41.Alles oder nichts

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Severus

Scheiße.
Ich muss nicht mal die Wörter auf dem Papier lesen um zu wissen, was dort drin steht und warum er zerrissen auf dem Boden liegt.
Sie hat ihn gefunden.
Ich bin so ein verdammter Idiot. Warum habe ich auch nur geglaubt, dass ich ihr das weiter verheimlichen könnte? Es war nur eine Frage der Zeit gewesen. Ich muss sie unbedingt finden.
Die meisten werden bereits in der Großen Halle sein, weshalb ich zum Gemeinschaftsraum der Slytherins renne. Ich habe Glück, dass niemand mehr dort ist. Ungeduldig klopfe ich an die Tür, doch als sie keiner öffnet, trete ich ein. Nur um festzustellen, dass sie nicht hier ist.
Hogwarts ist riesig. Sie könnte überall sein.

Ich bleibe für eine Minute in ihrem Zimmer stehen und versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Ich kann nicht alles absuchen. Das würde ewig dauern.
Aber was bleibt mir anderes übrig? Ich blicke geradewegs auf Allison's Kommode, wo ein Bild mit ihr und Draco steht. Sie lächeln beide.
Es kann noch nicht so alt sein, denn sie sieht wirklich glücklich aus.
Und ich habe ihr Leben wieder kaputt gemacht.
Ich hätte ihr niemals die Sache mit meinem Schreibtisch erzählen sollen. Was hat sie dort bitte überhaupt gesucht?
Ich renne zurück auf den Gang und fange an, jeden Winkel in Hogwarts abzusuchen.

„Professor?", ich drehe mich nach hinten, nur um Draco im grellen Licht des Mondes zu erblicken.
„Warum bist du nicht beim Ball?", frage ich ihn irritiert.
Er sah genauso verwirrt aus.
„Ich wollte etwas aus meinem Zimmer holen. Ähm..Ist alles in Ordnung bei Ihnen?"
Er kam einen Schritt auf mich zu.
„Ich suche deine Schwester.", gab ich ehrlich zu.
Draco war nicht dumm. Das wusste ich.
Sofort wirkte er alarmiert.
„Was ist passiert?"
Ich habe absolut keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Doch das brauche ich auch gar nicht.
„Weiß sie es etwa? Hat sie es herausgefunden?", sein Blick wird panisch.
Er weiß es?
„Ja, ich weiß es. Ich habe Sie mit meinem Vater reden hören.", antwortete er auf meine stumme Frage.

„Warum hast du es ihr nicht erzählt?"
„Wahrscheinlich aus demselben Grund, warum Sie es nicht getan haben."
Ich sage es doch. Er ist nicht dumm.
„Sie muss hier irgendwo im Schloss sein."
„Okay. Ich helfe Ihnen. Ich fange oben an.", und mit diesen Worten war er bereits verschwunden und ließ mich erstaunt stehen.
Doch irgendwann lief ich weiter.
Ich muss mit ihr reden.

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Allison

Die Sterne sind so wunderschön.
Wie oft werde ich wohl noch die Chance haben, sie zu sehen? Die kühle Nachtluft beruhigt mich ein wenig. Ich bin froh hierher gekommen zu sein. Ich blicke zum Mond, der im Moment wieder abzunehmen scheint. Hier ist alles so friedlich, wie in einem Bilderbuch oder einem Märchen. Aber das hier ist die bittere Realität.
Die traurige Realität.
Vielleicht habe ich sie aber auch einfach verdient. Ich bin eine Mörderin, also warum sollte es mich wundern, selbst ermordet zu werden? Ich meine ja nur. Das könnte mein Karma sein.
Draco ist am Leben, doch das heißt nicht, dass Dumbledores Leben nicht genauso wertvoll war.
Ich meine, wie entscheidet man sowas? Wer am Leben bleiben darf und wer nicht?
Das ist einfach nur barbarisch.

Ich wünschte, Severus hätte es mir gesagt.
Es hätte natürlich nichts an der Tatsache geändert, aber vielleicht hätte ich mich dann nicht so hintergangen gefühlt.
Von allen. Aber am meisten von ihm und Draco.
Könnte ich fliehen? Mich vor Voldemort verstecken? Er ist stark und mächtig, aber wenn ich um die halbe Welt reise.. Vielleicht würde er mich nicht finden und ich hätte tatsächlich eine Chance. Das kann aber auch total unwahrscheinlich sein. Er hat so viele Anhänger, eventuell auf dem ganzen Planeten verstreut.
Ich lehne lässig am Geländer und weiß nichts mit mir anzufangen.
Meine Lage ist womöglich aussichtslos.
Doch eigentlich ist die Frage: Warum hat er mich nicht schon längst umgebracht? Damit ich noch ein paar Monate habe? Sicher nicht.

Ich höre Schritte, doch es interessiert mich kein Stück. Von mir aus könnte der Geist Dumbledores höchstpersönlich vor mir stehen und es wäre mir egal. Denn ich habe nichts mehr zu verlieren.
An diesem Leben lag mir noch nie besonders viel.

„Allison!", Draco atmet schwer. Er ist die Treppe hinaufgerannt. Das hätte er nicht tun müssen.
Ich würde auch in 30 Sekunden noch hier stehen.
„Komm bitte vom Geländer weg.", flüstert er, doch ich berühre mich keinen Millimeter.
Denkt er allen Ernstes, ich würde springen? Hier, wo Dumbledore auch gestorben war?
Wow.
Eigentlich wäre es der perfekte Selbstmord, aber ich schiebe den Gedanken zur Seite.
Ich will leben.

„Denkst du wirklich, ich klettere über das Geländer und springe in den Abgrund?", provokativ setze ich mich selbstsicher auf die besagte Brüstung.
Dadurch kann ich ihm direkt in die Augen sehen. Er wirkt sichtlich nervös.
„Wann wolltest du mir davon erzählen hm? Ich dachte Geschwister halten zusammen.", sage ich betont lässig.
Draco kommt näher.
„Hör auf damit, Allison. Bitte."
Ich höre ihn scharf die Luft einziehen. Irgendwie finde ich das sogar ganz lustig.

„Beantworte mir erst meine Frage."
Er ist fast bei mir.
„Wenn du noch einen Millimeter näher kommst, werde ich über diese verdammte Brüstung steigen! Antworte mir gefälligst!"
Ich erkenne meine Stimme kaum wieder. Ich will nicht springen. Wirklich nicht.
Aber ich kann den Fakt nicht ignorieren, dass jede noch so kleine falsche Bewegung mich in den Abgrund stürzen könnte. Ich muss fokussiert bleiben.
„Wie hätte ich es dir sagen sollen? Ich bin der Grund, warum alles erst so gekommen ist, Allison! Verdammt. Kannst du das nicht verstehen?", schreit er mich an. Ich kann Tränen in seinen Augen erkennen. Schwach, aber sie sind eindeutig da.

Ich verstehe ihn. Zumindest irgendwo tief in mir drin.
Doch ich bin zu verletzt.
Fühle mich zu sehr verraten.
Zu schwach, um seine Situation nachvollziehen zu können.
Mir ist plötzlich ganz kalt und ich wünschte, nie hier gewesen zu sein. Nicht auf diesem Geländer. Nicht in Hogwarts. Nicht in dieser Pflegefamilie. Nicht in diesem Leben.
Ich schaue nach unten. Ist es wirklich so abwegig? Ist es nicht sogar ein bisschen verlockend alles hier und jetzt einfach zu beenden? Einfach aus dem Leben zu verschwinden?

Doch ich sehe Draco.
Wie er erschrocken nach Luft schnappt als er meinem Blick folgt.
Nervös mit zitternden Händen.
Tränengefüllten Augen.
Beinen, die bereit stehen um auf mich zuzurennen, wenn ich mich für die falsche Sache entscheide.
„Allison.."
Seine Stimme ist nur ein leises Flüstern, welches vom Wind fast komplett verweht wird.

„Ich wünschte, es wäre alles anders gewesen.", murmle ich.
„Ich weiß.", antwortet er.
Das wünscht er sich wahrscheinlich auch.
Ein ganz anderes Leben. Mit Eltern, die tolerant und gutmütig sind. Die einen über alles lieben.
In einem kleinen Städtchen, wo an Krieg nicht einmal zu denken ist.
Freunde, die alles für einen tun würden.
Vielleicht irgendwann mit eigenen Kindern. Haustieren. Mit Frau oder Mann.
Einem kleinen gemütlichen Haus mit Garten.

Der Gedanke, dass ich das niemals erleben werde, rührt mich zu Tränen.
Ich könnte die ganze Welt anschreien.
Dieses.
Leben.
Ist.
So.
Verflucht.
Aber das heißt nicht, dass ich mich diesem Schicksal ergeben muss.

„Du hast recht.", ich will vom Geländer heruntersteigen, als ich jedoch mit den hohen Schuhen ausrutsche.
Es passiert alles so schnell und doch wie in Zeitlupe.
Ich sehe Draco. Draco, dessen Mund weit offen steht und ein großes „O" formt.
Ich sehe meinen Bruder. Seine blonden schwitzigen Haare, ganz fahl im Gesicht.
Ich sehe ihn. Wie er stocksteif auf seiner Stelle stehen bleibt. Unfähig sich zu bewegen. Unfähig zu reagieren.

Und ich falle.

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⏰ Last updated: Feb 23 ⏰

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Severus Snape&Allison Malfoy- Die kalten HerzenWhere stories live. Discover now