20. Alexy

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„Warte... Kentins Vater ist nicht sein Vater, habe ich das richtig verstanden? Und er hat euch beide in seinem Zimmer erwischt?"
Armins Nutellalöffel blieb auf halber Höhe hängen und er starrte mich entgeistert an.
Ich nickte und steckte meinen wieder in das Glas.
„Naja, er hat uns zum Glück nicht im Bett erwischt... wahrscheinlich hätte er ihn dann direkt umgebracht... aber das war so krass. Wie kann ein Mensch nur so drauf sein... er hat ihn von Anfang an aufwachsen sehen, wie kann er da so unempfindlich sein? Wie kann man denn bitte keine Gefühle für ein kleines Kind entwickeln? Ich hasse diesen Mann."
Armin lehnte sich nach hinten.
„Schon echt scheiße. Kein Wunder, dass er immer so... aggro drauf ist, seit er wieder da ist. Und was machst du jetzt? Ich meine... bei dem Vater hab ich echt Angst, dass du auch was drauf bekommst."
Ich kletterte auf mein Stockbett und ließ mich ins Kissen fallen.
„Ich auch. Aber ich kann und will ihn nicht mit den ganzen Problemen im Stich lassen. Schließlich ist er mein Freund."
„Versteh ich..." Armin seufzte und ich hing mich über das Geländer. In meinem ganzen Streß mit Ken war mir entgangen, dass es ihm nicht gutzugehen schien.
„Alles klar bei dir?"
„Klar..." Er sah mich nicht an und ich sprang wieder vom Bett. Ich hüpfte auf seine Decke und hielt mein Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt... etwas, was ich als Kind fast immer gemacht habe, wenn ich wollte, dass er mir sein Geheimnis anvertraute.
Und auch dieses Mal sah er mich so in die Enge gedrängt an wie damals und verzog den Mund.
Das tat er allerdings erst, seit ich angefangen habe, Jungs zu küssen. Das war ihm unangenehm.
„Was?"
„Du lügst... komm, raus mit der Sprache! Es ist wegen Mari, oder?"
Er sah mich nicht an.
„Ich weiß nicht, was du meinst..."
Ich setzte mich im Schneidersitz neben ihn.
„Nein... natürlich nicht. Du hast noch nicht mitbekommen, das sie jetzt mit Castiel zusammen ist. Wem willst du das weismachen?"
„Niemandem. Ich freu mich für sie..." Erstmals sah er mich an.
„Mal ehrlich... sie hätte sich nie für mich entschieden, wenn auch nur der Hauch einer Chance bestanden hätte, das Castiel sie mag. Und das tut er ja scheinbar. Also ist es ok für mich. Nicht schön, aber ok... ich will mich nicht dazwischen drängen."
Ich lächelte. Mein Bruder war schon ein netter Kerl. Zu gut für diese Welt.
„Mach dir nichts draus... zufällig weiß ich jemanden, der dich sehr nett findet..."
Seine Augen sahen mich zweifelnd an.
„Ein Kerl?"
„Nein! Natürlich nicht. Ein Mädchen."
Er sah an die Unterseite meines Bettes und seufzte.
Ich wollte es ihm nicht vorhalten, aber wenn er sich etwas mehr ins Zeug gelegt hätte, hätte er sie bekommen, denn sie mochte ihn und wäre mit etwas mehr Einsatz von ihm bestimmt auch schwach geworden.
Aber ich schwieg.
Er wollte es nicht hören und ich wollte ihn nicht noch mehr quälen.
„Wer?"
„Mach die Augen auf, dann wirst du es merken. Ich geh jetzt duschen und dann ins Bett. Morgen muss ich überlegen, wie ich Kentin in seiner Situation unterstützen kann."
Ich krabbelte vom Bett und ging ins Bad, während Armin nach seiner PSP griff.
Unter dem heißen Wasser tauchte Kentins Gesicht vor meinem geistigen Auge auf. Sein Schmerz, den sein ignoranter Vater ihm zufügte, seine Tränen heute nachmittag, die Angst in seinen Augen, die Sehnsucht eines Kindes nach einem Vater, der es versteht.
Ich hasste seinen Vater, wirklich. Ich kannte ihn nicht, ich wusste nicht, was ihn zu diesem Menschen hat werden lassen, aber ich konnte ihm nicht verzeihen, dass er Kentin immer so wehtat.
Ich wollte ihn beschützen. Denn ich glaubte fest, dass ich das musste. Spätestens, wenn sein Vater erfuhr, dass wir beide mehr als nur Schulkameraden waren.
Ich hatte nicht vor, auf ihn zu verzichten und würde ihn notfalls entführen, wenn sein Vater sich querstellen sollte.
Armin lag halb unter seiner Bettdecke mit seiner Konsole, während ich in meinem Schrank nach einer seegrünen Hose, einem gelben T-Shirt und einem violetten Sweatshirt suchte.
„Wo sind denn meine DC-Schuhe?"
„Die mit den Comic-Figuren drauf? Ich glaube, die liegen unter dem Bett."
Ich fand sie und stellte sie neben die Tür.
„Gut... ich gehe ins Bett... kann ich das Licht ausmachen?"
„Jap." Armin war kurzangebunden, weil er in einem Level steckte.
Ich kletterte auf mein Hochbett und zog die Decke bis an die Ohren hoch.
Es dauerte eine Weile, bis ich einschlief, denn in meinem Kopf wirbelten die unterschiedlichsten Gedanken umher.

Lieb' mich nicht! [AS]Waar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu