oder er ist wirklich sauer. Ich bin nicht zu seinem Unterricht erschienen und langsam komme ich ins Zweifeln, ob ich ihn überhaupt noch wirklich als meinen Lehrer betrachte.
Er ist für mich Severus Snape.
Und ich weiß, dass das falsch ist.

Als ich anklopfte, überkam mich ein mulmiges Gefühl. Vielleicht sollte ich doch umdrehen.
Die Entscheidung wurde mir kurze Zeit später abgenommen. Die Tür sprang bereits auf.
Erst konnte ich ihn nicht entdecken, da er nicht an seinem Schreibtisch saß.
Er stand oben am Geländer und schaute überrascht zu mir hinab.
„Allison? Was machst du denn hier?", er klang unvorbereitet und war sichtlich verwirrt.

Ich stieg die Stufen nach oben, da ich Dumbledore's Gemälde ausweichen wollte.
„Ich weiß, dass ich viel zu spät komme."
Und da ging ihm ein Licht auf. Er schaute mich unglaubwürdig an.
„Und da kommst du erst nach drei Tagen? Ich habe mir Sorgen gemacht.", enttäuscht wendete er sich nun komplett zu mir um.
Irgendetwas war anders in seinem Gesicht.
Das merkte ich sofort.
Aber was...

Alkohol.
Er hat getrunken.
Und es wirkt, als wäre es nicht gerade wenig gewesen. Sonst würde er mich nicht so ansehen, wie er es in diesem Moment tat.
Er blickte mich dieses Mal nicht durch seine altbekannte Maske an.
„Sie haben sich Sorgen gemacht?", fragte ich vorsichtig nach.

Er schluckte.
„Ja. Natürlich habe ich das, Allison. In letzter Zeit mache ich mir ständig Sorgen um dich."
Das war ehrlich. Und hart zu gleich.
Ich möchte nicht, dass er sich wegen mir Sorgen macht. Er hat genug zutun. Muss über genug Dinge nachdenken..
„Das tut mir leid.", seufzte ich bedauernd.

Sollte ich lieber gehen?
Vielleicht wäre es besser, wenn er wirklich, wie ich vermute, nicht zu 100% bei sich ist.
Doch irgendetwas veranlasst mich, zu bleiben.
„Ist schon in Ordnung. Aber achte darauf, dass es sich nicht wiederholt, denn dann muss ich eingreifen und das möchte ich wirklich ungern.", er klang sachlicher, als ich es erwartet hatte.
Ich nickte abwesend.
Warum hatte er wohl getrunken?
Ich kann mich noch gut genug an seinen Wutausbruch erinnern, der mittlerweile Monate her ist. Es kommt mir plötzlich so vor, als wäre er gestern gewesen. Dabei bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen.

Ich wusste, wie betrunkene Männer ticken konnten. Das hatte ich von meinem Pflegevater gelernt und deutlich zu spüren bekommen.
Aber Severus Snape war nicht diese Art Mann.
Wenn ich ihn beschreiben müsste, würde ich nur gute Charaktereigenschaften aufzählen.
Er ist verständnisvoll.
Scharfsinnig
Charmant.
Selbstbewusst.
...

Ich hörte auf, darüber nachzudenken, als ich seinen festen Blick immer noch auf mir spürte.
Ich lief augenblicklich rot an.
„Möchtest du auch etwas trinken?", er deutete auf die Flasche Whiskey.
Okay, er ist doch nicht ganz klar bei Sinnen.
Wenn ich es jetzt verneinen würde, dann gäbe es keinen Grund hier zubleiben. Und ich möchte noch nicht zurück. Ich würde es nicht zugeben, doch wenn ich daran dachte, alleine im Zimmer zu sitzen, graute es mir. Pansy war vorhin zu Draco gegangen und würde ganz sicher bis spät in die Nacht dort bleiben.

„Sehr gerne.", antwortete ich also.
Obwohl ich wusste, dass ich Alkohol hasste.
Er schüttete etwas in ein Glas und überreichte es mir, als wäre es ganz normal mit seinen Schülern zu trinken.
Wir stießen an und er trank seins in einem Zug leer. Was war bloß los mit ihm? Ging es ihm ähnlich wie mir? Wurde ihm auch alles zu viel?

Langsam kam mir die Frage auf, was er wohl alles wusste. Er war immerhin einer der engsten „Vertrauten" Voldemorts.
Was hatte er bereits alles gesehen und erlebt?
Er wusste soviel über mich, aber ich umso weniger über ihn. Oder bildete ich mir das nur ein?

Ich räusperte mich vorsichtig.
„Warum trinken Sie eigentlich?"
Er sah mich irritiert an, als würden meine Worte unverständlich für ihn klingen.
Doch plötzlich lächelte er.
„Warum duzt du mich eigentlich nicht? Ich meine, wenn ich das darf, dann solltest du es auch dürfen.", meinte er und hatte meine Frage bereits wieder zur Seite geschoben.
„Okay.", warum auch nicht?

Nach meinem 2. Glas merkte ich langsam, wie mein Körper sich entspannte.
Mit Anfang des 4. fühlte ich mich schon fast wie benebelt.
Wir tauschten uns amüsiert aus und lachten an den richtigen Stellen. Ich versuchte mich gerade nach einem Lachanfall wieder zu beruhigen.
Er hatte mir gerade erzählt, wie er Trelawney und Flitwick vor einer Woche beim gemeinsamen Meditieren gestört hat und er von ihr aus dem Lehrerzimmer geworfen wurde.
Ich stellte es mir bildlich vor und konnte einfach nicht mit prusten aufhören.

„Das ist wirklich lustig.", mehr konnte ich nicht sagen, denn ich fing wieder an zu kichern.
„Sie sah echt wütend aus.", er hielt sich vor Lachen den Bauch.
Wir saßen mittlerweile so eng beieinander, dass sich unsere Beine fast berührten.
Ich hatte seit langem nicht mehr so einen guten Abend und wünschte mir, dass er nie zu Ende gehen würde. Die Sorgen, die mich am Anfang quälten, waren spurlos verschwunden.
Ich warf einen Blick auf die Uhr, die gegenüber von uns an der Wand hing. Sie zeigte kurz nach 2. Die Zeit war wie im Fluge vergangen.

„Ich glaube, ich sollte langsam gehen.", plötzlich fühlte ich mich hundemüde.
„In Ordnung. Wir sehen uns dann..Wann sehen wir uns wieder?", fragte er mich.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ehh- Ich weiß nicht nicht. Schon bald.", ich schritt wie selbstverständlich (ohne einem richtigen Gleichgewichtsgefühl) auf ihn zu. Ohne zu überlegen, drückte ich ihm einen flüchtigen  Kuss auf die Stirn und schwankte die Treppe hinunter.
Ohne mich noch einmal umzudrehen, wünschte ich ihm eine gute Nacht.

———————————————————————
Severus

Ich wachte um 7 Uhr morgens in meinem Bett auf. Sofort stellte ich fest, dass ich einen Kater hatte, nachdem ich mich aufrichtete.
Irgendetwas war anders, doch mir fiel einfach nicht ein um was es ging.
Ich erblickte die leere Whiskeyflasche auf meinem Nachttisch. Nachdem ich gestern völlig fertig in mein Büro zurückkam, schien mir die Flasche genau richtig. Doch jetzt verunsicherte sie mich.

Ich stand wankend auf, um duschen zu gehen. Den Geruch des Alkohols konnte ich immer noch wahrnehmen. Als ich mich umgezogen hatte und ich geradewegs in mein Büro lief, ergriff mich plötzlich eine flüchtige Erinnerung.
Sie kam so unerwartet, dass ich erschrocken stehen blieb.
Allison
Sie saß direkt neben mir und hatte ebenfalls ein Glas Whiskey in der Hand.

Mit einem Mal war alles wieder da.
Die Bedrücktheit, die sie am Anfang ausstrahlte.
Wie ich ihr den Whiskey anbot.
Als ich sie aufforderte, mich zu duzen.
Das stundenlange Gespräch.
Zum Abschied der flüchtige Kuss auf die Stirn.

Mir wurde plötzlich ganz warm. Was ist da gestern nur passiert?
Ich meine, natürlich weiß ich, was passiert ist. Ich war betrunken und sie am Ende auch.
Wir haben uns gut verstanden und zusammen gelacht. So viel Spaß hatte ich seit Ewigkeiten nicht gehabt.
Zumindest in diesem Moment.

Denn jetzt war ich mir den Folgen glasklar bewusst.
Ich habe mit einer Schülerin getrunken.
Nicht mit irgendeiner, sondern mit Allison.
Allison, die gemordet hat und seitdem nicht mehr klar denken kann.
Allison, die immer noch trauert.
Allison, die deshalb auf gar keinen Fall mit ihrem Lehrer Alkohol trinken sollte.

Es kam mir so surreal vor. Als wäre es vielleicht doch nur ein Traum gewesen, doch das war es nicht.
Das weiß ich.
Und sie wahrscheinlich auch.

Severus Snape&Allison Malfoy- Die kalten HerzenWhere stories live. Discover now