Des Schattens beste Freundin

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„Schau mal, Mama! Ich habe es bis in die Baumkrone geschafft!"

Das kleine Mädchen blickte mit Triumph zu ihrer Mutter herab, die auf der Wiese saß und ihrer Tochter mit einem breiten Lächeln beim Spielen zusah. Sie winkte, als die Worte des Mädchens zu ihr herüberschallten, während sie einen Daumen in die Höhe streckte, um ihren Stolz zu zeigen.

„Sei vorsichtig, mein Mäuschen! Die Äste sind noch rutschig von dem letzten Regen, du könntest abrutschen und herunterfallen!", rief sie ihr zu, während das Mädchen nur nickte und eifrig weiterkletterte.

Sie kletterte und kletterte – Ast für Ast... irgendwann setzte sie sich, um etwas Luft zu schnappen, es war anstrengend, sich hochzuhieven. Kurz blickte sie erneut zu ihrer Mutter, die sich auf die Picknickdecke gelegt hatte und verträumt in den Himmel sah. Es war lange her, dass das Mädchen sie so glücklich gesehen hatte, also versuchte sie, diesen Augenblick in sich aufzusaugen.

Doch diese idyllische Situation sollte nicht lange anhalten – denn im nächsten Moment ertönte ein lautes Knacken. Ehe das Mädchen auch nur irgendetwas realisieren konnte, war sie schon im freien Fall. Ihr Ast, auf welchem sie sich ausgeruht hatte, hatte unter ihr nachgegeben.

Sechs Meter waren genug, um ein sechsjähriges Mädchen zu töten.

„Hallee!", rief die junge Mutter noch aus, während das Mädchen in Panik verfiel.

Doch...

... bevor sie auf dem Boden aufschlagen konnte, formte sich ein schwarzer Teppich unter ihr und fing sie auf. Das Mädchen blinzelte verwirrt, bevor es sich langsam aufrichtete und die schwarzen Nebelfäden berührte, die sie vor ihrem Unglück bewahrt hatten.

Sie waren warm – und das Mädchen glaubte sogar, leises Flüstern zu vernehmen. Doch bevor sie sich genauer darauf konzentrieren konnte, kam ihre Mutter auf sie zugestürmt.

„Hallee! Oh Gott – was machst du denn, Mäuschen!", rief sie aus, während sie ihrer Tochter um den Hals fiel. Im selben Moment lösten sich die Nebelschwaden auf und mit ihnen verschwand die Wärme und Ruhe, welche das Mädchen eben noch empfunden hatte.

„Wären die Schatten nicht gewesen- Hallee- meine Hallee...", die Mutter drückte sie noch einmal fester an sich, während ihre Stimme zitterte.

Während ihre Mutter weinte, konnte Hallee an nichts anderes mehr denken.

Ihre Mutter hatte die Gabe des Schattenspiels verwendet – etwas, was sie eher vermied. Langsam blickte das junge Mädchen in das Gesicht der Frau. Sofort fiel ihr die blasse Haut und die trüben Augen auf, die das Abbild ihrer Mutter nun zierten.

Es würde darauf hinauslaufen, dass ihre Mutter heute Abend ausgehen würde, wenn Hallee im Bett lag – das wusste das kleine Mädchen genau.

So war es immer, wenn ihre Mutter ihre Kraft nutzte.

Und so kannte es Hallee nicht anders.

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Das Schlurfen war das Erste, was ich wahrnahm, als ich langsam wieder zu mir kam.

Nach meinem Gehörsinn kehrte mein Gefühl zurück.

Mein Rücken fühlte sich seltsam taub an, während mein linkes Knie beinahe aus seinem Gelenk sprang.

Wieder einmal wurde ich unsanft über den Waldboden gezogen – diese Szene kam mir seltsam bekannt vor. Es war nicht mal zwei Wochen her, dass mir dasselbe ebenfalls passiert war, als man mich zu meinem Schicksal transportiert hatte... wo würde dieses Mal die Reise hingehen?

Golden Blood | Eyeless JackWhere stories live. Discover now