9. Kentin

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Schnaufend schmiss ich mich auf mein Bett. Dieser verdammte...
Stinksauer starrte ich an die Decke und krallte meine Finger in die Bettdecke. Mein Vater hatte sich mal wieder was geleistet. Es konnte doch nicht sein, dass er mir die Ohren lang zog, nur weil ich eine halbe Stunde später nach Hause kam als üblich.
Ich war ein Teenager und funktionierte nicht nach einer Stoppuhr. Doch er kapierte das nicht.
Er schrie mich zusammen, dass man sich auf mich nicht verlassen könnte und wie ich nur zu einem solchen Nichtsnutz werden konnte. Das verletzte mich tierisch. Meine Mutter stand zwischen uns, als wollte sie verhindern, dass wir uns schlugen.
Ich wusste, dass ich einen solchen Kampf locker gewinnen konnte.  Ich war mittlerweile größer als mein Vater, ich war gesund und stark und hatte kein verkrüppeltes Knie. Doch er war es nicht wert.
Er hatte es nicht verdient, dass ich mir an ihm die Finger schmutzig machte.
Er schubste mich und wurde von meiner Mutter festgehalten.
„Komm, sag was! Setz dich zur Wehr, du Schwächling!" motzte er mich auch noch an.
Ich biss mir auf die Zunge, um nicht alles zu sagen, was manchmal in meinem Kopf vorging.
Dass er in meinen Augen ein ängstlicher Kontrollfreak war, der uns allen nur auf die Nerven ging, weil er Schiss hatte, meine Mutter und ich könnten merken, dass wir auch ohne ihn leben könnten.
Ich sagte nichts. Wie immer.
Denn ich wollte nicht, dass er seine Wut an meiner Mutter ausließ, wenn er merkte, dass das bei mir nicht zog.
Wie schon mal gesagt, er schlug uns nicht, aber er konnte auch mit seiner Zunge sehr verletzend werden und meine Mutter sollte das nicht abbekommen, nur weil er sauer war auf mich.
„Es tut mir leid, das nächste Mal bin ich pünktlich!" sagte ich deswegen nur, machte kehrt und schmiss meine Zimmertür ins Schloss, bevor ich sie abschloss.
„Schwächling..." murmelte ich.
Ich war kein Schwächling!
Ich war vielleicht feige in mancherlei Hinsicht, aber ich war nicht schwach. Dafür hatten die Ausbilder auf der Militärakademie gesorgt. Ich setzte mich wieder auf und lehnte mich an das Kopfteil.
„Dämlicher Sack... Ist ja nicht zu glauben."
Das Wochenende fing ja großartig an. Die Stimmung war schon jetzt wieder im Keller und ich wusste schon, dass es beim Abendessen sicher weitergehen würde.
Denn er konnte es dann auch einfach nicht sein lassen.
Er liebte scheinbar nichts mehr als mich fertig machen. Noch mehr als seinen Militärkram, seine Waffen und seine Zigarren.
Ich fragte mich oft, ob er sich überhaupt über meine Geburt gefreut hatte. Denn er sagte ja immer, dass er nicht glauben konnte, wie sein eigen Fleisch und Blut zu so einer Weichflöte werden konnte.
Ich überlegte auch öfter, was er gemacht hätte, wäre ich ein Mädchen geworden. Denn auf Mädchen war er noch schlechter zu sprechen als auf mich. Schlimmer waren nur noch Schwule.
Alexy fiel mir wieder ein.
Sein Gesicht, das zu mir hoch sah, während er vor mir kniete. Ich kniff die Augen zusammen.
Nein, nein, nein! Ich durfte nicht daran denken.
Es reichte, dass ich davon träumte, seit das geschehen war. Immer wieder wachte ich nachts auf und sah sein Gesicht, seine rosafarbenen Augen, die mich mit diesem sonderbaren Ausdruck angesehen hatten, seine streichelnden warmen Hände, sein fruchtig-süßer Mund, der mich küsste.
„Blauhaariger Mistkerl!"
Ich sprang auf und begann, auf und ab zu gehen.
Es machte keinen Sinn mehr, zu leugnen, dass es mir gefallen hatte. Ich würde ihm das natürlich nicht sagen, denn ich wollte unter keinen Umständen, dass er dachte, ich sei genauso eine Schwuchtel wie er.
Aber es war unbestreitbar, dass er mich nervös machte, dass meine Augen wie magnetisch von ihm angezogen wurden, dass mein Herz ein bisschen hüpfte, sobald er lächelte.
Er hatte ein so fröhliches Gesicht und wirkte oft so unbeschwert, wie ich selber es nie glaubte, sein zu können.
Zeitweilig beneidete ich ihn sehr. Schon damals war das so.
Er machte einen starken Eindruck, stärker als ich es von einem Jungen erwarten würde, der von allen Seiten dumme Sprüche wegen seiner Homosexualität zu hören bekam. Er lachte sie einfach weg.
Und er hatte immer jemanden an seiner Seite, der ihm den Rücken stärkte, denn sein Bruder war bereit, alles für ihn zu riskieren.
Fluchend schmiss ich mich wieder auf mein Bett und schaltete den Fernseher ein. Jetzt hatte er sich schon wieder in meine Gedanken geschlichen und ich hatte angefangen, über ihn nachzudenken, ohne es zu merken. Dieser elende Kerl!
Ich musste grinsen und vertiefte mich in das anspruchlose Nachmittagsprogramm bei RTL.

Lieb' mich nicht! [AS]Where stories live. Discover now