Das Schiff sinkt sowieso

7.4K 725 145
                                    

Mein Vorhaben, mich von Löckchen fernzuhalten, funktionierte genau vier Tage lang. Am Sonntagabend saßen wir nebeneinander auf unserem zu kleinen Sofa und sahen dabei zu, wie überbewertet Schauspieler mit dramatischer Musik hinterlegt, auf einem, wohl doch nicht so unsinkbaren Schiff, immer noch genügend Zeit fanden, um sich ihre unsterbliche Liebe zu gestehen. Untermalt wurde dieser Kitsch von ‚Tammys' Kichern, das die Zwei immer wieder von sich gaben, während sie sich gegenseitig mit Popcorn fütterten. Gelegentlich wurde dieses Schauspiel von schmatzenden Kuss Geräuschen unterbrochen. So langsam bekam man den Eindruck, sie wären an den Lippen zusammengewachsene Siamesische Zwillinge. Widerlich.

Man konnte also festhalten, dass diese Situation durchaus unangenehm war, auch ohne, dass man neben der Person saß, die ein undefinierbares Gefühlschaos in einem auslöste. Ich dachte schon, der Höhepunkt der Unbehaglichkeit, wäre die berüchtigte Sexszene im Auto und Blondies dämlicher Kommentar „So im Auto würde mich das ja schon mal reizen.", gefolgt von Sammys Kichern und meinem Wunsch mich zu übergeben, gewesen, doch ich wurde eines besseren belehrt.
Als die Titanic gerade begann in den eisigen Fluten unterzugehen, Sammy bereits Rotz und Wasser heulte -ich war sehr froh, das dieses Mal nicht mein armes T-Shirt, als übergroßes Taschentuch herhalten musste, sondern das von Blondie-, registrierte ich eine Bewegung zu meiner rechten Seite. Löckchen war ein Stück näher an mich gerutscht, sein Arm berührte meinen kaum merklich, streifte ihn jedoch gelegentlich. Die Ameisenparade legte wieder los und dieses schrecklich angenehme Kribbeln durchfuhr meinen ganzen Körper. Wie ich ihn dafür hasste.
Ich rutschte so unauffällig ich konnte auf dem immer kleiner werdenden Sofa herum, versucht so viel Platz wie möglich zwischen mich und den erneut uneingeladenen Gast zubringen. Ich war kaum überrascht gewesen, als ich vor gut einer Stunde unsere Wohnungstür öffnete und meine zwei Lieblingsmenschen davor erblickte. Selbstverständlich hatte Sammy sie eingeladen, natürlich hatte er mir vorher nicht Bescheid gegeben und logisch war ich ein wenig angefressen gewesen. Nun was hieß gewesen, ich war es immer noch.

Löckchen gähnte. Wäre diese Situation nicht so verdammt ernst gewesen, hätte ich wahrscheinlich gelacht, als er doch tatsächlich zu diesem Hollywood-Teenie-Film-Move ansetzte, bei dem er so tat, als würde er sich strecken nur um ‚unauffällig' seine Arm auf meine Schultern zu legen. Glaubte er wirklich, dass das funktionierte? Sah ich so billig aus?
Seine Finger malten kleine Kreise auf meine linke Schulter. Die Stelle, die er berührt, wurde fürchterlich warm, als würde er seine Körperwärme durch meine Klamotten hindurch auf mich übertragen wollen, zudem kribbelte mein ganzer Arm, als hätte ich ihn mit Brausepulver eingerieben. Ekelhaft. Ein Schauer überlief mich und er begann zu lächeln, als er meine Reaktion bemerkte. Dieser verdammte Mistkerl. Am Mittwoch hatte er mir noch beigepflichtet, das wir die ganze Sache vergessen und uns wie Erwachsene verhalten sollten und nun versuchte er mich mit irgendwelchen einfallslosen Tricks zu verführen? Wann würde ich endlich schlau aus diesem Idioten werden?

Er lehnte sich ein wenig näher zu mir, ich konnte seinen gleichmäßig ruhigen Atem hören, während er weiterhin gespannt auf die Mattscheibe starrte. Ich fühlte das laute Pochen meines Herzens bis in meine Zehenspitzen. Das konnte nicht normal sein, was er da mit mir anstellte. Und es musste aufhören. Hier und jetzt!

Mit der Eleganz eines schwangeren Rhinozeros, sprang ich vom Sofa auf und stolperte gegen den Couchtisch. Der dumpfe Laut, den ich dabei erzeugte, sorgte sogar dafür, das Sammy für einen kurzen Moment von seinem Geliebten abließ, um mich fragend zu mustern.
„Ich glaub, ich hab den Herd angelassen." Murmelte ich die erste Ausrede, die mir in den Sinn kam und verließ den Raum mit eiligen Schritten. Ich war wirklich schon mal ein besserer Lügner gewesen.

Im Flur verharrte ich einige Sekunden. Sollte ich es wagen noch schnell einen Umweg am Gefrierschrank vorbeizumachen oder mich direkt in meinem Zimmer verkriechen? Ich hatte mir geschworen, nie wieder eine Küche zu betreten, wenn er in der Nähe war, andererseits ging es hier immerhin um EIS! Schwierige Entscheidung... Na gut, machen wir uns nichts vor, wir wissen alle wofür ich mich entschieden habe.

Optimisten werden immer zuerst gefressen Όπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα