Pessimisten werden nicht enttäuscht

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Löckchen war tot.



Das war die einzige Entschuldigung die ich für sein Verhalten akzeptierte. Dieser Bastard hielt es nicht für nötig sich bei mir zu melden. Nicht mal eine beknackte Nachricht hatte er geschrieben, obwohl ein winziges Sorry ja wohl das Mindeste nach seiner übereilte Flucht am Freitag gewesen wäre. Aber nein, der werte Herr war sich wohl zu fein für so etwas.

Ich hasste mich so unglaublich dafür, dass ich mich wie eines dieser Klischee Mädchen aus einem Mainstream-Teenie-Filmen verhielt. Alle fünf Minuten kontrollierte ich, ob er mir nicht doch noch geschrieben hatte, - hatte er nicht- die restliche Zeit zog ich eine Fresse wie Godzilla, wenn er Verstopfung hatte.

Sammy hatte meinen Gemütszustand mit Argusauge beobachtete, sich aber, zu seinem Glück, jeglichen Kommentar verkniffen. Er wusste, dass man mich, wenn ich schlechte Laune hatte, am besten in Ruhe ließ.

Das Schlimmste war jedoch, dass ich eigentlich am Meisten auf mich selber sauer war. Löckchen war einfach gegangen, das hatte wehgetan und es war meine Schuld. Es hätte mir eigentlich egal sein müssen was er tat, höchstens hätte ich angepisst oder ein wenig angefressen sein sollen, aber ich war verletzt. Verletzt, weil ich ihn an mich ran gelassen hatte, weil sich dieses kleine, mickrige, abscheuliche, verräterische Gefühl in meiner Brust festgesetzt hatte, Hoffnung. Hoffnung war das Schlimmste das einem passieren konnte, sie ließ einen blind werden für die Realität und wenn sie dann starb, und das tat sie immer, auch wenn es zuletzt war, dann tat das mehr weh als alles andere.

Das war das Gute daran ein Pessimist zu sein, wenn man immer vom Schlimmsten ausgeht kann man nicht enttäuscht werden, nur positiv überrascht.

Am Montag hatte ich es endgültig satt in meinem Selbstmittleid zu ertrinken. Ich raffte meinen geschundenen Körper vom Sofa auf und machte mich auf ins Namenlos, um mein Versprechen an Gerd zu halten. Ich hatte die Hoffnung, dass der ganze Trubel und die bekannten Gesichter mich ein wenig ablenken würden. Dem war auch so.

Kaum das ich durch die Tür meines Ladens getreten war, das altbekannte Stimmengewirr erklang, waren die tristen Gedanken vergessen. Gerd war, neben Sammy, der Einzige dem ich einen Zweitschlüssel für mein Restaurant anvertraut hatte. Ich wusste nicht wie lange die Helfer schon hier waren und fleißig damit beschäftigt waren irgendwelche Gegenstände von Platz A zu Platz B zu tragen, nur um sie dann keine fünf Minuten später doch wieder irgendwo anders hinzustellen, doch soweit ich erkennen konnte waren die Vorbereitungen noch nicht allzu lange in Gange.

„Wen sehen meine entzündeten Augen da!" rief die raue Stimme Gerds begeistert, als er mich erblickte. Wenigstens einer schien an diesem verregneten Tag gute Laune zu haben.
„Ich hab doch gesagt, dass ich heute vorbei komme." Ich lächelte leicht.
„Du weißt doch, dass ich ein Zweifler bin, ich glaube nur an das, was ich mit eigenen Augen sehen kann." Er kam auf mich zu und drückt mir eine schwere Kiste gefüllt mit irgendeinem Krimskrams in die Hand.
„Erklär das mal deinem WLAN."
Er zog seine Augenbraun irritiert zusammen. „Muss ich verstehen was du damit meinst?" fragte er und marschierte voraus Richtung Theke.
„Ne, alles gut. Der ist eher für jüngeres Publikum gedacht." Erwiderte ich grinsend, während ich ihm hinterher trottete.

„Hey, so alt bin ich nun auch wieder nicht." Stieß er empört aus, drehte sich, die Hände in die Hüften gestützt, zu mir um. „Außerdem, bin ich doch noch richtig funky unterwegs, mit mir kann man immer noch voll krass abdancen." Er vollführte irgendwelche Bewegungen, die man damals wohl ‚abdancen' nannte, heutzutage aber mehr als Epileptischer-Anfall durchgingen.
„Glaub ich dir aufs Wort!" Mit versucht ernstem Gesicht ging ich an ihm vorbei. „Aber bitte hör mit dem Herum-Gewackel auf. Ich will deiner Frau nachher nicht erklären müssen, warum deine künstliche Hüfte, wortwörtlich, im Arsch ist." Er funkelte mich böse an, hatte jedoch mit dem peinlichen ‚abdancen' aufgehört. „Du bist der Teufel, Cornelius, der Teufel." Ich wuchtete die Kiste auf den erhöhten Tresen, der Inhalt klirrte verdächtig.
„Erzähl mir was neues, langsam wird's langweilig." Lachte ich und streckte ihm spielerisch die Zunge raus. Das liebte ich so an Gerd, egal wie dreckig es mir ging, er schaffte es immer irgendwie mir ein ehrliches Lachen zu entlocken.

Optimisten werden immer zuerst gefressen Donde viven las historias. Descúbrelo ahora