Von der Angst vorm glücklich sein

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Ein Klopfen an meiner Zimmertür reichte aus, um mich zu Tode zu erschrecken. Als hätte man mich bei etwas verbotenem erwischt, schloss ich schnell den Karton und schob ihn unters Bett.

„Kannst reinkommen." Ich rieb mir noch einmal schnell über mein Gesicht, als könnte ich damit die Traurigkeit abschütteln, die mich ergriffen hatte.

Langsam öffnete sich die Tür und Emanuel steckte seinen Kopf in mein Zimmer. „Hey.", lächelte er sanft. „Ich kann nicht schlafen und wollte gucken, ob du noch wach bist. Ich hab dir auch Eis mitgebracht, damit du mich nicht gleich wieder weg schickst." Zum Beweis hielt er seine Hand hoch, in der er eine köstliche Portion ‚Cinnamon Buns' Eis von Ben&Jerrys hielt.

Ein gutaussehender Mann kommt abends in mein Zimmer und bringt mir Eis, was könnte man sich mehr wünschen?

Na gut, fairerweise musste man sagen, dass ich mich selbst über Hannibal Lecter gefreut hätte, wenn er mir Eis mitgebracht hätte.

„Komm rein." Ich deutete vor mir auf mein Bett. Leise schloss er die Tür hinter sich, immerhin war es schon nach Mitternacht und Maggie war am Schlafen.

Mit einem Lächeln ließ er sich aufs Bett plumpsen und reichte mir das Eis und einen der zwei Löffel, die er in der Hand hielt.

„Ich hoffe ich darf mir auch ein oder zwei Löffel stibitzen?"

„Du hast es immerhin gekauft, da wäre es herzlos, wenn ich dir nichts abgeben würde."
Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich diese Sorte in meinem kleinen Lager im Gefrierschrank befand, obwohl sie zu meinen All-time-Favorit's gehörte. Vor allem um die Weihnachtszeit herum.
Da Maggie sich weigerte mir Eis zu kaufen, sie war der Meinung, zu viel Zucker wäre schlecht für mich, konnte also nur Ema das Eis gekauft haben.

„Ich war vorhin sowieso einkaufen, da hab ich ein paar Packungen mitgebracht. Sieh es, als eine Art Miete, weil ich auf eurem Sofa schlafen kann. Von daher gehören sie dir." Er lächelte unglaublich charmant.

„Du weiß, dass das nicht nötig gewesen wäre. Aber trotzdem danke."

Ich versuchte ebenso charmant zurückzulächeln.

„Geht es dir gut? Du siehst aus, als hättest du einen Krampf in der Wange." Belustigt musterte er mich.

Genau das war der Grund, warum ich nie lächelte.

„Ich hab gelächelt." Erklärte ich kühl und schob mir ein Löffel Eis in den Mund.

„Seit wann lächelst du?" Seine Stimme klang schockiert, doch an dem Zucken seines Mundwinkels erkannte man, dass es nicht ernst gemeint war.

„Das war ein Witz, als ob ich lächeln würde. Ich erleide gerade einen Schlaganfall und bin dabei zu sterben. Das was du hier siehst-", ich fuchtelte mit dem Löffel vor meinem Gesicht herum, „- das sind die letzten Zuckungen eines sterbenden Mannes." Meine Stimme war monoton, mein Gesicht ausdruckslos.

Doch als er begann zu lachen, fiel auch meine Maske. Emas Lachen war ein Unikat und nicht im herkömmlichen Sinne schön. Es war rau und kratzig und kantig und irgendwie eckig, es war wirklich ein seltsames Geräusch, das er da von sich gab, doch dadurch war es auch furchtbar ansteckend.

Automatisch musste ich mitlachen.

„Hab ich dir schon mal gesagt, " setzte ich ein wenig atemlos nach dem ganzen Gelächter an, „dass ich dein Lachen liebe. Es ist so schön hässlich." Ich grinste und hoffte, er verstand, das ich das Wort ‚hässlich' keineswegs abwertend gemeint hatte.

Ema lachte erneut auf, bevor er mir ebenfalls grinsend antwortete. „Ja, das hast du mir schon mal gesagt. Ich glaube deine Worte waren: ‚Wie ein Vogel im Stimmbruch, der qualvoll stirbt'."
Diese Erinnerung brachte uns beide erneut zum Lachen. Tatsächlich waren dies eins zu eins die Worte, die ich an Teenager-Emanuel gerichtete hatte.

Optimisten werden immer zuerst gefressen Where stories live. Discover now