Ein Lamm zwischen Wölfen

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Seine Schritte hallten in den breiten Fluren ungewöhnlich laut nach.

Es kam mir vor, als ob ich schon eine Ewigkeit hinter dem großgewachsenen Mann hinterhereilte – die Flure wollten einfach kein Ende finden.

War es vielleicht die Ungewissheit, die die Zeit so langsam vergehen ließ?

Ich ließ meinen Blick erneut schweifen – auch wenn ich es gefühlt schon tausend Mal gemacht hatte. Noch immer nahm ich die altertümliche Ausstattung wahr, die sich mir bot. Ähnlich wie im Büro von Slenderman waren auch hier die alten Merkmale zu erkennen.

Die dunklen Parkettfußböden, die dunkelgrüne Tapete, die hohen Fußleisten, die alten Lampen, geschmückte Türen – dieser Ort war praktisch die Verkörperung des viktorianischen Stils.

Im Augenwinkel bekam ich mit, wie Eyeless Jack vor mir stehen blieb. Gerade noch so im letzten Moment konnte ich mich ebenfalls bremsen und somit einen peinlichen Zusammenstoß verhindern, welcher sich angebahnt hatte.

Ich wollte gerade fragen, warum wir angehalten hatten, dennoch klärte sich die Frage von alleine, als ich die Fußstapfen vernahm, die in unsere Richtung kamen.

Ich spannte mich unabsichtlich an, während mein Blick zwischen Eyeless Jack und der noch nicht zu sehenden Person hin und her ging.

Es war überhaupt ein Wunder, dass ich in jenem Moment so etwas wie Furcht verspürte – schließlich hätte ich die ganze Zeit davon geplagt sein müssen.

Es war noch immer ein Haus voller Mörder und das Oberhaupt hatte mich nicht abgeschlachtet.

Es gab so viele rote Fahnen, die darauf hindeuteten, dass meine Situation von Grund auf nicht die beste war, dennoch verlor ich vor Panik nicht meinen Verstand.

„Hier hast du dich versteckt, EJ!"

Ich zuckte ungewollt zusammen, als ich die neue, unbekannte Stimme vernahm. Es musste sich erneut um eine männliche Person handeln, den die Tonlage der unbekannten Person war ebenfalls sehr tief.

Im nächsten Moment löste sich die Person aus dem Schatten und mir fiel sofort der weiße Pullover auf, der im gelblichen Licht der Lampen fast schon ein wenig grau wirkte. Auch die roten Flecken, mit welchen der Stoff gesäumt war, entgingen mir nicht.

Dann sah ich die schwarzen, längeren Haare, die er sich mit einem Zopfgummi zur Hälfte zurückgebunden hatte und...

...das Lächeln.

Er trug das Lächeln, welches niemals verschwinden würde.

Jeff The Killer.

„Wer ist das denn?", ich sah, wie er sich nun ebenfalls anspannte, was mir den Instinkt gab, einen Schritt nach hinten zu gehen, doch ich widerstand dem Drang und blieb hinter dem, der mein „Mentor" sein sollte.

Wenn Slenderman mich lebend wollte, dann würde er mit allen Mitteln dafür sorgen, dass ich unter seinen Augen nicht zu Tode kam.

Der Killer vor uns hatte mittlerweile sein Messer gezogen, in seinen Augen konnte ich ein gefährliches Funkeln ausmachen.

Wie ein Wolf, der seine Beute ins Visier nahm.

„Entspann dich, Jeff", hörte ich Eyeless Jack sagen, „Sie ist die Letzte."

Die Letzte? War das eine Anspielung auf das, was Slenderman mir in Bruchstücken mitgeteilt hatte?

„Nummer 10?", Jeff ließ das Messer sinken, ich sah ein wenig Enttäuschung in seinem Gesicht aufblitzen, „Ich dachte, dass er nur neun Briefe gesandt hatte." Ich spürte, wie seine Blicke mich genaustens musterten. „Die sieht nicht so aus, als würde sie diese Hölle überstehen, so mickrig wie die ist", fügte er schließlich hinterher und ich kräuselte meine Stirn.

Golden Blood | Eyeless JackWo Geschichten leben. Entdecke jetzt