H - Visionen

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[Harry] 

Ohrenbetäubend jaulten die Sirenen, im nächsten Moment hörten wir die Flieger über die Bergen kommen. Es dauerte nicht einmal eine Minute, dann gab es die ersten Einschläge. Der gesamte Trupp brachte sich in Sicherheit, doch der Angriff kam zu überraschend und wir hatten Probleme, einen Unterschlupf zu finden.
„In den Bunker! Schnell!" schrie ich die Soldaten an, die in meiner unmittelbaren Nähe waren, dann ging neben uns ein Einschlag nieder, die Druckwelle schob uns praktisch in die Gräben hinein und ich hustete, um den Druck auf meiner Brust zu lösen, rollte mich auf den Bauch und kroch in die sporadisch gebauten, teilweise bereits eingestürzten Schutzbunker.

„Wo sind die denn hergekommen?!" rief mir John zu, einer meiner engen Freunde hier im Trupp seit den acht Monaten, die wir nun im Kriegsgebiet stationiert waren. „Keine Ahnung." antwortete ich, dann knallte es direkt neben meinem Ohr und ich zischte auf, während ein lautes Piepen in meinem Ohr für einen Moment mein Hörvermögen außer Kraft setzte.
Sofort sah ich hoch, um zu sehen, ob John okay war. Ich schluckte, als er regungslos war und nun nicht mehr unruhig zappelte, halb mit Schutt belegt. „Verdammt..." murmelte ich. Ich robbte vorsichtig zu ihm, mit zittrigen Händen fühlte ich seinen Puls. Es war mir vorher klar gewesen, doch jetzt hatte ich die Gewissheit. Es hatte ihn erwischt und wir hatten ihn verloren. 
Mir blieb kaum Zeit zu trauern, die gab es hier nie. Einen Moment verweilte ich dennoch, nahm ihm seine Marke ab, die er um den Hals trug, und schob sie in meine Hosentasche. Dann schloss ich seine Augen, während sich in meinen Tränen sammelten, die ich schnell wegblinzelte. "Du warst ein großartiger Soldat." flüsterte ich, ehe ich mich von ihm abwandte.

Die Dunkelheit des Bunkers umhüllte mich, um mich herum tobte der Krieg weiter und der Geruch von verbranntem Holz und Metall hing in der Luft. Meine Hände um die Waffe zitterten vor Erschöpfung bereits, und die Angst kroch nun doch in mir hoch, nagte an mir wie ein hungriges Tier. In diesem Moment durchzog meinen Kopf ein heftiger Schmerz und ich schloss die Augen, presste die Hände gegen meine Schläfen, als würde das den Schmerz vertreiben. Doch anstatt nachzulassen, wurde er nur intensiver. Ich stöhnte und sank gegen die kalte Betonwand. Was war denn jetzt los? Woher kamen diese Schmerzen? Einen Moment überlegte ich, ob ich vielleicht verletzt war, doch das hätte ich schließlich mitbekommen.

Und dann plötzlich sah ich ihn – einen fremden Mann. Ein Schatten, der aus dem Nichts auftauchte und sich vor mir materialisierte. Seine Augen waren strahlend blau, sein Gesicht kam mir in diesem Moment beinahe engelsgleich vor. Sein Blick war intensiv, strahlte sowohl Mitgefühl als auch Entschlossenheit aus.
„Du musst überleben", flüsterte der Mann. Seine Stimme war wie ein Echo aus einer anderen Welt, nicht wirklich hier und einen Augenblick war ich mir sicher, dass ich nun endgültig den Verstand verloren hatte.
„Wer bist du?" fragte ich und starrte ihn an. Er lächelte mich hoffnungsvoll an. „Du musst überleben, du bist noch nicht so weit. Du hast eine Aufgabe. Ich helfe dir.", sagte er zu mir.
„Wie?" fragte ich verwirrt und dann begannen in meinem Kopf weitere Visionen. Bilder von verlassenen Städten, von Menschen die um ihr Leben kämpften, meine Soldaten, die ich erkannte. Ich sah mich selbst, wie ich durch den Dreck kroch, während Kugeln um mich herum einschlugen.

In diesem Moment bemerkte ich, dass ich in Bewegung war. „Vertraue deinem Instinkt. Gehe nach links. Spring über die Mauer. Verstecke dich im Schatten."
Ich folgte all den Anweisungen, als wäre ich ferngesteuert. Sie führten mich durch das Chaos dieses Angriffes, ich überlebte gerade, weil der Fremde es so wollte. Ich wusste nicht, was gerade passierte, doch ich ließ mich steuern.

Einen Moment später ertönten Schüsse, einer davon traf meinen Arm und ich biss die Zähne zusammen um nicht zu schreien, warf mich hinter eine eingestürzte Häuserwand und sah mir meinen Oberarm an. „Scheiße" murmelte ich, riss ein Stück von meinem Ärmel ab und band so die Wunde ab, damit ich die Blutung für den Moment stoppen konnte. Nebenbei horchte ich auf meine Umgebung, so gut es ging mit dem durchgehenden Piepton auf der rechten Seite. Ich schloss die Augen und wieder erschien dieses mir unbekannte Gesicht vor meinen Augen, weshalb ich sie erschrocken wieder aufriss. Kurz darauf schloss ich sie wieder und da war das Gesicht wieder. „Du musst auf die linke Seite."

Ich schnappte nach Luft und langsam bekam ich Panik, hatte ich jetzt einen Hirnschaden? Als ich Schritte von rechts hörte, verwarf ich den Gedanken und rannte über die linke Seite an dem eingestürzten Gebäude vorbei, dort traf ich auf einen weiteren Soldaten, Liam. „Bist du verletzt?" fragte ich ihn sofort, er schüttelte den Kopf. „Nein, alles gut. Gibst du mir Deckung?" fragte er mich und ich nickte sofort, wir machten uns bereit und ich hielt die Waffe von meinem geschützten Punkt aus in Position. Dustin rannte los. Kurz darauf hörte ich Schüsse, welche ich genauso beantwortete, als ich die feindlichen Soldaten erkannte.

„Verstecken!"
Diese Stimme, wieder Visionen, die mich leiteten, ich folgte ihnen, vertraute dem Gefühl, dass mich leitete und erreichte ein halb zerstörtes, verlassenes Haus, in welchem ich mich verstecken konnte. Draußen wurde es ruhiger, doch ich wusste, dass die Gefahr noch nicht vorüber war. Der Fremde erschien vor mir. „Du musst sie retten."
Ich runzelte die Stirn. „Wen? Wen muss ich retten?" fragte ich, dann hörte ich im nächsten Moment leises Gewimmer.

Ich lokalisierte das Geräusch und kroch in die hinterste Ecke des Gebäudes, erschrocken schnappte ich nach Luft, als ich den Ursprung erkannte. Da lag ein kleines Mädchen, das mich mit panischem Blick anstarrte, leise wimmerte und sich in die Ecke drückte. Ihr Bein war verletzt, definitiv eine Verletzung der Fliegerangriffe.
„Hey..." sagte ich leise. „Keine Angst, ich helfe dir. Ich helfe dir, okay?" sprach ich sanft auf sie ein und sie fing an, laut zu weinen. „Ganz ruhig, du musst leise sein!" flüsterte ich und zog sie an mich. Mein Arm schmerzte, doch ich hob sie dennoch hoch in meine Arme, sofort klammerte sie sich an mich und weinte stumm. 

Ich wartete den richtigen Moment ab, als ich der Meinung war, dass es sicher war, rannte ich mit dem Kind im Arm los, hoffte einfach nur, dass ich die Panzer meiner Kompanie erreichen würde. Ich rannte und rannte, als ich sie erreichte übergab ich das Kind zuerst, sie zogen sie in den Panzer und ich wollte ebenso hineinspringen, dann ertönten weitere Schüsse und eine Kugel traf mich. Sofort durchzog mich ein unsäglicher Schmerz und ich sackte zu Boden. Meine Augenlider wurden schwer und die Welt um mich herum begann zu verschwimmen.
Ein letztes Mal erschien der Fremde vor mir, sah mich mit sanftem Lächeln an. „Du hast die Aufgabe erfüllt", flüsterte er. „Du kannst dich jetzt ausruhen. Du bist in Sicherheit." Seine Worte fühlten sich tröstend an, beinahe friedlich. Alles in mir wurde ich ganz ruhig. Einen Augenblick später spürte ich noch, wie meine Mitsoldaten mich in Sicherheit brachten, dann verlor ich das Bewusstsein.

Fateful Dreams | Larry StylinsonWhere stories live. Discover now