15. Kentin

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Mein Herz pochte noch immer, selbst als ich schon durch den kalten Wind hindurch unterwegs nach Hause war.
Alexy und ich hatten einander zum Abschied geküsst und wie jedes Mal, wenn das geschah, genoß ich es jede Sekunde.
Und als er mir sagte, dass er mich liebte, was ich ja bereits wusste, hatte ich diesen Impuls und konnte nicht anders, als ihm nachzugeben.
Ich antwortete mit dem, was ich als einzig richtig empfand.
Ich musste danach glühen wie eine Verkehrsampel und war froh, dass es zu dunkel war, als das er das sehen konnte, aber als er mich zum Abschied noch einmal küsste, spürte ich, dass er glücklicher, ja gelöster wirkte als vor meinem Geständnis.
Aber was sollte ich machen?
Meine Gefühle für ihn waren Fakt und dass ich in seiner Nähe sein, ihn berühren und küssen wollte auch. Dass ich noch viele solcher Nächte wie die letzte erleben wollte.
Denn spätestens das hatte meine Augen über meine Empfindungen geöffnet. Nachdem Alexy in der Schultoilette vor mir auf die Knie gegangen war, hatte ich mich geschämt, dass ich das zugelassen hatte, ich hatte mich schmutzig gefühlt, als hätte ich etwas Schändliches getan. Als ich heute aufwachte und mich erinnerte, dass wir miteinander geschlafen hatten, war da nicht die geringste Scham.
Überraschung, ja. Vielleicht auch ein bisschen der Schreck, dass ich das wirklich getan hatte, aber keine Scham. Denn es war schön.
Schöner als alles je zuvor.
Zum ersten Mal fühlte ich mich wohl aufgehoben, geborgen, ja geliebt.
Etwas, das mein Vater mir nie gegeben hatte und meine Mutter nur, wenn er keine Aufmerksamkeit von ihr forderte.
Alexy hatte mich so hingenommen wie ich war. Immer schon. Selbst als ich noch der hässliche kleine Nerd mit Brille war, mochte er mich lieber als jeden anderen an der Schule.
Und gestern Nacht... obwohl er Schmerzen hatte, hatte er sich völlig hingegeben in dem, was wir taten und das, obwohl ich nie angenommen hatte, dass diese Art von Liebe einem Mann überhaupt Vergnügen bereiten konnte.
Doch er bewies mir das Gegenteil.
Als er mit einem Lächeln auf den Lippen an meiner Schulter einschlief, fühlte ich mich einfach nur wohl und war glücklich, denn zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, zu wissen wo ich hingehörte.

Doch offiziell gehörte ich zu meinen Eltern und mein Vater würde niemals hinnehmen, dass ich einen Jungen liebte.
Aber ich wollte mich nicht verstecken. Ich glaubte fest daran, dass ich es schaffen konnte, mich offen zu ihm zu bekennen in der Schule und auch sonst.
Denn alles war leicht im Vergleich zu meinem Vater!
Ich lenkte mein Rad in unsere Einfahrt und stellte erleichtert fest, dass das Haus noch dunkel war.
Ich hatte keinen Nerv darauf, meinem Vater zu rechtfertigen, wo ich war und mir irgendwelche obskuren Unterstellungen gefallen zu lassen.
Ich wollte nicht wieder hören, dass ich mich für irgendeinen Kerl bücken würde, weil ich zu schwächlich und unansehnlich wäre, um eine Freundin zu haben.
Dabei war es in der vergangenen Nacht nicht ich, der sich gebückt hat... im übertragenen Sinne. Aber das konnte ich meinem Vater so auch nicht sagen.
Schließlich wollte ich meinen nächsten Geburtstag noch erleben und gerade jetzt, wo ich mir eingestanden hatte, das Alexy mir was bedeutete, wollte ich auch nicht wieder abgeschoben werden oder sonstwas.
Ich musste mich zusammenreißen, meinen Mund halten und den richtigen oder passenden Moment abpassen, bis ich es meiner Familie sagen konnte.
Oder vielleicht auch nur meiner Mutter und meinem Vater würde ich es verschweigen, bis er starb? Nein, meiner Mutter würde gegenüber meinem Alten nie dichthalten...
Seufzend schloss ich die Haustür auf.
Das wäre auch Verstecken. Das wollte ich nicht. Und das würde auch Alexy nicht gerecht werden, der so offen war und nie ein Geheimnis aus seiner Liebe gemacht hatte.
Im Wohnzimmer stellte ich fest, dass ich gestern vergessen hatte, den Verbandskasten und die benutzten Tücher wegzubringen. Schnell erledigte ich das, denn an den Stofftüchern war Blut und wenn mein Vater sie finden und feststellen würde, dass ich keine Wunden hatte, würde er wissen wollen, von wem es war und ich konnte ihm unmöglich sagen, dass ich jemanden hier zu Besuch hatte. Und schon gar nicht, dass es ein Junge war,
Denn, wie gesagt... er würde es sofort wieder in den Schmutz ziehen.
Ich tilgte Alexys Spuren im Rest des Hauses und atmete tief ein, als ich mein Zimmer betrat.
Es duftete noch immer nach ihm. Ich legte mich aufs Bett und drückte meine Nase in das Kopfkissen, auf dem er geschlafen hatte.
Dieses Gefühl war wie bei MariJo damals... nur tausendmal stärker und echter.
Ich hätte nie geglaubt, dass man sowas wirklich fühlen konnte. Ich war immer der Meinung, dass Hollywood und Schriftsteller eine übertriebene und unrealistische Vorstellung von der Liebe vermittelten, aber ich wurde eines Besseren belehrt.
Ich nickte ein und sah Alexys lachendes Gesicht vor mir, dass sich mit dem von letzter Nacht vermischte, als seine Lippen sich abwechselnd öffneten und schlossen und seine Küsse sanft wie Schmetterlingsflügel waren.
Ein lautes Türenklappen ließ mich ertappt hochschrecken. Mein Herz raste angesichts der Lust, die ich nur durch einen Traum empfand. Mein Körper verriet mich glücklicherweise nicht.
KENTIN!!"
Was war nun wieder, dass er jetzt schon so rumbrüllte? Wollte er nur überprüfen, ob ich da war oder seine miese Laune wegen was auch immer an mir auslassen?
Ich stand auf und ging in die Küche.
„Ja?"
Mein Vater sah stinksauer aus und knallte seinen Fußballschal auf den Tisch. Ich hatte noch keine Nachrichten gehört, aber scheinbar hatte sein Verein verloren.
„Was hast du getrieben, als du alleine warst??"
Mein Herz wurde unruhig. Hatte ich irgendwas vergessen, wegzuräumen? Roch es anders im Haus?
„Äh... ich war bis fünf gestern auf dem Fasching und dann zuhause. Warum?"
„Man kann euch Blagen nicht trauen, deswegen frage ich lieber."
Meine Mutter kam hinzu und ich seufzte innerlich.
Kaum waren meine Eltern zuhause, trug sie schon wieder diese alberne Schürze, als hätte sie kein anderes Leben als das hinter dem Herd. Das nervte mich. Meine Mutter machte sich klein gegenüber meinem Vater und dafür hasste ich ihn.
„Tja, ich habe jedenfalls nichts gemacht, als Hausaufgaben und fernzusehen."
Mein Vater funkelte mich an und sah sich dann argwöhnisch um.
„Verschwinde auf dein Zimmer. Ich will heut niemanden mehr sehen!"
„Bitte..." murmelte ich und verzog mich wieder.
Es wurde schon dunkel draußen und ich starrte aus dem Fenster, die Nase in dem Kissen, auf dem Alexy geschlafen hatte.
Wäre er ein Mädchen, hätte ich meinem Altern unter die Nase reiben können, dass ich in der letzten Nacht Sex gehabt hatte und das ich vielleicht doch nicht so ein Loser war, aber das war er eben nicht.
Er war ein Junge. Wie ich.
Ich schämte mich nicht, aber mein Vater...
Ich hatte wirklich Angst, was mit mir geschehen würde, wenn er es erfuhr. Dabei wollte ich nichts mehr, als zu meiner... ja, meiner Liebe stehen und dass ich so fühlte, wie ich es eben tat.
Ich hatte mittlerweile wirklich aufgegeben, zu hoffen, meinen Vater stolz machen zu können, denn es brachte nichts. Ich hatte die Akademie durchgezogen, ich hatte Muskeln aufgebaut, war der Sportlichste und Stärkste in meiner Gruppe damals gewesen, ich konnte mit Waffen umgehen und wenn ich es müsste, wüsste ich sogar, wie ich einen Menschen am effektivsten und schnellsten töten konnte.
Doch für meinen Vater blieb ich ein Loser... und ich wusste nicht, warum.
Manchmal hatte ich den sonderbaren Gedanken, dass er vielleicht nicht mein richtiger Vater war, das wusste und mich deswegen so schlecht machte. Denn das Fleisch und Blut eines anderen Mannes würde er unmöglich lieben können. Schon gar nicht, wenn ich vielleicht noch durch einen Seitensprung meiner Mutter entstanden war.
Ich seufzte.
Ich würde es sicher so schnell nicht erfahren und fragen würde ich sicher nicht.
Ich schlief wieder ein und verbrachte den ganzen Sonntag in meinem Bett mit den Hausaufgaben, die ich natürlich am Freitag nicht gemacht hatte, weil ich was Besseres mit der Nacht zu tun hatte.

Lieb' mich nicht! [AS]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt