21. Kentin

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Es tat gut, Alexys Hand in meiner zu spüren, denn ich merkte, dass ich mit jedem Schritt, dem wir meinem Zuhause näher kamen, nervöser wurde. Mein Herz begann zu rasen und mir wurde schlecht. Meine Hände mussten fürchterlich nassgeschwitzt sein, doch Alexy ließ mich nicht los.
„Es wird alles gut. Mein Vater ist dabei und wenn deiner versuchen sollte, dir etwas anzutun, wird er dazwischen gehen.", hörte ich ihn sagen. Er wandte mir sein Gesicht zu und lächelte das süße Lächeln, das ich so liebte.
„Mehr verletzen als mit dem, was er den einen Tag zu dir gesagt hat, kann er dich fast gar nicht, also bitte... hab keine Angst."
Er hatte leicht Reden. Er war es nicht, der seinem cholerischen Vater gestehen musste, einen Jungen zu lieben und mit ihm zusammensein zu wollen. Mein Vater würde mich sofort wieder mit den widerlichsten Schimpfwörtern, die ihm für Homosexuelle einfielen, belegen und vielleicht sogar auf mich, oder schlimmer noch, auf Alexy losgehen.
„Ich würde mich am liebsten irgendwo verstecken... was ist so schlimm an meinem Vorschlag, bis zu meinem 18. zu warten und dann auszuziehen? Ich habe Geld, ehrlich... ich will keinen neuen Streit... ich..." Ich merkte selbst, dass ich verzweifelt nach Ausreden suchte, um meinem Vater das Unvermeidliche zu verheimlichen. Andererseits liebte ich Alexy und ich wollte ihm gerecht werden. Er hatte es nicht verdient, nur eine Schattenbeziehung in aller Heimlichkeit mit mir zu führen.
In der Schule schien sich – bis auf die drei, die Alexy verprügelt hatten – niemand an der Tatsache zu stören, dass er und ich uns scheinbar besser kannten. Immerhin wusste in unserem Jahrgang jeder, dass wir uns anfangs nicht verstanden und nun immer zusammen waren. Und dass Alexy schwul war, wusste die ganze Schule. Sie mussten nur 1 und 1 zusammenzählen. Der einzige Stachel in meinem Fleisch war der Mann, den ich 17 Jahre lang für meinen Vater gehalten hatte und der mich hasste, weil ich der lebende Beweis dafür war, dass er keine Kinder zeugen konnte.
Und meine Mutter, die behauptete, mich zu lieben, aber nicht hinnehmen konnte, dass der Mensch, den ich liebte, ein Junge war.
Je weiter wir kamen, desto mehr frischte der Wind auf und der Himmel zog sich zu. Ich blickte nach oben und sah die dunklen Wolken. Die Luft schmeckte förmlich nach Regen und ich bemerkte, dass Alexy die Schultern hochzog. Er hasste Regen. Ich gab dem Impuls nach und legte ihm meinen Arm um die Brust, um ihn im Gehen etwas an mich zu ziehen. Er kicherte und ließ es sich gefallen. Es tat gut, seinen Geruch in der Nase zu haben, auch wenn das Laufen auf diese Art etwas unbequem war.
„Der Weg könnte unendlich sein, finde ich. Gerade ist es schön.", murmelte ich und er drückte mir einen Schmatzer auf die Wange.
„Aber es wird gleich regnen und dann bin ich froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Der olle Regen wäscht meine Haarfarbe aus."
„Das tut Duschwasser auch, du Nase."
„Aber mein Duschwasser riecht besser!", trotzte er mir und lachte dann. Er war echt eine Type. Aber eine, die mich immer zum Lachen brachte. Der Weg zu Fuß bis in meine Straße war lang, aber leider nicht unendlich und ich merkte wieder den bitteren Geschmack auf der Zunge, als wir uns meiner vertrauten Gegend näherten.
Beim Pub an der Ecke konnte ich Alexys Vater ausmachen, der an der Tür seines Wagens lehnte und scheinbar eine heimliche Zigarette rauchte. Er hatte keine Ähnlichkeit mit seinen Söhnen, die scheinbar mehr nach ihrer Mutter geraten waren. Das war mir vorher nie aufgefallen.
„Wenn ich von dir einen Zwanziger extra für meine nächste Shoppingtour bekomme, sage ich Mama nicht, dass du wieder geraucht hast.", plärrte Alexy zu ihm rüber, als wir noch ein paar Meter entfernt waren. Herr Bergmann zuckte zusammen und sah sich um. Er verengte die Augen und zog ein letztes Mal an der Kippe, bevor er sie austrat.
„Als ob ich mich von dir Knopf erpressen lasse, Freundchen.", grinste er und begrüßte mich dann.
„Wie geht's dir? Du siehst blaß aus..."
„Mir ist schlecht.", entgegnete ich und spuckte die bittere Spucke aus. Alexy zog sich die Kapuze auf den Kopf, als die ersten Regentropfen fielen und sein Vater sah sich um.
„Es ist nicht weit von hier, oder? Lohnt nicht, das Auto anzuwerfen, hm?"
Ich schüttelte den Kopf und deutete auf eine kleine Seitenstraße. Alexy brummelte, weil er nicht durch den Regen laufen wollte, aber sein Vater blieb hart.
„Die 20 Schritte wirst du überstehen. Du bist ja nicht aus Zucker."
Ich griff wieder nach Alexys Hand und gemeinsam setzten wir uns in Bewegung. Je mehr das gelbe Haus meiner Eltern in Sicht kam, desto mehr musste ich mich zwingen, nicht einfach umzudrehen und wegzulaufen. Ich wollte schreien, mich festkrallen, strampeln und treten, damit mich niemand zwingen konnte, meinem Vater dieses Geheimnis zu erzählen. Andererseits war der kleine Teil in mir, der tapfer war, fest willens, es hinter sich zu bringen, endlich reinen Tisch zu machen und Alexy provokativvor meinem Vater zu küssen. Mit Zunge und allem, was dazu gehörte!
Dieser Teil wollte es meinem Vater förmlich ins Gesicht reiben, dass Liebe zwischen zwei Jungen ebenso echt und schön und rein sein konnte wie zwischen Mann und Frau.
Vor dem Haus blieb ich kurz stehen und sah auf die Uhr. Ich war über eine dreiviertel Stunde zu spät dran und mein Vater würde, kaum dass er meinen Schlüssel in der Tür hörte, auf der Matte stehen und mich anschreien. Ich wusste nicht, ob ich das gut oder schlecht finden sollte, aber es war nicht zu ändern. Wären Alexy und ich mit dem Bus gefahren, wären wir zwar pünktlich gewesen, aber sein Vater hätte noch keine Zeit gehabt, mich oder uns zu unterstützen – oder auch zu beschützen, je nach dem.
„Ich hab Angst...", flüsterte ich und Alexy griff nach meinen Händen.
„Wir sind da und lassen dich nicht allein, ok?" Er küsste mich und sein Vater legte mir seine Hand auf die Schulter.
Ich atmete tief durch, um meinen rebellierenden Magen etwas zu beruhigen und öffnete dann die Gartentür. Die zwei Bergmanns folgten mir nach und ich ließ durch meine zitternden Hände beinahe meinen Hausschlüssel fallen. Alexy musste mir helfen, sonst hätte ich ihn nicht in die Haustür bekommen. Wie schon erwartet, hörte ich meinen Vater grollen, kaum dass die Tür offen war. Ich konnte seine schweren Schritte hören, die er immer machte, wenn sein kaputtes Knie Probleme machte und schob die Tür so weit auf, dass die beiden Bergmanns eintreten konnten.
Irgendwie hatte ich die vage Hoffnung, dass mein Vater vernünftig bleiben würde, wenn er sah, dass noch ein Erwachsener anwesend war, denn meistens war ihm sein Ruf und sein Auftreten vor Fremden sehr wichtig.
„WO KOMMST DU JETZT HER, KENTIN? Du hättest vor einer verdammten Stunde zuhause sein sollen!", grollte mein Vater und Alexy warf seinem einen Blick zu, der aussah wie „Ich hab dir gesagt, was das für ein Typ ist!"
Herr Bergmann zog Alexy einen Schritt näher an sich heran, damit er aus der Schusslinie war und ich schluckte schwer, als mein Vater aus dem Wohnzimmer in den Flur trat. Er stützte sich an diesem Tag sehr stark auf seinen Stock und ächzte, denn das Stehen schien ihn anzustrengen.
„Also...? Oh!" Sein Blick wanderte über die beiden Besucher und als er sich verdüsterte, wusste ich, dass er Alexy wiedererkannte. Er blähte die Nasenlöcher auf und seine Gesichtsfarbe änderte sich etwas.
„Hab ich dir nicht gesagt, dass du diese kleine Schwuchtel nicht mehr in mein Haus bringen sollst, du dämlicher Bengel?", fauchte er mit fast ruhiger Stimme. Eine Stimme, die ich viel unheimlicher fand als wenn er geschrien hätte.
„Und wer gefälligst ist der andere Vogel?"
Alexys Vater räusperte sich, machte einen Schritt nach vorne und hielt meinem Vater die Hand hin.
„Guten Tag, Herr McCormac, ich bin Sebastian Bergmann, der Vater von Alexander."
Mein Vater beäugte die Hand einen Augenblick und verschmähte es, sie zu ergreifen. Er hatte nicht vergessen, dass Alexy gesagt hatte, er wäre homosexuell und wahrscheinlich dachte er nun, dass er sich irgendwas einfangen würde, würde er auch nur seinen Vater berühren. Dieser ließ nach einigen Sekunden die Hand wieder sinken und trat wieder in den Hintergrund.
„Was ist der Grund, dass du hier fremdes Pack in mein Haus schleifst, Junge? REDE ENDLICH!"
Ich merkte selber, wie ich zusammenzuckte und schluckte den schweren Kloß in meinem Hals mühsam runter. Mit einem hilfesuchenden Blick sah ich zu den beiden Bergmanns, die ermutigend lächelten. Alexy hatte die Hände vor der Brust zu Fäusten geballt, als würde er darauf fiebern, dass alles gutgehen möge.
Oh, das hoffte ich auch.
„Also... äh...", setzte ich an, musste mich aber räuspern. Ich hatte noch nie so viel Angst. Hatte ich gedacht, ich hätte an meinem ersten Tag in der Akademie Angst gehabt, wurde ich an diesem Tag etwas Besserem belehrt. Mir war schwindelig und ich hatte das Gefühl, meiner Mutter jedem Moment auf den guten Teppich zu kotzen. Dass sie nun auch aus der Küche kam und sich zu meinem Vater stellte, machte die Sache nicht leichter. Es erschien mir, als bildeten sie eine Mauer gegen mich. Sie auf der einen Seite, ich allein auf der anderen.
„REDE ENDLICH, DU STRUNZDUMMER KERL!!"
„Na na, bitte, Herr McCormac. Es besteht kein Grund, Ihren Sohn zu beleidigen. Sehen Sie nicht, dass es ihm nicht leicht fällt?"
„Wer sind Sie bitte, mir in meinem Haus das Wort zu verbieten?"
„Er ist zu meiner Unterstützung hier, Vater.", brachte ich hervor. „Und zwar muss ich dir – euch was sagen... Äh... A-Alexy und ich sind... also... er und ich... wir..." Ich schluckte erneut schwer, atmete tief durch und richtete den Blick auf meinen Vater, dessen Gesicht verkniffen und sauer war. Warum war mir nie aufgefallen, dass wir uns kein bisschen ähnlich sahen? Wie hatte ich annehmen können, dass ich von ihm wäre?
„Alexy und ich sind zusammen... Er ist... m-mein fester Freund. Und... ich liebe ihn.", presste ich durch die Zähne hinaus und wartete auf das Donnerwetter, welches unweigerlich folgen würde. Doch im ersten Moment blieb es ruhig. Meine Mutter hatte ein feines Lächeln im Gesicht, als freute sie sich nun doch, dass ich meine Liebe gefunden hatte, Alexy sah noch immer aus wie ein gespannter Flitzebogen und auch sein Vater war noch immer angespannt. Mein Vater schwieg jedoch. Sein Blick lag auf mir und ich bekam von dem Ausdruck in seinen Augen Gänsehaut auf dem Rücken.
Minuten verstrichen, ohne das jemand etwas sagte, doch dann sah ich, wie mein Vater seinen Stock fester packte.
„Du... liebst ihn also...?", sprach er mit leiser Stimme, rau wie Sandpapier. „Du... liebst... einen Mann. Ich habe dich 17 Jahre wie meinen eigenen Sohn aufgezogen und versucht, aus dir einen richtigen Kerl zu machen und heute kommst du angekrochen, mir zu sagen, dass du EINEN MANN LIEBST?!", steigerte seine Stimme sich immer mehr zu einem Brüllen. Ich zuckte zusammen, nickte aber und versuchte, seinem Wahnsinnsblick standzuhalten.
„Ja, Vater... ich habe mir das nicht ausgesucht, es ist einfach passiert und... es fühlt sich richtig an."
"ES FÜHLT SICH RICHTIG AN, DU DRECKIGE KLEINE SCHWUCHTEL, JA? Es fühlt sich richtig an, den kleinen Schwanzlutscher da hinten zu ficken, ja? Erwartest du von mir jetzt Begeisterungssprünge, weil SICH DAS SO RICHTIG FÜR DICH ANFÜHLT?!?! Eine Schande für diese Familie bist du, mehr nicht. Deine Großeltern hätte deine Mutter zwingen sollen, dich schwulen Bastard abtreiben zu lassen, als sie noch die Chance dazu hatte!"
Ich zuckte unter seinen Worten zusammen, als würde er mich schlagen, ich merkte aber auch, wie meine Mutter ihn bestürzt von der Seite ansah und das Alexys Vater einen entrüsteten Ton von sich gab. Mein Vater jedoch beachtete das alles nicht und hetzte weiter gegen mich.
„17 Jahre habe ich alles daran gesetzt, dass aus dir ein Mann mit Ehre wird und du dankst es mir, indem du einem anderen Kerl den Schwanz lutscht? Du widerlicher Bastard hast keinen Funken Anstand in deinem Leib. Einprügeln sollte man ihn dir und wenn du dabei drauf gehst. Die Welt braucht keine Homos, die gegen den natürlichen Plan Gottes verstoßen!"
Obwohl ich diese Beleidigungen von ihm eigentlich bereits gewohnt war, taten sie immer wieder auf's Neue weh und ich spürte, dass meine Augen heiß wurden. Ich hatte nicht erwartet, dass mein Vater Begeisterung, ja nicht mal in irgendeiner Weise Akzeptanz dafür aufbringen würde, dass ich Alexy liebte. Ich hatte gehofft, er würde es einfach darauf schieben, dass ich ein unehelich gezeugter Bastard war und es gut sein lassen. Denn immerhin war ich ja nicht sein Blut.
"Aber natürlich ist das bei dir ok, dass du ein Homo bist, denn du LIEBST den kleinen Idioten ja... Das ist Schwachsinn, Kentin! Liebe gibt es nicht unter Homos... die ficken sich nur gegenseitig. Das ist kranker Scheiß. Liebe gehört zwischen einem Mann und einer Frau, wie es die Natur vorgesehen hat!"
Ich wagte schon kaum noch, nach oben zu sehen, als ich merkte, dass Alexys Vater vortrat und seine Hand auf meine Schulter legte.
„Entschuldigen Sie, dass ich mich einmische, ich weiß, dass es eine Familienangelegenheit ist. Aber Ihr Sohn hat mich gebeten, heute dabei zu sein, weil auch ich Vater eines homosexuellen Sohnes bin. Und ich muss Ihnen sagen, das, was Sie Ihrem Sohn hier an den Kopf werfen, ist Unsinn. Homosexualität ist so normal wie die Liebe zwischen Mann und Frau und beruht ebenso sehr auf Liebe und Vertrauen. Kentin hat sich mehrfach für meinen Sohn eingesetzt, als der in Schwierigkeiten war und sich wie ein ehrenhafter Mann verhalten. Es braucht ihm niemand Anstand beizubringen oder gar einzuprügeln, da er das alles bereits besitzt. Und verzeihen Sie, wenn ich das sage, aber Gott hat damit auch nichts zu tun. Oder glauben Sie wirklich, Homosexualität sei eine Strafe des Teufels?"
Mein Vater grollte Herrn Bergmann an, als wäre er der Leibhaftige, von dem er gerade gesprochen hatte.
„Wenn Sie glauben, dass dieses kranke Zeug normal ist, haben Sie doch eine Schraube locker. Vögelnde Kerle und Liebe, dass ich nicht lache. Was weiß der Bengel denn von Liebe? Diese Schwuchtelei ist nichts, was ein paar ordentliche Hiebe nicht wieder aus ihm herausbekommen könnten!"
Herr Bergmann seufzte.
„Dass Kentin nicht viel über Liebe weiß, glaube ich nur zu gern, wenn ich sehe, was Sie ihm hier vorleben. Gott sei Dank ist er trotz allem besser geraten als Sie es sind, verzeihen Sie meine Offenheit. Scheinbar sind Sie es, der noch eine Menge über das Leben und die Liebe lernen muss, dann würden Sie solche Sachen nicht sagen. Denn das, was mein Sohn und Kentin miteinander haben, ist wesentlich mehr als nur die reine körperliche Seite, die Ihnen anscheinend solches Kopfzerbrechen bereitet."
Mein Vater hatte seinen Stock noch immer fest im Griff und baute sich vor Alexys Vater auf. Die beiden waren beinahe gleich groß und keiner von beiden würde zurückweichen.
„Dass Sie sich als Erzeuger einer solch abartigen Kreatur von Schwuchtel überhaupt trauen, mir solche Vorträge zu halten, ist eine Frechheit. Was halten Sie davon, wenn Sie Ihren Arsch und Ihren Bengel aus meinem Haus verfrachten und mich diese Familienangelegenheit alleine klären lassen?"
Herr Bergmann hatte plötzlich ein überlegenes Lächeln im Gesicht und blickte zu Alexy hinüber, der auch sonderbar zu lächeln begann.
„Ah... Sie beruhigen sich selbst also damit, dass Sie die „Schuld" an Kentins Neigung nicht tragen, weil Sie nicht sein leiblicher Vater sind, ich verstehe. Und weil das so ist, glauben Sie, es ist ok, ihn nicht zu lieben, obwohl Sie ihn großgezogen haben. Dann muss ich Ihnen leider sagen, dass auch meine beiden Söhne nicht meine leiblichen Kinder sind, ich sie aber dennoch liebe. Denn das ist meine Aufgabe, wenn ich mich selbst Vater nenne. Mir ist es ganz egal, ob mein Alexander Männer liebt. Ich will – und das empfindet jeder gute Vater so – dass er glücklich ist."
Mein Blick ging zu Alexy. Ich hatte nicht gewusst, dass sein Vater nicht sein richtiger Vater war. Wir hatten nie die Gelegenheit, darüber zu reden oder es spielte für ihn vielleicht einfach keine Rolle.
„Ich will, dass der verdammte Bengel mir keine Schande macht und ich will, dass Sie und ihre Schwuchtel von Was-auch-immer-Sohn sich jetzt aus meinem Haus verziehen. Wo gibt es denn das, dass man in seinen eigenen 4 Wänden von einem Homo-Freund belehrt wird. Verziehen Sie sich und umarmen Sie weiter mit Ihren schwulen Freunden irgendwelche Bäume. Ich kläre meine Sachen wie ein Mann!" Mein Vater hob seinen Stock, um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, doch Alexys Vater griff danach.
„Nein! Ich gehe hier nicht ohne Kentin weg. Ich habe Geschichten über Sie und Ihre Wutausbrüche gehört. Ich werde den Jungen unter keinen Umständen hier allein lassen."
Mein Herz machte einen Satz der Erleichterung. Ich hatte die ganze Zeit darüber nachgedacht, was geschehen würde, wenn die Bergmanns wieder weg wären und ich hier meinem Vater ausgeliefert. Von meiner Mutter würde ich keine Unterstützung erfahren und ich konnte mich nicht ewig in meinem Zimmer einschließen.
„Kentin, geh ein paar Sachen einpacken. Du kommst mit zu uns, bis sich dein Vater beruhigt hat.", sagte Herr Bergmann und schickte mich in mein Zimmer. Alexy folgte mir und fiel mir um den Hals, sobald wir außer Sichtweite meines Vaters waren.
„Lass uns schnell was packen, ich halte es hier keine Sekunde mehr aus. Mein Vater ist so angespannt, der haut deinem Alten gleich auf die Nase.", murmelte Alexy und öffnete meinen Kleiderschrank. Ich zog meine Sporttasche und meinen Armeesack unter dem Bett hervor und er stopfte meine Klamotten mit vollen Händen hinein.
"SIE KÖNNEN DEN BENGEL NICHT EINFACH MITNEHMEN! DAS IST KINDESENTFÜHRUNG!", hörten wir meinen Vater brüllen und Herr Bergmann argumentierte wesentlich ruhiger:
„Das ist keine Entführung, wenn Sie ihn ohnehin weder haben wollen noch für seine Sicherheit garantieren können. Noch heute rufe ich diesbezüglich das Jugendamt an und berichte, dass Ihr Sohn hier aufgrund seiner sexuellen Ausrichtung Gewalt erfährt! Dazu gehören auch permanente Beleidigungen, Herr McCormac. Falls Ihnen das nicht bekannt ist."
Wir beeilten uns, auch noch meine Schulsachen, meine Brille und mein Asthmaspray, was ich nur noch selten brauchte, einzupacken, räumten das Schränkchen im Bad aus und verließen das Zimmer keine 5 Minuten später.
„Kentin, wenn du jetzt abhaust, ist das hier die längste Zeit dein Zuhause gewesen, das sage ich dir!", drohte mir mein Vater mit einem Blick, der mich erst Recht zur Flucht statt zum Bleiben zwang. Ich warf einen entschuldigenden Blick auf meine Mutter, räusperte mich und wandte mich dann an meinen alten Herrn:
„Wenn es nach dir geht, Vater, dann war dies hier nie mein Zuhause. Du wolltest immer nur meine Mutter. Es hätte dich nicht gekümmert, wenn ich gestorben wäre oder wenn man mir in der Akademie sonstwas angetan hätte. Dir ging es immer nur darum, dass es nach deinem Willen geht. Was ich wollte, wünschte oder wie ich mich fühlte, war dir doch immer egal. Also warum sollte ich betrauern, dieses Zuhause zu verlieren?"
Alexys Vater stand bereits an der Tür und wartete auf uns beide, so dass niemand zwischen meinem Vater und mir stand. Meine Mutter lehnte sich an die Wohnzimmertür und sah aus, als würde sie gleich weinen, andererseits wirkte sie erleichtert, als wäre sie froh, dass ich die Möglichkeit hatte, vor der Willkür meines Vater zu fliehen. Alexy hielt meine Reisetasche und sah sich unsicher um.
Mein Vater stand mit geballten Fäusten vor mir, seine kräftigen Augenbrauen zusammengezogen, finster, gemein, mit funkelnden Augen.
„Du undankbarer kleiner Scheißkerl. Glaub nicht, dass du auch nur einen einzigen Cent von mir bekommst. Geh und verrotte oder lass dich von dem Clown da totficken!"
Ich schloss die Finger fester um den Riemen meines Armeesacks und starrte meinem Vater ins Gesicht. Ich mochte ein Feigling sein ihm gegenüber, aber ich würde es niemals zulassen, dass er meinen Freund beleidigte.
„Hör auf, so über ihn zu reden. Er hat mich so sein lassen, wie ich bin und hat nicht versucht, an mir herumzubiegen. Er ist ein besserer Mensch als du!"
Ich hatte eine Ohrfeige zu sitzen, bevor irgendjemand etwas hätte unternehmen können, doch ich lachte meinem Vater nur ins Gesicht.
„Wenn du keine Argumente mehr hast, schlägst du zu. Du tust mir leid. Du hast nie gelernt, dass zum Leben mehr dazu gehört, als ein guter Soldat zu sein. Nicht ich bin undankbar, du bist es. Ich habe mein Leben lang versucht, mir deine Liebe zu verdienen, ich habe alles für dich getan und du hast mich zurückgestoßen. Jetzt ist es Zeit, an mich zu denken und das zu tun, was für mich das Beste ist. Und das Beste ist Alexy!"
Um meine Worte zu untermalen, zog ich ihn an mich und küsste ihn vor versammelter Mannschaft – so wie der tapfere Teil in mir das geplant hatte.
Mein Vater schnaubte angewidert, aber mir war das egal. Mit einem letzten Kuss auf die Wange für meine Mutter verließ ich mein Elternhaus und ging durch den noch immer schwachen Regen zum Wagen von Herrn Bergmann zurück.
Ich fühlte mich, als hätte man mir eine Tonne Gewicht von den Schultern genommen, obwohl ich mich nun einer gänzlich neuen Situation gegenüber sah.

Lieb' mich nicht! [AS]Where stories live. Discover now