2. Night Changes

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Ich war schon eine halbe Stunde lang am Laufen. Zwischendurch war ich fünf Minuten gejoggt, da ich kalt hatte, aber der Rucksack war ein wenig zu schwer, also liess ich das lieber. Stattdessen genoss ich die Frische und die Geräusche um mich herum. Jeder andere hätte vermutlich Angst gehabt, aber ich nicht. Ich musste grinsen, als ich zwei Katzen hörte, die sich stritten, oder das Klicken der Fledermäuse. Ja, das konnte ich hören. Ich hatte ein spezielles Gehör, das kann vorkommen. Ausserdem konnte ich jeden Ton bestimmen vom Hören her. Heisst 'Absolutes Gehör'. Mir eigentlich egal, Hauptsache ich kann's.

Leise begann ich ein Lied zu summen, das ich mal in der Küche im Radio gehört habe. Es blieb mir hängen, einfach weil es mir so gefiel. Es war von mehreren Frauen gesungen, das war mir klar. Und es war ein total anderer Musikstil, vermutlich Pop oder R&B. Die Popgeschichte hatten wir leider nur kurz durchgenommen, aber immerhin hatten wir sie.

Eine knappe Stunde später erreichte ich die Strasse. Nun musste ich nur noch etwa zwanzig Kilometer dieser Strasse entlang und dann kamen die ersten Vororte Londons. Ich beschloss, vorher noch eine kurze Pause zu machen. Ich setzte mich auf einen Baumstrunk und nahm meine Cola raus. Ruhig trank ich einige Schlucke und liess meine Schultern kreisen, da sie schmerzten. Aber Aufgeben galt nicht, kannte ich nicht.

Ich schulterte meinen Rucksack wieder und setzte meinen Weg fort. Die ganze Strasse sah immer gleich aus: auf beiden Seiten wuchsen Bäume in die Höhe, ab und zu gab es einen Hügel, da und dort zweigte ein Weg ab. Nach weiteren zwei Stunden kam ich bei der grossen Kreuzung an, was bedeutete, dass ich die Hälfte des Weges hinter mir hatte. Ich beschloss, eine längere Pause zu machen, und legte mich hin. Ich nahm einen Stein in die Hand, der mir auf den Bauch fallen würde, falls ich einschlafen würde, und dann würde ich wieder wach werden.

Nachdem ich wieder etwas erholt war, setzte ich meinen Weg fort. Es wurde immer beschwerlicher und ich legte immer mehr kurze Pausen ein. Daher waren schon die ersten Sonnenstrahlen zu sehen, als ich die ersten Häuser der Vorstadt Londons sah. Erleichtert raffte ich mich auf und taumelte weiter. Dann ging die Sonne ganz auf und schien mir so direkt ins Gesicht. Ich schloss erschrocken die Augen und passte ein paar Sekunden nicht auf, wo ich hinlief. Auf einmal quietschten Bremsen und ich wurde zur Seite geschleudert. Etwas unsanft landete ich auf dem Asphalt. Ich hielt die Augen geschlossen und hörte, wie zwei Autotüren klappten und zwei Leute näher kamen.

„Oh mein Gott, ich habe sie nicht gesehen!", sagte eine männliche Stimme hektisch. „Sie ist plötzlich aufgetaucht!"

Eine kühle Hand legte sich auf meine erhitzte Stirn und ich beschloss, besser doch die Augen zu öffnen. Vor mir kniete eine junge Frau mit silbernen Haaren. „Oh, du bist ja wach! Hi!", sie lächelte mich vorsichtig an. „Tom, bring mal das Wasser!", rief sie dann über die Schulter. Kurz darauf tauchte ein junger Mann mit einer Flasche in der Hand auf und kniete sich ebenfalls neben mir hin. „Hey. Wie geht es dir?", fragte er und schaute mich besorgt an. „Ich bin okay", gab ich zurück und rappelte mich auf. Ich hatte mir die Hände aufgeschürft und meine schwarze Jeans hatte ebenfalls ein Loch.

„Es tut mir sehr leid, ich habe dich nicht gesehen. Soll ich dich ins Krankenhaus fahren?", fragte Tom und hielt mir die Flasche hin, die ich dankbar annahm und fast halb leerte. „Ich bin sicher, dass ich nichts habe. Ich bin nur erschrocken", meinte ich und lächelte. Meine Mutter wäre geschockt ab meinem Zustand: durchgemachte Nacht, zerwühlte Haare, Schürfwunden und ich sprach mit fremden Menschen. Noch dazu hatte ich einen Crash verursacht. Mir gefiel es allerdings.

„Nein, wir bringen dich dorthin. Nur zur Kontrolle!", bestand die Frau darauf. „Wie heisst du?"- „Char...", fing ich an, brach dann aber ab. Tom und die Frau sahen mich abwartend an. „Charlie!", strahlte ich dann. Ich hasste meinen Namen, also war es der richtige Zeitpunkt, ihn zu ändern. „Cool! Ich bin Lou und das ist Tom, mein Mann. Unsere Tochter Lux schläft noch im Auto. Komm!"

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