42 | Bekannte Gesichter

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Ich weiß gar nicht, wie lange ich schon auf der Party bin oder wie viel ich getrunken habe, aber als mich irgendwann Kyle findet, glaube ich im ersten Moment, er hätte sich die Haare blau gefärbt. Dann, als er mir erklärt hat, dass seine Haare nur von den Partylichtern beleuchtet werden und es deshalb so wirkt, als wären sie blau, musste ich so lange lachen, dass ich irgendwann keine Luft mehr bekommen habe.

Ich glaube auch, dass ich nicht nur gelacht, sondern zum Ende hin auch geweint habe. Das hätte zumindest erklärt, warum Kyle so besorgt war, als er mich so zu Gesicht bekommen hat. Er sitzt nun nämlich schon seit einigen Minuten zusammen mit mir auf der Bank im Garten, da er meinte, ich bräuchte ein bisschen frische Luft.

Dabei verstehe ich nicht, was mir diese bringen soll.

Denn ich brauche keine Luft, ich brauche einen Drink.

"Und? Fühlst du dich besser?"

Meine Augen wandern zu Kyle, der noch immer direkt neben mir sitzt. Er betrachtet mich aus seinen interessierten Augen.

Ich muss schmunzeln. "Wieso sollte es mir denn nicht gut gehen? Die Party ist der Wahnsinn!" Ich halte inne und schlage mir die Hand vor den Mund, als mir einfällt, was überhaupt der Anlass ist. "Warte mal, eure Mannschaft hat doch gewonnen, oder?"

Kyle sieht mich total irritiert an, nickt dann jedoch schlicht, was ich mit einem Jubel quittiere. "Dann ist das alles ja noch besser!"

Kyle sieht noch immer ziemlich ernst aus. Er ist total unberührt von meiner guten Laune und ich bin überrascht, dass er noch so klar bei Verstand ist. Schließlich ist er schon viel länger hier, als ich es bin. "Du hast vorhin geweint, Sara. Ich würde gerne wissen, wieso. Und ob ich irgendwie helfen kann", sagt Kyle dann ohne Umschweife und ich weiß im ersten Moment nicht, was ich sagen soll.

Tatsächlich hat die kühle Nachtluft eine Wirkung auf mich, denn der Einfluss vom Alkohol scheint schwächer zu werden, sodass ich mich wieder an den Vorfall mit Mum erinnere. Verzweiflung tritt an die Stelle meiner guten Laune und plötzlich fühle ich mich nicht mehr nach Lachen, sondern Weinen.

Ich atme tief durch, um mich zu fangen. Ganz sicher will ich jetzt nicht, dass mir auch noch Kyle beim erneuten Flennen zusieht. Es reicht schon, dass mich Aiden so auffinden musste. "Mir gehts gut, du brauchst dir keine Sorgen machen."

Seit wann ist lügen so einfach für mich geworden? Die Sätze verlassen meinen Mund ohne Anstrengung und um ehrlich zu sein bereitet mir das eine große Angst....

Kyle scheint zu merken, dass ich nicht bereit bin, um mich ihm zu öffnen, denn er seufzt nur, ehe er den Blick nach vorne in den Garten richtet. "Weißt du noch, letztes Jahr auf dem Schulausflug, als ich dich auf dem Hinterhof aufgefunden habe?"

"Oh ja", erwidere ich nur und kann nun nicht anders, als Kyle anzusehen. Dieser hält den Blick jedoch noch immer nach vorne gerichtet und fixiert etwas in der Ferne. Dabei wirkt er so, als würde er in Gedanken schwelgen.

Ein leichtes Lächeln deutet sich auf seinen Lippen an. "Damals wolltest du mir auch verkaufen, dass alles gut war. Nachdem ich dich weinend auf dem Boden hockend aufgefunden habe. Und kannst du dich noch daran erinnern, was ich dir damals gesagt habe?"

Nun formen sich auf meine Mundwinkel zu einem traurigen Lächeln. Natürlich kann ich mich an Kyle's Worte erinnern. Wir kannten uns damals vielleicht noch nicht so gut wie heute, aber an dem Tag hatte er mir sehr viel Trost geschenkt. Rückblickend ist das wahrscheinlich auch der Moment gewesen, als er mich von ihm überzeugen konnte. Kyle ist nicht nur ein guter Freund, sondern auch ein verdammt guter Mensch.

"Du sagtest, dass ich die mieseste Lügnerin bin, die du je getroffen hast", zitiere ich seine Worte und muss gegen die Tränen anblinzeln, die in meinen Augen brennen. Es tut weh, mich daran zurückzuerinnern. Denn damals war ich vielleicht eine schlechte Lügnerin, aber heute habe ich schon so viel verdrängt und beschönigt, ob nun vor meinen Freunden oder vor mir selbst, es bricht mir buchstäblich das Herz.

One Last ChanceWhere stories live. Discover now