H - Wo ich wirklich hingehöre

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"Sie wollen zum Stützpunkt?" 
Der Taxifahrer musterte mich und ich nickte leicht. "Korrekt. Danke." antwortete ich ihm schlicht und sah aus dem Fenster. Louis zu verlassen fiel mir schwerer, als ich es für möglich gehalten hätte. Er hatte sich so wacker geschlagen, doch ich konnte es ihm ansehen, er hatte gekämpft, um nicht zu weinen. 
Fahrig wischte ich mir über meine Augen und schüttelte leicht den Kopf. Ich hatte in meinem Leben nur sehr wenig geweint, schon gar nicht kurz vor der Abreise in Einsätze. Das hier war neu. Es fühlte sich beschissen an, denn ich merkte gerade, dass ich nicht so bereit war, wie ich gedacht hatte. Aus irgendeinem Grund sah ich noch einmal in meine Tasche, um zu schauen, dass ich nichts vergessen hatte. Auf der Kleidung lag ein Zettel, den ich öffnete. Louis hatte mir eine Nachricht geschrieben und ich las sie mir durch, schluckte und strich über die Buchstaben. Mein Baby, meine Liebe. Er war der wundervollste Mensch auf der Welt, das wusste ich bereits, doch seine Worte trafen mein Herz direkt und ohne Umwege. 

Mein Herz zog sich heftig zusammen, ein ungutes Gefühl überkam mich und ich schnappte nach Luft, erschrocken darüber, was gerade in mir passierte. Was war denn jetzt los? Ich kramte mein Handy hervor und wählte Louis' Nummer, doch er nahm nicht ab. Ich wählte Gemma's Nummer. 
"Hallo?" 
"Gems? Hi, ich bin's." sagte ich. Ein überraschter Ton verließ ihren Mund. "Was ist los? Ich dachte du wärst schon los." 
"Nein, hör mal. Kannst du vielleicht heute nach Lou sehen? Nur zur Sicherheit..." fragte ich sie. "Ich weiß, er ist stark. Aber er kennt das nicht, ich weiß nicht, ich habe ein blödes Gefühl, wenn er allein ist." 
"Bruderherz, ich bin bereits auf dem Weg zu ihm. Niall hat mich abgeholt und wir sind bald bei ihm, keine Sorge. Wir kümmern uns um ihn." antwortete sie mir und ich atmete erleichtert durch. "Danke, Gems." sagte ich leise. 
"Kein Problem. Pass auf dich auf, okay? Ich hab dich sehr lieb." 

Nachdem wir aufgelegt hatten und ich den Stützpunkt nach der Fahrt betrat, wurde meine Anspannung nicht besser. Normalerweise fühlte ich Ruhe, ein bisschen Aufregung vielleicht. Doch heute war alles anders. Mein Puls war ungewöhnlich hoch und ich versuchte es mit Atemübungen, um mich zu beruhigen. Es half nichts. 
Ich meldete mich an und ging durch die Absperrung, in einiger Entfernung sah ich Liam auf mich zukommen. Er breitete die Arme aus und strahlte mich an. "Styles! Bist du bereit? Let's fucking go!" rief er und war völlig euphorisch. Eine absolut unangemessene Reaktion, doch so war er. Wir schlugen ein und er klopfte mir beherzt auf die Schulter. "Endlich wieder vereint, was sagst du? Hast du dich ordentlich verabschiedet?" Er zwinkerte mir vielsagend zu und ich verdrehte die Augen. "Unangebracht, Payne." antwortete ich einfach nur.

"Aber wieso?" Er sah mich an. "Freust du dich nicht auf den Einsatz?" fragte er mich ganz direkt und ich geriet innerlich ins Schwanken. Freude hatte ich nie empfunden. Doch auch keine Abneigung. Es war eine Pflicht und das Gefühl, der Welt etwas Gutes zu tun mit meinen Taten. Doch Abneigung war es, was in mir vorging. Abneigung all dem gegenüber. Wieder durchzog mich ein Schmerz und ich fasste mir an die Brust, keuchte leise auf und schloss die Augen. Vor meinen Augen erschien Louis, weinend auf dem Boden. Erschrocken riss ich die Augen wieder auf und sah mich um, griff nach meinem Handy um ihn anzurufen. 
"Captain Styles!" unterbrach mich eine Stimme und ich nahm wie automatisch Haltung an und salutierte meinem Chef, steckte das Handy eilig weg. 
General Perkins salutierte ebenfalls, dann lächelte er mich an. "Schön, Sie wieder fit zu sehen, Junge!" Auch er klopfte mir auf die Schulter und ich nickte leicht. "Da kann ich Ihnen nur zustimmen, General." antwortete ich. Das leichte Zittern in meiner Stimme ließ sich nicht leugnen. 

"Letzte Chance, Styles. Sind Sie wirklich bereit?" fragte er mich, musterte mich ganz ernst. Ich konnte ihn nur anstarren. Mein ganzer Körper wehrte sich vehement und ich konnte den Druck auf meinen Augen fühlen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich fasste mir ans Herz. Ich realisierte es in diesem Moment.
Weder war ich bereit, noch wollte ich hier weg. Jahrelang war die Armee und meine Einsätze das Wichtigste in meinem Leben gewesen. Es gab nichts darüber oder daneben. Das war ich gewesen. 
Doch das hatte sich geändert. Da war mehr. Da war Louis. Liebe. 
Als erneut der Schmerz durch mich fuhr, fasste ich mir erneut an die Brust und stöhnte leise auf, sah meinen General an und schüttelte langsam den Kopf. Tränen bildeten sich in meinen Augen und ich sah ihn an. 
"I-Ich...das...ich kann..." stammelte ich und fing an, schwer zu atmen. 

Der General machte einen Satz nach vorn und sah mich an. "Captain?" 
Ich sah ihn an und sah meine Chance. "Ich habe gelogen, was die Panikattacken betrifft. Ich habe den Dienstarzt belogen. Ich...ich will nicht gehen, ich bin nicht bereit." sprach ich die Worte, die mich aus der Situation befreien konnten. Sie waren gelogen, ja, aber das musste ich dem Mann vor mir ja nicht erzählen. Würde ich ihm sagen, dass ich wegen der Liebe nicht gehen wollte, er würde mich auslachen. Doch ein dienstunfähiger Soldat war plausibel, so durfte er mich nicht gehen lassen. Laut der Regeln müsste er mich umgehend beurlauben und nach Hause schicken, nach einem Gespräch mit dem Dienstarzt. Denn für meine Lüge würde es ein Disziplinarverfahren geben, wäre ich mit Panikattacken in den Einsatz gegangen, hätte ich die ganze Truppe gefährden können. 
Doch es war mir scheißegal. Ich realisierte, dass meine Aufgabe hier zu Ende war. Ich hatte eine andere Aufgabe, nein, einen anderen Sinn gefunden. 

***

Das Gespräch mit dem Dienstarzt und meine anschließende Beurlaubung zog sich wie Kaugummi, während die Emotionen in mir wie ein Sturm tobten. Mir war deutlich bewusst, dass es nicht nur meine eigenen waren, dass ich Louis fühlen konnte. Das war das Schlimme daran. Ich wollte so schnell wie möglich zu ihm zurück. Mein Lou. 
"Ich wünsche Ihnen alles Gute, Captain." sagte der Dienstarzt abschließend und ich erhob mich aus dem Stuhl. "Nach Ihrer Beurlaubung besprechen wir lokale Stellen, wenn Sie das möchten." 
Ich nickte. "Das möchte ich, ja." 
Die Worte fühlten sich an wie ein Befreiungsschlag, was mich vollkommen irritierte. So hatte ich noch nie über meine Arbeit gedacht. Louis hatte mein Hirn völlig umgebaut, so kam es mir vor. Er hatte meine Welt aus den Angeln gehoben und mich neu justiert. 

Ich schulterte meine Tasche und eilte förmlich vom Stützpunkt genau in dem Moment, als ich das Geräusch des startenden Flugzeuges hörte, dass Liam und den Rest meiner Truppe  geradewegs in den Krieg bringen würde. Einen Moment hielt ich inne und sah ihnen nach. Nichts als Erleichterung durchflutete mich, ließ mich realisieren, dass ich das Richtige tat. Eilig ging ich zu dem Taxistand, öffnete die Tür eines Autos und ließ mich auf die Rückbank fallen. Ich stockte, als ich realisierte, dass es der Taxifahrer von vorhin war. Auch er sah mich irritiert an für einen Moment. Ich musste lächeln. 
"Wenn Sie es noch wissen von vorhin, dann würde ich gern dort hin zurück, wo ich hergekommen bin." sagte ich. Er lächelte mich an. "Na klar!" 
Dann fuhr er los. 

Als ich zahlte und ausstieg, rief ich Gemma an. Sie meldete sich sofort. "Bitte sag mir, du hast dich umentschieden." 
"Ja! Bist du noch bei Lou? Ich stehe vor der Tür." 
"Oh Gott sei Dank!" rief sie aus und legte auf. Irritiert sah ich auf das Handy, dann lief ich zur Tür um zu klingeln. Die Tür öffnete sich vor mir und im nächsten Moment sprang mir meine Schwester entgegen und umarmte mich fest. "Ich hab's gewusst! Ich bin so erleichtert!" sagte sie und schluchzte leise auf. Ich drückte sie an mich. "Wie geht es ihm?" fragte ich sie sofort. 
Sie löste sich und sah mich an. "Sagen wir mal so, bloß gut bist du zurück gekommen." antwortete sie mir und wirkte bedrückt. 

Mein Herz raste, als ich an ihr vorbei ging und die Treppe nach oben rannte. An der Tür stand Niall, der mich erleichtert ansah. "Alter, ich bin scheißfroh, dass du nicht gegangen bist." sagte er und ich lächelte ihn an und nickte. "Ich auch. Wo ist Lou?" 
Er zeigte auf das Schlafzimmer. "Er ist eben eingeschlafen, endlich. Er war völlig am Ende. Ich glaube, er hat alles unterdrückt, bis du gegangen bist. Als wir angekommen sind, war er komplett fertig." 
"Mein armes Baby..." murmelte ich und klopfte Niall auf die Schulter. "Danke, dass du dich gekümmert hast." 
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ist ja wohl selbstverständlich." 
Noch einmal schenkte ich ihm ein Lächeln, dann stellte ich die Tasche ab und ging zum Schlafzimmer, öffnete leise die Tür und trat ein. 

Und da lag er, mein Lou. Zusammengekauert und in die Decke eingewickelt, nur sein Kopf schaute heraus, auf seinem Gesicht kein Lächeln wie sonst immer. Er schlief, doch er wirkte so traurig. Ich hockte mich leise vor das Bett und strich ihm durch die Haare, so sanft es ging. Als er langsam die Augen öffnete, lächelte ich sofort. "Hallo, mein Schöner." flüsterte ich. 
Er riss die Augen auf und starrte mich an. "Ist das ein Traum?" hauchte er ungläubig und ich schüttelte den Kopf. "Nein, Baby. Diesmal kein Traum." 
Er befreite sich aus seinem Bettdecken-Burrito und fasste mich an, legte die Hand auf mein Herz und sein Blick war fassungslos, die Augen rot gerändert vom Weinen. "Du bist nicht geflogen?" fragte er unsicher und ich schüttelte den Kopf. "Ich bin nicht geflogen, Lou. Ich bin hier, bei dir. Da wo ich wirklich hingehöre." 



Fateful Dreams | Larry StylinsonWhere stories live. Discover now