4. Alexy

605 35 3
                                    

„Heulst du mir jetzt wieder die Ohren voll?" Armin saß in dem bequemen Sessel in unserem Zimmer und hatte seine PSP in der Hand. Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Nicht, wenn du mir so kommst und mir so unverblümt zeigst, dass du Interesse an meinen Sorgen hast."
Er lachte. „Bist du verknallt? In die Brillenschlange?"
Ich sah ihn finster an. „Er ist keine Brillenschlange!"
„Ok, ok... dann nicht... aber ist es so? Du magst ihn und er ist so scheiße zu dir..."
Ich setzte mich auf das Bett und zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung... ich mochte ihn früher... und jetzt auch noch... aber ich weiß nicht, warum er so ist... er hatte doch damals auch keine Probleme damit, dass ich auf Jungs stehe."
Armin streckte seine langen Beine aus und dehnte die nackten Zehen.
„Vielleicht solltest du dir einen anderen suchen? Einer, der besser mit dir umgeht?"
Ich machte mich lang. „Wenn das mal so einfach wäre... Ich träume von ihm..."
Mein Bruder lachte kichernd. „Keine Details bitte... es reicht mir schon zu wissen, was du schon alles probiert hast."
Nun war es an mir zu lachen. „Ich kann ja nichts dafür, dass du noch Jungfrau bist und ich nicht."
„Jedenfalls würde ich sein Verhalten sehr abschreckend finden. Und gemein ist es auch. Wenn ich nochmal mitkriege, dass er Schwuchtel oder so zu dir sagt, box ich ihm auf die Nase."
Ich lächelte ihn an.
Armin war ein Träumer, ein hoffnungsloser Zocker, der nichts mehr liebte als Gaming und Rollenspiele, aber ich konnte mich auf ihn verlassen. Er mochte manchmal etwas neben sich stehen, aber er war immer für mich da und dafür liebte ich ihn.
„Danke, Mann."
„Kein Ding. Dafür hat man doch einen Bruder."
Als ich die Melodie eines Games hörte, wusste ich, dass Reden ab jetzt keinen Sinn mehr hatte. Er war in der Welt von Bits and Bytes und ich war abgemeldet. Ich zog mir meine Kopfhörer über die Ohren, drehte die Musik auf und schloss die Augen.
Kentins türkise Augen mischten sich in die Farben, die ich beim Hören der Tracks vor meinem inneren Auge sah. Meine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen und mein Herz hüpfte im Takt der Musik.
Ich war verliebt! Eindeutig.
Und das bedeutete, dass ich am Arsch war, denn das Objekt meiner Gefühle benahm sich wie die Axt im Walde mir gegenüber.

Ich schlief ein und erwachte erst, als meine Mutter uns zum Abendessen rief.
„Na Alexy... so verträumt?"
Meine Mama grinste und strich mir über den Kopf.
„Ich hab gepennt..." murmelte ich.
„Und hast die ganze Zeit gequatscht im Schlaf... 'Kentin, Kentin'... hahaha..."
Mein dummer Bruder lachte und setzte sich an den Tisch. Ich funkelte ihn an und knuffte ihm gegen die Schulter.
„Idiot!" motzte ich und meine Mutter und Armin lachten nur noch mehr.
„Ach, Kentin, ja? An den kann ich mich erinnern... der Kleine mit der Brille?"
„Nein, jetzt ist er größer als wir und trägt Kontaktlinsen. Alexy findet ihn geil..."
Ich beschloss, nichts mehr zu sagen, denn die beiden schienen sich vorgenommen zu haben, mich unerbittlich zu foppen.
„Lasst mich doch in Ruhe..." brummte ich und nahm mir ein Schnitzel.
Mein Vater kam in die Küche und verdrehte mit einem Grinsen die Augen, weil meine Mutter und Armin immer noch lachten.
„Haben sie wieder etwas gefunden, um dich zu ärgern, Alex?"
Ich brummte zustimmend und gemeinsam ließen wir die beiden lachen und packten uns die Teller voll.
„Mach dir nichts draus, Junge. Irgendwann suchen die sich noch ein richtiges Hobby und hören auf, dich zu foppen. Albernes Volk."
Ich lächelte nur. Mein Vater war cool. Viel cooler, als ich erwartet hatte. Ich hatte befürchtet, dass er ausrasten würde, als ich meinen Eltern sagte, dass ich Jungen liebte. Aber er hatte nur gelacht.
Wirklich.
Er hatte gelacht und gesagt, dass es völlig unnötig war, ihnen zu sagen, dass ich schwul war, schließlich wussten sie es bereits, seit ich ein kleiner Junge war. Ich war schon immer mehr ein Mädchen, hatten sie gesagt. Ich mochte immerhin schon immer bunte und grelle Farben, flippige Klamotten und war fast nur mit Mädchen befreundet.
Es hatte mir eine gefühlte Tonne Last von den Schultern genommen. Armin wusste es natürlich als Erster. Er wusste immer alles.

Nach dem Essen hielt ich mir den Bauch. Ich hatte es übertrieben und zuviel von Mamas gutem Kartoffelbrei.
„Boah, das war gut... jetzt kann ich mich rollen."
„Oh Mann, dann kann ich die nächsten 20 Minuten nicht aufs Klo gehen, wenn du jetzt auf den Pott gehst!"
Ich sah Armin funkelnd an. „Ich muss nicht! Aber ich geh nachher noch duschen."
Meine Eltern räumten das Geschirr weg und Armin hatte bereits wieder die PSP in der Hand, die er normalerweise in seiner Gesäßtasche mit sich herumtrug. Ich verkrümelte mich in unser Zimmer und vergrub mich in meinem Schrank. Wie immer überlegte ich, was ich anziehen sollte.
Ich machte mir nichts daraus, dass andere sagten, ich würde rumrennen wie ein Clown. Ich liebte bunte Klamotten, es konnte nicht knallig genug sein und ich fand es umso besser, wenn sich die Farben ein wenig bissen.
Aber es verletzte mich, wenn diese Worte von Kentin kamen.
Gerade von ihm, der vor der Militärschule herumlief wie ein Nerd in den peinlichsten Klamotten seit Menschengedenken. Meine waren ausnahmslos Markenklamotten, egal wie bunt sie waren.
Kein Wunder, wenn mein Vater der Leiter des größten Einkaufszentrums in unserer Region war und in jedem Geschäft einen Mitarbeiterrabatt von 50 % hatte.
Und seit Kentin wieder da war, war er arrogant und oberflächlich und machte sich über meine Kleidung lustig, obwohl er selber damals um ein vielfaches grauenhafter angezogen war.
„Na, Partyhengst, weißt du schon, womit du morgen unsere armen Augen quälst?"
Mein Kopf lugte über die Tür.
„Jap... was sagst du zu einer grünen Hose, einem gelben T-Shirt und einer blauen Jacke?"
Armin lachte.
„Grauenvoll. Wie immer."
„Super, dann ist es genau richtig. Ich geh jetzt duschen, ok?"
Er saß nur nickend in dem Sessel. Seine PSP lief unentwegt und ich machte mich mit einem frischen Shirt und einer Unterhose auf den Weg ins Bad.
Während ich mich mit meinem Bebe-Duschgel einseifte, grübelte ich und merkte, wie der Ärger erneut in mir anwuchs. Ärger über Kentin.
Gott, warum dachte ich eigentlich immer über ihn nach? Ich war verknallt, ich war es echt, aber es regte mich trotzdem auf. Warum er?
Warum ausgerechnet er? Wäre er noch so wie vor einem Jahr, etwas weniger hübsch, aber lieb und angenehm und irgendwie zuckersüß, dann wäre es verständlicher, aber was sollte ich mit einem arroganten, oberflächlichen Kotzbrocken, der ständig auf anderen herumhackte.
Bestätigte ich damit nicht das Klischee, dass die meisten Menschen in der Liebe auf Arschlöcher standen?
Ich seufzte und spülte meinen Körper ab. In frischen Sachen kehrte ich in das Zimmer zurück. Armin lag im Bett und zockte, natürlich.
Ich krabbelte die Leiter zu meinem Bett hoch, denn wir teilten uns schon seit Kindheit an ein cooles Doppelstockbett, das mein Vater selbst konstruiert und gebaut hatte.
„Mach deinen dusseligen Spielton aus, ich will pennen!" brummelte ich und zog mir die Decke bis zu den Ohren hoch.
„Jaja, schon gut."
Ich hörte ein leises Klicken und der Ton war aus. Dadurch, dass ich oben im Bett lag, störte mich das Licht der Konsole nicht.
„Nacht, Zocker."
„Nacht, Homo." Mein Bruder war der Einzige, der das zu mir sagen durfte, ohne dass ich es als Beleidigung auffasste. Wir stichelten uns gegenseitig mit unseren kleinen Macken und das war scherzhaft und irgendwie liebevoll gemeint.
Mit der Farbe Türkis vor Augen schlief ich ein.

Am Morgen war ich lange vor dem Wecker wach. Ich hatte verstörende Dinge geträumt und musste mitten in der Nacht aufstehen, um mich auf der Toilette zu erleichtern. In zweierlei Hinsicht.
Ich schämte mich dafür, nachts auf der Toilette zu sitzen und mir einen runterzuholen, aber was sollte ich machen?
Damit hätte ich nie wieder einschlafen können und durch den Gedanken an Kentins Gesicht ging es schneller als ich erwartet hatte. Das war mir peinlich und ich zweifelte daran, dass ich ihm später in die Augen sehen konnte, nachdem ich das getan hatte.
Meine Augenringe mussten bis zu meinen Mundwinkeln reichen, als ich etwas später am Frühstückstisch saß und Armin musste mich ein bisschen mitziehen, als wir losmussten.
Ich wäre gern wieder ins Bett gegangen.
In der Schule sah ich Kentin schon an den Fahrradunterständen stehen und merkte sofort, dass es mir unangenehm war, ihn anzusehen. Obwohl er sehr gut aussah. Sein Blick traf mich und wurde sofort grimmig.
Was hatte ich ihm denn nun wieder getan?
„Glotz nicht so, schwuler Freak!" motzte er mich an und schob sich an Armin und mir vorbei.
„Tollen Typen hast du dir da ausgesucht, Bruderherz." meinte Armin nur und wir betraten das Schulgebäude.
Manchmal hasste ich Kentin so sehr, obwohl ich ihn liebte. Ich tat es echt. Und deswegen war ich ein absoluter Trottel.
Während der Tag so dahintröpfelte und ich nur daran denken konnte, dass mein Bett auf mich wartete und dass ich in der Nacht zu dem Gesicht eines Jungen, der mich offensichtlich hasste, masturbiert hatte, bemerkte ich irgendwann, dass die Augen eben dieses Jungen mich zu verfolgen schienen.
Was war das denn bitte?
Er machte mich dumm an, nölte rum, beleidigte mich, aber glotzte mir die ganze Zeit hinterher?
Trottel.
In der Mathestunde saß er eine Bank schräg vor mir und Armin und selbst da konnte ich spüren, dass er angespannt war und immer mal wieder nach hinten schielte.
Was wollte er bitte? Hatte ich einen grünen Pickel im Gesicht oder was?
Das stresste mich so sehr, ich konnte mich kaum auf den Unterricht konzentrieren und kritzelte nur auf meinem Blatt rum, weil ich mich ständig verschrieb.
Irgendwann gab ich es seufzend auf, legte den Kuli weg und wartete nur noch, dass es klingelte. Armin, der sonderbarerweise sehr gut in Mathe war, schrieb für mich mit.
Die Zeit tickte langsam an der Uhr runter und als es klingelte, machte Kentin die Biege, als hätte ihn etwas gestochen.
Ich hatte die ganze Zeit gegrübelt und war zu dem Schluss gekommen, einfach etwas auszuprobieren. Ich schulterte meinen Rucksack und hielt Ausschau nach dem Proll in Army-Hosen. Als ich ihn am Vertretungsplan stehen sah, straffte ich die Schultern, ging auf ihn zu und packte ihn am Handgelenk.
„Wa...? Lass mich los, Schwuchtel-Schlumpf!"
„Netter Spitzname. Wir müssen mal reden!"
Ich zog ihn hinter mir her zu einer der Jungentoiletten, die nicht so häufig besucht wurden und schob ihn in eine der Kabinen.

Lieb' mich nicht! [AS]Where stories live. Discover now