Aus diesem Winkel ist alles nur noch halb so beschissen

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Die tödliche Wirkung einer Atombombe setzt sich aus drei Komponenten zusammen.

Die Hitzewelle, die in Sekundenbruchteilen alles in näherer Umgebung verbrennt.
Die Druckwelle, die auch auf weite Entfernung alles umhaut, was ihr im Weg steht.
Und die Strahlung, die dich schon bei geringem Kontakt krank macht und dich längerfristig zerstört.

Cornelius Schnick war eine dieser verdammten Atombomben. Zerstörerisch, unaufhaltbar und todbringend.

In dem ersten Moment, wenn du ihn siehst, bist du geblendet von seinem Auftreten. Es ist nicht die Tatsache, dass er gut aussieht, es ist eher die Art wie er wirkt, die auf so schmerzhafte Weise faszinierend ist. Er ist Selbstbewusst, ohne überheblich zu sein. Und gleichzeitig schwingt in allem was er tut, diese kühle Abneigung, diese zynische Genervtheit mit, die ihn so interessant wirken lässt.

Und dann öffnet er den Mund. Mit einem Satz bestätigt er all deine Befürchtungen und erfüllt all deine Hoffnungen. Er ist ein Arsch und seine zerstörende Direktheit lässt dich schutzlos zurück. Mit einem scharfen Blick hat er dich analysiert, ohne dich in eine Schublade zu stecken.

Wenn man ihn dann aber besser kennen lernt, wirklich kennen lernt, merkt man recht schnell, dass sich in ihm mehr befindet, als das was er zu sein vorgibt. Er ist mitfühlend und hilfsbereit. Für die wenigen Menschen die es in sein Herz geschafft haben, würde er alles tun, sich selbst aufgeben um sie zu retten. Und seine leidenschaftliche, selbstlose Art zu Lieben, lässt in dir den Wunsch wachsen, es irgendwann auch bis in sein Herz zu schaffen.

Dabei bemerkst du nicht, dass er diese Kraft besitzt, dich unbemerkt von innen heraus zu zerstören. Du würdest es erst merken, wenn es zu spät wäre. Er nimmt dich ein, ohne es zu wollen und stellt Dinge mit dir an, die du nicht verstehst.

Und all dessen, war er sich nicht einmal bewusst. Er hatte keine Ahnung, was er mit jemanden anstellen konnte. Er wusste nicht, wie wunderschön das Gesamtbild all seiner Fassetten war. Er bemerkte nicht, wie er mich schon längst in seinen Bann gezogen hatte. Scheiße, ich hatte es ja nicht einmal selber bemerkt.

Als ich an diesem Freitagabend die verlassenen Straßen entlang ging, auf dem Weg zu seiner Wohnung, war ich schwer am Grübeln, welche halbwegs glaubwürdige Ausrede er für mein unangemeldetes Auftauchen um diese späte Uhrzeit wohl akzeptieren würde. Auf noch ein schmerzhaftes Aufeinandertreffen von meiner Nase und der Wohnungstür legte ich keinen besonderen Wert. Ich wusste selber nicht einmal genau, warum ich ihn gerade so unbedingt sehen wollte. Ich wusste nur, dass mir der Streit mit meinem Vater immer noch schwer im Magen lag, tausend Gedanken schwirrten in meinem Kopf, ohne dass ich einen von ihnen fassen konnte. Und immer, wenn ich bei Cornelius war, schien es, als wäre die restliche Welt für diesen Moment pausiert, nur er und ich, nur das hier und jetzt existierte. Mein ganzes Sein fokussierte sich auf ihn und eine wohltuende Leere kehrte in meinem Kopf ein.

Die hell erleuchteten Fenster des Namenlos waren schon vom Ende der Straße zu erkennen. Sie zogen mich an, als wäre ich eine Motte. Oder eine Stechmücke. Oder irgendein anderes Insekt, das auf Licht abfuhr... Vergleiche waren noch nie wirklich mein Ding.

Ich fragte mich, was er um diese späte Uhrzeit noch in seinem Laden zu tun hatte. Mir war nicht ganz wohl bei der Vorstellung, es könnte noch jemand anderes bei ihm sein. Doch ich wusste, dass es nun sowieso zu spät war, um umzudrehen. Selbst wenn mein Kopf gewollt hätte, meine Füße würden sich nicht mehr davon überzeugen lassen.

Ohne durch die großen Fenster zu blicken, trat ich auf die Eingangstür zu. Über der Tür hing kein kleines Glöckchen, das mein Eintreten ankündigte. Es würde auch nicht zu ihm oder seinem Laden passen, doch ich bedauerte es. Jedes Mal, wenn ich durch eine Tür trat und dabei ein helles Klingeln über meinem Kopf erklang, erinnerte ich mich an den Süßigkeiten-
Laden den ich in meiner Kindheit so sehr geliebt hatte. An jedem Monatsbeginn hatte ich mein gesamtes Taschengeld gegen Süßigkeiten eingetauscht. Bis meine Mutter es mir verboten hatte, weil ich ihrer Meinung nach zu dick geworden war.

Optimisten werden immer zuerst gefressen Où les histoires vivent. Découvrez maintenant