"Tschüss, Papa" - pt.1 | 1

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"Es geht nicht, Joko. Es geht nicht und das weißt du genauso gut wie ich."

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Klaas zögerte einen Moment und ließ den Zeigefinger über dem Display schweben. Dann las er die Nachricht ein letztes Mal und drückte auf Senden.
"nach dem dreh noch 1 bier?"
Joko, für den sie bestimmt waren, würde verwirrt sein. Aber vermutlich, so hoffte Klaas, würde er das nur einfach so hinnehmen. Nahezu nie kam es vor, dass sie zu zweit etwas gemeinsam unternahmen, außerhalb der Drehs. Mit dem Team gingen sie vielleicht das eine oder andere Mal noch etwas trinken, aber so zu zweit, das nicht. Dass Klaas seine Gedanken offen auf den Tisch legen wollte, das kam ebenso selten vor. Aber er brauchte einfach irgendwen, mit dem er darüber sprechen konnte. Und in dem Fall war Joko der Richtige dafür. In der Hoffnung, dass Klaas das nachher auch noch auf die Reihe bekommen würde.
Er war schon immer ein distanzierter Mensch gewesen, eher zurückhaltend. Verzog sich teilweise schon bei Belanglosigkeiten in sein kleines Schneckenhäuschen. Würde es jemals ein Buch über ihn geben, überlegte er sich, als er das Handy wegsteckte und nach seiner Tasche griff, dann sollte das auf keinen Fall mit Ich-Erzähler geschehen. Aber wer sollte das schon tun, dachte er, als er seinem Lieblingsimbiss den Rücken zukehrte.

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Gerade als Klaas hinter dem Studio, in dem Circus HalliGalli aufgezeichnet wurde, parkte und den Motor ausschaltete, spürte er das Vibrieren in seiner Jackentasche. Vermutlich war es Joko, der hing sowieso die ganze Zeit am Handy und antwortete dementsprechend schnell. Oder Aufnahmeleiter Pascal, der wissen wollte, wann er endlich mal eintrudelte.
In der einen Hand die Tasche, zerrte er mit der anderen an seinem Handy und versuchte, es aus der Jackentasche zu befreien. Es war tatsächlich Joko, der ihm schrieb. "klar. muss ich mir sorgen machen?", war seine Antwort. Natürlich hatte er was gewittert. Man kannte sich schließlich.
"alles gut", tippte Klaas mit einer Hand eine gewohnt knappe Antwort und lief dabei fast gegen die Tür. Nicht, dass sie sich nicht sowieso gleich beim Dreh sehen würden, aber so etwas zu klären fiel wohl immer über Text leichter - selbst einem Moderator.
Leise fluchend stieg er die Treppen nach oben zu seiner Garderobe. Der Tag fing schon wieder so enorm großartig an, das war kaum zu glauben. Schon ausgelaugt, bevor der Dreh auch nur richtig begonnen hatte, ließ sich Klaas in seinen Sessel fallen. Er könnte sagen, dass es damit zu tun hatte, dass sie zum ersten Mal live sendeten und damit viel später am Tag gedreht wurde, aber das wäre gelogen. Schließlich hatte er letzte Nacht kaum ein Auge zugetan. Wenn er doch nur nicht so ein Choleriker wäre, überlegte er und rieb sich über die schmerzenden Lider. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Vielleicht hätten er und Doris ein vernünftiges Gespräch führen können. Vielleicht wäre seine Freundin dann nicht mitsamt dem Kleinen mitten in der Nacht abgehauen. Und er wusste nicht einmal wohin. Klaas sollte sich allerdings nicht zu viele Gedanken machen, es war schließlich nicht so, als hätte er ihr Verhalten nicht kommen sehen. Machte er sich aber doch. Er wusste nicht, wie lange er so dasaß und sich den Kopf zerbrach über Dinge, die er im Moment nicht ändern wollte und nicht ändern konnte. Es gab eine Sendung zu produzieren und das hatte Vorrang. Leicht panisch schreckte Klaas hoch, als es klopfte. Es dauerte einen Moment, bis sich sein Puls wieder normaliserte. Ein wenig mehr Schlaf hätte nicht geschadet. Eventuell konnte er den noch nachholen, eine Stunde war vielleicht drin, wenn er sich jetzt zügig vorbereitete. Das "Herein!" murmelte er mehr als dass er es rief, aber da wurde die Tür ohnehin schon aufgerissen. Joko stand vor ihm und war noch immer nicht der Sonnenschein, der er sonst war. Um ehrlich zu sein sah er heute kaum besser aus, als Klaas sich fühlte. Klaas überlegte, seit er ihn heute morgen schon einmal kurz gesehen hatte, was bei ihm wohl los war und kniff die Augen leicht zusammen. Bisher hatten sie nicht in Ruhe reden können aber vielleicht würde er ihn das nach dem Dreh fragen.
"Na", meinte Joko nur, klopfte Klaas kurz auf die Schulter und schmiss sich neben ihn aufs Sofa.
"Na", antwortete Klaas. Er zwang sich nicht einmal, so zu wirken, als wäre alles in bester Ordnung. Es war schließlich Joko. Normalerweise tat Klaas das, normalerweise wäre er der Letzte, der sich anmerken ließ, wie es innerlich aussah. Ob positiv oder negativ. Außer vor ein paar Jahren, dachte er bei sich und konnte es nicht verhindern, dass Erinnerungen hochschossen. Er hatte wirklich glücklich ausgesehen, damals auf den Fotos mit Doris, die er gestern Abend durchgesehen hatte, als das Haus schon eine Weile ruhig gewesen war. Nur im Kopf hatte er noch die Schreie seines Kleinen nachhallen gehört. Hochgradig verliebt hatte er sie damals angesehen, das konnte man wohl sagen. Und wo war das alles hin? Was war nur schief gelaufen?
"Dir gehts echt mies, oder?", unterbrach Joko seine Gedanken. Ja, man kannte sich definitiv.
"Jap", gab Klaas nur kurz zurück. So sollte das nicht laufen. Nicht so zwischen Tür und Angel. Außerdem stand ein Job an, ermahnte er sich wieder einmal. "Was gibts denn so zu besprechen?"
Joko sah Klaas noch einen Moment an, dann widmete er sich den Blättern, die er neben sich auf die Couch geworfen hatte. Sie waren ein eingespieltes Team und sie beide wussten, wie es zu laufen hatte.
Tatsächlich lief es. Jahrelange Erfahrung hatte es die beiden gelehrt, jegliche private Dinge aus dem Kopf zu verbannen und sich ohne wenn und aber auf die Sendung zu konzentrieren. Klaas wollte sich gar nicht ausmalen, wo sie jetzt stünden, wenn sie das nicht konnten.
"Alles klar, sollten wir hinbekommen", meinte Joko gerade, als sie den Ablauf komplett durchgegangen waren. Klaas nickte, schmiss sich gegen die Lehne und schloss die Augen. Dann herrschte ein Moment Stille und keiner sagte etwas.
"Es geht um Doris, oder? Da ist was eskaliert heute Nacht", stellte Joko mehr fest als dass er es fragte. Klaas öffnete die Augen wieder und sah zu Joko. Erstaunt war er nicht, dass er ihn so leicht durchschaut hatte. Wie gesagt, man kannte sich. Manchmal vielleicht zu gut. Außerdem war es Joko, das hätte als Begründung wohl auch schon ausgereicht.
"Jap, da ist was eskaliert, kann man so sagen", meinte Klaas. Joko nickte nur. Es klopfte und ohne auf das "Herein!" zu warten, steckte Thomas den Kopf durch die Tür.
"Teaser-Dreh, Viertelstunde", meinte er nur und verschwand sofort wieder.
Joko stemmte sich mühsam vom Sofa hoch und seufzte. "Ich geh mal noch kurz ins Catering, vielleicht bessert das irgendwas."
Klaas nickte.
"Wo warst du eigentlich vorhin?", setzte der Große dann noch dran.
"Imbiss. Hatte kein Bock auf Gruppenfressen im Catering", erklärte Klaas. Joko verstand.
"Also bis gleich", meinte er dann noch und war schon dabei, die Tür hinter sich zu schließen.

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Klaas wusste nicht genau, wie er es geschafft hatte, den Teaser einigermaßen abzuliefern. Er war vielleicht etwas mau geworden, wenn man bedachte, dass sie die Hälfte der Zeit nur mit der Diskussion verbrachten, wann genau denn HalliGalli heute Abend lief. Aber die Tatsache, dass er heute morgen schon die spontane Idee gehabt hatte, als zusätzlichen Trailer Joko in seiner Garderobe zu überraschen und die Tatsache, dass es die erste Sendung nach der Sommerpause war, machte das recht gut wett. Es würde schon glatt laufen, dachte sich Klaas.
"Na, Hase", fragte Joko gerade leise und hielt Klaas seine Faust hin, "alles klar?"
Klaas nickte und schlug mit seiner schwach lächelnd gegen Jokos.
"Wird schon klappen", meinte er ebenso leise wie Joko. Und das sagte er nicht nur sich, das sagte er ihnen beiden.
"Ach komm her", sagte Joko dann plötzlich und zog Klaas in eine Umarmung, "wird alles wieder gut bei uns, okay?"
"Danke", antwortete Klaas nur und sie hielten sich vielleicht einen Moment zu lang fest.
"Jungs, ich kann euch hören", hatten die beiden plötzlich Jakobs Stimme im Ohr und sie mussten schmunzeln.
"Na und", sprach Joko an Jakob gerichtet, "bist doch sonst nicht so homophob."
Es war ein Scherz, weiter nichts. Doch in Klaas' Magen zog sich etwas zusammen. Er konnte es nicht benennen, es war ein ungutes Gefühl, nicht länger als ein paar Sekunden. Doch das war eine weitere Sache, über die er sich den Kopf jetzt nicht zerbrechen konnte und wollte. Denn Jakob sagte ihnen gerade die Sekunden ins Ohr, die ihnen bis zur Aufzeichnung blieben. Und dann gingen die Türen auf und die beiden lieferten ab, wie immer.

Ist das dieses Patchwork? (Joko/Klaas Fanfiction)Where stories live. Discover now