13. Kentin

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Sie hatten auf ihn eingeschlagen wie auf einen Sack Mehl.
Obwohl er sich gekrümmt hatte, seinen Kopf zu schützen versuchte, bereits gebettelt und geblutet hatte. Doch die haben nur gelacht.
Verdammte, verfickte, homophobische Vollidioten.
Ich hab rot gesehen, als ich das gesehen habe und musste einfach dazwischengehen.
Er weinte bitterlich und tat mir leid.
Aus irgendeinem Grund hatte ich Schuldgefühle, dass ihm das passiert war.
Ich brachte ihn zu mir nach Hause, denn den weiten Weg quer durch die Stadt hätte er niemals geschafft. Und aus irgendeinem Grund wollte er nicht ins Krankenhaus.
Wahrscheinlich schämte er sich.
Das kannte ich von vielen, denen sowas geschehen war. Sie schämten sich, dass sie so schwach waren, sich selbst zu verteidigen.
Aber das war Schwachsinn und sein zartes Gesicht so zerkratzt und blutig zu sehen machte mich wütend.
Als ich ihn in die Badewanne gesetzt hatte, ging ein Schauer durch seinen Körper.
Er war sehr zierlich und schlank, fast wirklich wie ein Mädchen und seine Haut war sehr hell und makellos.
Ich wusch ihm den Dreck und das Blut aus den Kratzern und massierte ihn leicht mit dem Schwamm.
Seine Schmerzen würden am nächsten Tag noch schlimm genug werden.
Er saß vor mir wie ein Häufchen Elend und zitterte. Er biss sich immer wieder auf die Lippen und drehte schließlich das Gesicht weg.
Ich konnte sehen, dass er die Augen zusammenpresste und das feine Tränen über seine Wangen liefen.
„Hör auf, Alexy... das macht es nicht besser." sagte ich leise und ließ warmes Wasser über seine Schultern laufen.
Er nickte, bekam das Weinen aber nicht in den Griff. Im Gegenteil. Er schluchzte und es wurde schlimmer.
„Ich habe denen gar nichts getan... warum machen die sowas?"
„Keine Ahnung..."
Er tat mir leid. Er hatte nicht verdient, dass ihm so was geschah, nur weil er Männer liebte.
„Aber ich bin froh, dass ich beschlossen hatte, nach Hause zu gehen. Sonst hätte dir wahrscheinlich keiner geholfen und wer weiß, was dann passiert wäre..."
Er sah mich mit seinen babyrosa Augen an und irgendwie kam er mir unendlich hübsch vor.
Wie etwas, das man unbedingt beschützen musste, damit es nicht kaputtging.
Bevor ich wusste, was ich tat, hatten meine Finger eine Strähne seiner Haare aus seinem Gesicht gestrichen.
„Ich muss dir die Haare waschen. Glaubst du, du kannst dich lang machen oder tut das zu weh?"
Er nickte nur und ich hielt ihn fest, damit er nicht einfach umkippte. Seine Muskeln waren durch die Prügel steif und kraftlos.
Er schloss die Augen und ich wusch ihm den Kopf so sanft ich konnte.
„Scheiße..." fauchte ich.
Er sah mich an.
„Was?"
„Irgendwie... ich glaube, wenn ich mich nicht wie ein Idiot aufgeführt hätte, wäre dir das vielleicht nicht passiert."
„Wie kommst du denn darauf?"
„Keine Ahnung... vielleicht hätten wir dann auf der Party mehr Zeit miteinander verbracht und ich hätte dich nach Hause bringen können."
Er lachte leise, unterbrach es aber sofort. Es musste wehtun.
„Ich bin doch kein Mädchen."
„Nein. Aber verprügelt haben sie dich trotzdem. Und wenn du ein Mädchen wärst, hätten sie noch was anderes gemacht."
Ich zog ihn wieder in eine aufrechte Position und begann, mit einem weichen Handtuch seinen Kopf abzurubbeln.
„Du hast dich nicht wie ein Idiot aufgeführt. Du hast gesagt, du willst nicht mit mir zusammen sein oder so und das habe ich akzeptiert."
Seine Stimme war leise und er sah mich nicht an.
„Ich glaube nicht, dass du das hast, sonst würde es dir leichter fallen, mich anzusehen."
Er zog die Nase hoch und leckte sich über die Lippen.
„Es geht nicht einfach so weg, nur weil ich das gesagt habe, ok?"
Er war so ein wunderschöner Kerl!
Wie konnte ein Junge nur so zart, so zierlich und hübsch wie eine Porzellanpuppe sein? Selbst seine blauen Haare, die jetzt durch die Nässe dunkler waren, störten das Bild nicht.
„So... so ist es nicht, Alexy..."
„Was?"
Ich wandte das Gesicht ab, stand auf und holte ein Handtuch und meinen Bademantel.
„Ken!"
„Ich... keine Ahnung, was es ist, ok? Lassen wir das. Du musst dich hinlegen. Ich hab eine echt gute Wärmesalbe gegen die Schmerzen."
Er richtete sich langsam auf, konnte sich aber auf seinen Armen nicht aufstützen, weswegen ich ihm erneut half. Er stand vor mir und ich trocknete ihn etwas ab, bevor ich ihm in den Bademantel half.
„Möchtest du vielleicht was essen, Alexy?"
„Nein... aber... darf ich dein Zimmer sehen?"
Ich machte bestimmt ein verdutztes Gesicht, nickte aber trotzdem und zeigte es ihm.
Es machte mich etwas nervös, dass er sich langsam auf mein Bett setzte und den Eindruck machte, nicht in das Gästezimmer gehen zu wollen, aber schließlich nahm ich es hin, öffnete das Fenster im Zimmer und brachte uns etwas zu trinken.
„Du... ich habe ein frisches Bett für dich..."
„Ich bin noch nicht müde... und ehrlich... ich... ich will jetzt nicht allein sein."
Ich nickte und goss ihm etwas Eistee ein, das er in großen Schlucken austrank.
„Soll ich die Kratzer schnell eincremen? Und deine blauen Flecke? Du wirst dich morgen kaum bewegen können..."
Er nickte.
„Ja, bitte. Ich hab jetzt schon Angst davor. Ich habe immer gehofft, das mir das nicht passiert... gerade weil ich nichts gemacht habe..."
Ich schraubte die Tube auf und öffnete den Bademantel, um an seine Schultern ranzukommen. Er wurde rot und ich bemerkte, das meine Hände zitterten.
Es war unbestreitbar eine sonderbare Situation. Er hätte sich sicherlich andere Umstände gewünscht, in denen ich ihn auszog.
„Danke, Ken... ich weiß, du musst das nicht machen."
„Ach quatsch nicht. Wer denn sonst? Ich mach das gern... Geht das?" Ich verrieb die Wärmesalbe und er nickte.
„Weißt du was? Ich geb dir ne Unterhose und du ziehst den Mantel aus, dann komm ich besser ran."
Wieder nickte er und ich ging an meine Kommode. Während er sich umzog, kramte ich nach etwas, in dem er schlafen konnte.
Anschließend legte er sich lang auf mein Bett und ich versorgte die zahlreichen blauen Flecken.
Mit jedem neuen wurde ich wütender.
Er sah mich die ganze Zeit an. Unentwegt.
Und es machte mir nichts aus. Obwohl ich es normalerweise hasste, angestarrt zu werden.
„So... mehr kann ich nicht machen erstmal. Möchtest du noch ne Schmerztablette?"
„Nein..." Seine Augen glitzerten.
Ich setzte mich neben ihn, meine Handgelenke auf den Knien.
„Also...?!" Ich wusste nicht, was ich sagen sollte oder worüber ich mich mit ihn unterhalten sollte.
„Versuchst du, mir zu erklären, was es ist? Was ich für dich bin?"
Ich biss mir auf die Lippen.
„Ich weiß es nicht. Ich... ich kann es nicht erklären. Du... also ich... ich finde dich nicht eklig oder widerlich. Ich weiß, ich habe das zu dir gesagt an dem Tag, als du... du weißt schon. Aber das war nicht so gemeint. Ich war nur so erschrocken."
„Das war nicht meine Absicht..."
„Warum hast du das dann gemacht? Das wollte ich schon die ganze Zeit fragen...?"
Er zuckte mit den Schultern.
„Weil ich es wollte. Und weil das nichts Schlimmes ist. Und weil ich das gern mache, wenn ich einen Typen mag."
„Machst du das bei jedem?"
„Natürlich nicht!"
„Entschuldige, so sollte das nicht klingen."
Die ganze Situation war komisch und total verrückt.
Da lag ein Junge in meinem Bett! Ein schwuler Junge, der mir körperlich schon einmal zu nahe gekommen war. Der nichts lieber wollte als meine körperliche Nähe.
„Ich... bin ziemlich verliebt in dich..." murmelte er so leise, dass ich ihn kaum verstand.
Und seine Worte bewegten etwas in mir.
Mir wurde warm und ein komisches Gefühl durchströmte mich.
Glück?
Keine Ahnung.
Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn an.
Er war wirklich so verdammt schön. Ich hasste ihn fast dafür.
Seine Augen waren an die Decke gerichtet und schwammen in Tränen. Es fiel ihm so leicht, seine Gefühle zu zeigen.
Warum konnte ich das nicht?
Mein Vater hatte mir eingebleut, dass ein Junge nicht weinte und damit mir die Tränen kamen, musste schon eine Menge passieren. Zumindest seit der Akademie.
„Alexy..." kam es flüsternd über meine Lippen und fühlte sich gut an.
Seine Augen richteten sich auf mein Gesicht und ich beugte mich zu ihm runter.
Einem starken Impuls folgend küsste ich ihn einfach und legte meine Hand an seinen Hals.
Er schniefte und erlaubte mir, meine Zunge in seinen Mund zu schieben.
Es kribbelte am ganzen Körper und er legte seine Hände um meinen Nacken.
„W-warte..." Ich löste mich von ihm und er sah mich mit großen Augen an.
„Was?" Seine Stimme war unsicher.
„Ich... ich kann das nicht einfach machen. Ich... mein Vater..."
Zum ersten Mal war es mir ihm gegenüber rausgerutscht, warum ich ihn immer wieder zurückstieß, obwohl sowohl mir als auch ihm mittlerweile bewusst war, dass ich ihn wollte.
Er lehnte sich leicht auf seine Ellbogen.
„Du... du hast Angst vor deinem Vater? Wegen... dem hier?"
Ich setzte mich auf und fuhr mir durch die Haare.
„Du kennst meinen Vater nicht, Alexy. Der hasst Schwule und bringt mich um, wenn er jemals rausbekommt, dass ich einen Jungen nur geküsst habe."
Er setzte sich auf und legte seine Lippen an meine Wange.
„Also... ist es dein Vater, wegen dem du... immer so gemein zu mir bist?"
Ich schämte mich vor ihm.
„Und eigentlich magst du mich?" Ich konnte die Hoffnung in seiner Stimme deutlich hören.
Aber ich nickte. Denn es stimmte ja.
„Ich... ich weiß nicht, ob ich so bin wie du, aber... es ist schön, in deiner Nähe zu sein."
„Dann vergiss doch einfach mal, dass da draußen eine Welt ist und tu so, als gäbe es gerade nur das hier."
Obwohl er Schmerzen haben musste, zog er mich an sich und küsste mich wieder.
Und mir gelang es tatsächlich, mich darin zu verlieren.

Lieb' mich nicht! [AS]Where stories live. Discover now