11. Kentin

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Morgen war die dusselige Halloweenparty.
Seit über einer Woche hatte ich das Gefühl, das Alexy mir aus dem Weg ging. Er hielt deutlich Abstand zu mir.
Das fiel mir deswegen so sehr auf, weil er vorher immer irgendwie in Sichtweite war. Als hätte er das Bedürfnis, mich immer und überall sehen zu können.
Dieser Freak.
Das brachte mich zum Grübeln.
Sollte es am Ende wirklich so sein, dass er nicht nur ein bisschen rummachen wollte, sondern ernsthaft... verliebt  in mich war?
Daran hatte ich erst zu denken begonnen, als er mich letzte Woche Dienstag einfach so hatte stehen lassen. Mit diesem Blick im Gesicht und diesem Ton in der Stimme.
Verletzt. Zurückgewiesen.
So wie ich mich immer von meinem Vater behandelt fühlte.
Und seit er sich betont von mir fernhielt und beinahe nur noch mit MariJo und Viola zusammenhing, ertappte ich mich nun, wie ich nach ihm Ausschau hielt.
Dieser blauhaarige Freak schaffte es immer wieder, dass ich an ihn dachte und über ihn nachgrübelte.
Verdammt...
Mein Vater hackte in den letzten Tagen auch mehr auf mir herum als sonst, was mich zusätzlich stresste.
Grund war, dass er und seine Typen im Schützenverein immer wieder kein anderes Thema hatten als ihre Söhne und deren Wundertaten und besonders deren Freundinnen.
Mein Vater ließ kein gutes Haar an mir, wie immer. Und das ich keine Freundin hatte, war Anlaß für ihn, mich weiter schlecht zu machen.
Seine überaus konservativen und einfältig gestrickten Freunde lästerten und zogen ihn damit auf, dass ich ja ein Hinterlader sein könnte.
Als mein Vater vorhin nach einem dieser Stammtische nach Hause kam, motzte er mich gleich an. Brüllte mich förmlich an, warum ich eigentlich keine Freundin hatte.
„A-an meiner Schule gibt es keine, die mich interessiert..." stammelte ich. Ich war völlig perplex, so von ihm überfahren worden zu sein.
Meine Mutter kam ins Wohnzimmer, gehüllt in eine geblümte Schürze und mit einem Geschirrtuch in der Hand.
„Aber Liebling. Lass doch den Jungen in Ruhe. Der ist doch erst seit ein paar Wochen wieder an der Schule, wie soll er denn da schon ein Mädchen haben...?"
Der Blick meines Vaters sprach Bände. Er hatte zuviel getrunken und war gereizt.
„Bah... das glaubst du doch selber nicht. Eine kleine Schwuchtel ist er, so ist das! Fast 18 und noch nie ein Mädchen gevögelt, das ist doch nicht normal für einen Jungen, der richtig tickt."
Mein Kopf wurde rot vor Zorn.
„Nur weil ich nicht mit der Erstbesten ins Bett steige, bin ich gleich schwul? Spinnst du eigentlich? Hörst du dich eigentlich reden?"
Seine gewaltige Faust donnerte auf den Wohnzimmertisch.
„Wag es nicht, so mit mir zu reden, Bengel! Mit der Erstbesten, dass ich nicht lache. Wer will dich denn schon? Was hast du einem Mädchen denn zu bieten? Kleiner Schwächling. Es passt zu dir, dich zu bücken und dich von einem Kerl ficken zu lassen."
Ich ballte meine Hände zu Fäusten.
Die Erinnerung an Alexys Berührungen und seine weichen Lippen drängte sich in mein Hirn wie ein glühender Stab. Mein Herz raste.
„Du bist doch krank! Was willst du tun, wenn's so wär?"
Sein Blick wurde ruhig und kalt.
„Komm du mir als Schwuchtel an und ich prügle dir jeden einzelnen Knochen aus deinem männervögelnden Leib, das verspreche ich dir."
Ich biss mir auf die Lippen.
Ich hatte sowas schon geahnt, aber es jetzt tatsächlich so aus seinem Mund zu hören, erschreckte mich schrecklich.
Er würde das wirklich durchziehen. Er war ein Soldat, ausgebildet zum Töten und skrupellos, wenn es sein musste. Und das war er, wenn etwas gegen seine Prinzipien verstieß.
Und Schwule verstießen gegen alles, was für ihn heilig war. Er war ein Christ, fast schon fanatisch und sagte immer, sie seien unnatürlich und eine Beleidigung für Gott.
Und wenn sein eigener Sohn auch dazugehören sollte, war das für ihn etwas, dass tunlichst korrigiert werden musste.
Das machte mir Angst.
„Na dann ist es ja gut, dass ich nicht schwul bin, oder?"
Ich stand auf, nahm mein Hemd vom Sofa und verzog mich mit den Worten „Du spinnst doch!" in mein Zimmer, die Tür zuknallend.
Schwer atmend lehnte ich mich drin an das Holz und schloss die Augen.
Verdammt, verdammt, verdammt...
Ich schüttelte den Kopf, um Alexys lachendes Gesicht vor meinem geistigen Auge zu verdrängen.
„Nein..." hauchte ich fast lautlos.
„Ich darf das nicht..."
Ich war völlig fertig und ließ mich an der Tür nach unten rutschen, die Hände auf das Gesicht gepresst.
Es hatte schon lange keinen Sinn mehr, mir vorzumachen, dass da keine Gefühle für Alexy wären.
Als ich ihn küsste, war mir, als würde mein Herz zerspringen und als seine Finger sich in meine Haare gruben, erregte mich das ungemein.
Die Neugier auf dieses neue, völlig verrückte Gefühl fraß mich beinahe auf.
Ich hasste es, aber Alexy hatte Recht.
Ich wollte ihn wie er mich.
Aber ich konnte nicht schwul sein. Ich durfte es einfach nicht. Mein Vater würde mich umbringen, verstoßen, mein Leben zur Hölle machen, mich kaputtmachen.
Ich wollte nie feige sein.
Doch ich war es. War es immer. Dafür hatte mein Vater gesorgt.
Er hatte mich immer kleingehalten und mir das Gefühl gegeben, nichts zu können, unwichtig zu sein.
Unerwünscht.
Genauso unerwünscht, wie es meine komischen Gefühle für Alexy waren.
Aber ich konnte sie nicht abstellen.
Und insgeheim genoss ich sie. Es war wie bei MariJo damals.
Und doch ganz anders.
Es fühlte sich an, als wäre ich verknallt.
Aber das konnte nicht sein.
Ich konnte unmöglich wollen, dass Alexy mich nochmal so berührte wie auf der Toilette. Oder sogar noch mehr als das machte. Oder wollte, dass ich es bei ihm tat.
Außerdem hatte ich ihn zurückgestoßen.
Er musste verrückt sein, würde er je wieder mit mir reden.
Er meinte, ich hätte gewonnen und er würde mich in Zukunft in Ruhe lassen.
Bis jetzt hatte er sich daran gehalten und schien mit den Mädchen richtig aufzublühen. Als hätte er überhaupt keine Probleme damit, dass ich ihn nicht wollte.
Oder gesagt hatte, dass ich ihn nicht wollte. Wo ich mir selber noch nicht mal mehr ganz sicher war.
Genervt von meinen ewigen Grübeleien erhob ich mich schwerfällig und trat gegen das Bein meines Bettes.
„Verdammte Scheiße!"
Es war früher Abend und ich musste mich beruhigen.
Obwohl ich keinen rechten Sinn darin sah, morgen auf diese Halloweenparty zu gehen, öffnete ich meinen Schrank und nahm das Kostüm heraus.
Unsinnig zu erklären, dass es eine Soldatenuniform war, mit Springerstiefeln und einem Pistolenholster. Ich hatte sogar eine Präzisionsgewehrattrappe.
Ich hing die Sachen am Bügel über die Tür meines Badezimmers.
MariJo hatte versprochen, mir noch etwas Blut und Schrammen ins Gesicht zu malen, damit es nach Halloween aussah.
Mir war es eigentlich egal. Ich würde den morgigen Tag lieber blaumachen.
Andererseits wollte ich nicht zuhause sein und den ganzen Tag die Stimme meines Vaters durch das Haus gröhlen hören.
Und ich war neugierig, als was sich MariJo und auch Alexy verkleiden wollten.
Schnaufend zog ich mir den Pullover über den Kopf und warf ihn in den Wäschekorb.
Es war noch nichtmal ganz acht Uhr, aber ich war hundemüde.
Meine Sachen auf einen Haufen fallen lassend, zog ich mich bis auf die Unterwäsche aus und ging ins Badezimmer.
Als das heiße Wasser meine Haut berührte, seufzte und entspannte ich mich.
Ich liebte es, zu duschen.
Mit viel heißem Wasser Bedenken, Sorgen und Anspannung abwaschen.
Ich ignorierte das Kribbeln meiner Haut, das beim Gedanken an den blauhaarigen Dussel über mich kam und drehte das Wasser schlagartig kalt.
Die Zähne aufeinander beißend verkniff ich mir ein Aufschreien.
Ich stellte das Wasser ab und trocknete mich ab.
Ohne den geringsten Bock, mit meinem Vater zu Abend zu essen, packte ich mich ins Bett und zog mir die Decke über die Ohren. Dass meine Mutter an der Tür klopfte und in mein Zimmer sah, bekam ich nur unterschwellig noch mit.

Lieb' mich nicht! [AS]Where stories live. Discover now