Die Ausgestoßene und seltsame Fragen

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Ich murrte leise, als ich erneut einen Karton in einen Schrank hievte, der bis zum Rand mit Akten gefüllt war.

Das war heute bestimmt schon der vierte – woher hatte Eyeless Jack bloß diese ganzen Mappen mit Berichten?

Und warum musste ich so eine Drecksarbeit verrichten?

Ich wusste, dass ich den Inhalt lieber nicht überprüfen sollte – ich würde gegen eine Grundregel verstoßen, da ich die Privatsphäre verletzte...

... dennoch stimmte es mich neugierig.

Meine Hand griff in den Karton, ich hielt die Akten einen Moment länger als nötig in meiner Hand.

Ein kurzer Blick...

... nein.

Ich schüttelte den Kopf, während ich die Akten erneut nach den Namen, die auf dem Einbänden standen, einsortierte. Wenn ich jetzt nur einmal in eine hineinsah, würde ich den Rest auch nicht mehr liegenlassen.

Außerdem wusste ich nicht, wann Eyeless Jack den Raum betreten würde – es würde ihn sicherlich nicht glücklich stimmen, wenn er mich erwischte.

Hinter mir hörte ich die Tür knarzen – ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich wirklich keinen Blick gewagt hatte, denn Eyeless Jack hätte mich tatsächlich dabei erwischt.

„Bist du fertig?", seine Stimme war noch immer so rau wie vorher und ich drehte mich zu neunzig Grad zu ihm, damit ich ihm nicht dein Eindruck verlieh, dass ich ihn ignorierte – ich wollte nicht wissen, wie schnell ich ihn auf die Palme treiben konnte.

„Mir fehlen nur noch ein paar", erwiderte ich leise, während ich Kiaras Krankenakte einsortierte. Kurz darauf hielt ich eine weitere in der Hand – Joanne stand auf dem Einband. Kurz runzelte ich die Stirn, weil dieser Name nicht bei der Willkommenszeremonie gefallen war, doch ich sortierte sie schließlich zu den anderen, als mir einfiel, dass es ja noch andere Killer in dieser Gruppe gab, von denen ich noch nie gehört hatte.

Eyeless Jack schlurfte mit schweren Schritten zu einem Rollhocker, auf welchen er sich fallen ließ, bevor er mit Micropipetten und seltsamen Flüssigkeiten vor dem Mikroskop hantierte. Hin und wieder rollte er zu einem Schrank, in welchem sich ein Inkubator und ein Kühlschrank befanden. Dort holte er kleine Probenröhrchen hervor, die bis zum Rand mit einer roten Flüssigkeit gefüllt waren.

„Wither – ich habe eine Frage an dich", meinte er plötzlich, als ich gerade die letzte Akte in das Regal sortiert hatte.

Mein Kopf schnellte in die Höhe, meine Augen fanden die Figur des jungen Killers, der sich nun mitsamt Drehstuhl in meine Richtung gedreht hatte. In seiner Hand hielt er noch immer die Mikropipette, die schwarzen Löcher, welche sich hinter seiner Maske verbargen, schienen auf mir zu liegen. Ich musste schlucken, als sich eine angespannte Stille zwischen uns legte.

Er stellte eine Frage – nachdem er mir verboten hatte, welche zu stellen?

Und was wollte er wohl von mir wissen? Musste ich Angst haben?

„Ich habe sämtliche Register durchforstet, um die Krankenakten der neuen Mitglieder zu finden. Genauer gesagt habe ich neun von den zehn Akten gefunden – eine blieb jedoch verschollen, egal, wie oft ich deinen Namen auch in die Suchmaschinen eingab. Wie ist es möglich, dass du in keinem Ärzteregister zu finden bist?", seine Worte hatten einen sauren Nachgeschmack, als sie mich erreichten.

An sich war es kein Problem, ihm eine Antwort zu geben, da ich nichts zu verbergen hatte – trotzdem störte es mich, dass Eyeless Jack die Akten sammelte und womöglich auch durchlas.

War es wirklich nur im medizinischen Sinne, oder steckte vielleicht doch mehr dahinter?

„Ich habe keine Akte", antwortete ich schließlich, nachdem ich endlich die passende Antwort gefunden hatte. Ich wollte ihm nicht allzu viel erzählen – er war ein Killer, was ich nicht unterschätzen durfte.

Golden Blood | Eyeless JackWhere stories live. Discover now