Erinnerungen

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Ich war stehen geblieben und sah Carter fassungslos und auch ein wenig mitleidig an.

»Dein... dein Geburtstag?«, fragte ich und schluckte.

Allein die Vorstellung, dass ein Elternteil das eigene Leben beendet, war schrecklich. Und dann auch noch am Geburtstag des Kindes?

Carter zuckte mit den Schultern, so als wäre es keine große Sache, aber ich sah deutlich den Schmerz in seinem Blick.

»Es tut mir so leid. Ich kann und will mir das gar nicht vorstellen...«, sagte ich leise und sah ihn mitfühlend an.

Carter wich meinem Blick aus und vergrub seine Hände in den Hosentaschen.

»Wie gesagt, er hat sein Schicksal selbst gewählt. Keine große Sache«, sagte er und ich schüttelte den Kopf.

»Es ist eine große Sache. Er war dein Vater, auch wenn er kein guter Mensch war. Es ist okay, wenn dich sein Tod mitnimmt«, sagte ich und hakte mich wieder bei ihm ein.

Carter seufzte und sah mich kurz an, ehe wir langsam weiter gingen und den Friedhof immer weiter hinter uns ließen.

»Ich habe ihn zwei Jahre lang nicht gesehen. Weil ihm seine Erinnerungen genommen wurden, hat er alles vergessen, was mit Magie zu tun hat. Und meine Existenz bestand nun einmal in seinen Augen nur aus Magie. Also hat er auch mich vergessen und deshalb musste ich zu meinem Onkel ziehen«, erzählte Carter leise und ich hörte ihm einfach nur zu.

»Normalerweise hat mein Onkel nur das Nötigste mit mir gesprochen und auch selten bei mir vorbei geschaut. Im Prinzip habe ich schon mit 15 Jahren mehr allein gelebt, als mit ihm. Solange ich keine Probleme machte, war es ihm egal«, sprach er weiter.

Ich hatte Carters Onkel zwar erst einmal gesehen, aber ich konnte mir vorstellen, dass er nicht gerade der herzlichste Mensch auf dem Planeten war.

»An meinem 17. Geburtstag hat er zuhause auf mich gewartet. Mit einem Kuchen, den er vorher irgendwo gekauft hat...«

In Carters Stimme schwang Bitterkeit mit und ich drückte mitfühlend seine Hand, als ich bemerkte, wie er sich immer mehr anspannte.

»Einen Moment dachte ich wirklich, er würde einfach nur nett sein wollen. Dass er vielleicht wirklich einfach nur wollte, dass ich einen schönen Geburtstag habe. Aber statt eines »Happy Birthday Carter« bekam ich ein »dein Dad hat sich heute Morgen vor die U-Bahn geworfen«. Und ich... ich wollte aufwachen«, erzählte er weiter und ich musste die Tränen zurückhalten.

Was für ein schrecklicher Mensch musste man sein, um so etwas zu tun? Wie konnte Carters Onkel ihm das antun?

»Ich wusste, dass er das nur getan hat, weil er mich fertig machen wollte. Also habe ich meine Gefühle runtergeschluckt und mit den Schultern gezuckt. Ich habe so getan, als wäre es mir absolut egal, nur um ihm nicht die Genugtuung zu geben. Erst Monate später kam alles irgendwie hoch und ich habe aufgegeben«, sagte Carter und ich schüttelte ganz leicht den Kopf.

»Du hast nicht aufgegeben«, gab ich leise zurück und sah ihn an.

»Du bist noch an der Schule und nimmst noch am Hexenunterricht teil. Du hast weitergemacht«, fügte ich hinzu und Carter nickte leicht.

»Ja, aber jeden Tag kämpfe ich mit mir selbst. Nur der Gedanke daran, dass es meinem Großvater und meinem Onkel ziemlich anstinken würde, wenn ich erfolgreich in allem abschließe, bringt mich dazu, weiterzumachen«, sagte er und ich drückte seine Hand.

»Und ich hoffe, dass wenn ich nur gut genug in der Hexenschule abschließe, das Siegel entfernt wird. Die Möglichkeit ist gering, aber... vielleicht bin ich die Ausnahme, bei der das Siegel aufgehoben wird...«

Olivia - Was Magie bewirktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt