Kapitel 4

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4. Dezember

Auf dem Altar des Lieb- und Nettseins
werden unzählige Lügen geopfert.

(*1955), österreichischer Lehrer, Dichter und Aphoristiker

Nach dieser Information hatte er sich abgewandt und ich war weiter gegangen. Ich führte monotone Gespräche mit Adeligen, die weiß Gott woher kamen.

Als ich nach gefühlt zwanzig dieser Unterhaltungen gerade auf meinen Platz zurückgehen wollte, um meinen Vater zu fragen, wie wir die untätigen Adeligen unterhalten sollten, bemerkte ich den Mann, der mich bei unserer ersten Begegnung von der Seite, und den ich bei meiner Rede ebenso angesehen hatte. Sein Blick traf schon wieder den meinen und ich beschloss, zuerst noch ein Gespräch mit ihm zu führen. Langsam ging ich auf ihn zu und tat, als würde ich zufällig in eine Richtung kommen. Selbstverständlich wusste er, dass ich zu ihm gewollt hatte, aber dennoch tat er überrascht, als ich schließlich vor ihn trat und knickste. Er zog seine rechte Augenbraue nach oben. ,,Madame?", fragte er. Ich wollte gerade entgegnen, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte, als er sich verspätet verbeugte. Er führte das Gespräch fort. Währenddessen sah ich mir sein Gesicht genauer an. Er hatte dunkelblaue Augen, die wohl jeden in ihren Bann zogen. Ich war erst wenigen Menschen mit einer derartigen Augenfarbe begegnet, aber diese hier hatte etwas noch einzigartigeres. Vielleicht lag es aber auch daran, dass der Mann, dem sie gehörten, viele Gefühle aus ihnen leuchten ließ.

,,Ich hoffe, Ihr seid schon weit gekommen und ich bin der letzte Mann, mit dem Ihr sprecht?", fragte er. Verwirrt runzelte ich meine Stirn. Mein Vater hätte wohl gesagt, dass das nicht damenhaft wäre, aber mich wunderte es, dass er hoffte, dass er mein letzter Gesprächspartner sei. Wohlbemerkt war er das nicht. ,,Im Gegenteil. Ich bin gerade bei der Hälfte angekommen und wollte meinen Vater aufsuchen, um ihm zu sagen, dass ich nicht noch mehr Gespräche führen will." Wahrscheinlich war auch das nicht schicklich für eine Dame, aber ich redete bereits seit ungefähr zwei Stunden. ,,Oh, das klingt nicht gut. Wollt Ihr etwa mit allen Adeligen hier sprechen?" In seinem Unterton hörte man deutlich eine Bitte. Er wollte, dass es schnell vorbei sein würde. ,,Wollt Ihr nicht Eure Zeit hier verbringen?", fragte ich deshalb. ,,Mit Euch verbrächte ich sehr gerne meine Zeit, aber hier sind viele andere Männer, denen Ihr Eure Zeit ebenfalls widmet." Jetzt zog auch ich meine Augenbrauen nach oben. Er wusste, was typische Frauen hören wollten. Schade für ihn, dass ich nicht zu diesen Frauen gehörte.

Abschließend fragte ich ihn: ,,Wie heißt Ihr eigentlich?" Er lächelte, als wäre das die Frage, auf die er die ganze Zeit gewartet hätte. Er antwortete grinsend und eine Verbeugung andeutend: ,,Ich heiße Wilhelm, aber Ihr dürft mich gerne Will nennen." Nun stahl sich doch ein Grinsen auf mein Gesicht. Ich drehte mich schon um, sagte aber noch: ,,Hoffentlich sehen wir uns wieder, Will." Nun lief ich doch zu meinem Vater. Er sah mir schon entgegen, und sein Gesichtsausdruck strahlte nicht wirklich von Freude. Als ich fast angekommen war, spürte ich eine Hand auf meiner Schulter, die mich zurückzog. Ich drehte mich überrascht um und sah Will vor mir. Gerade wollte ich fragen, was er wollte, als er meinen Gedankengang unterbrach: ,,Wollt Ihr mir nicht sagen, wie Ihr heißt?" ,,Wisst Ihr das etwa nicht?" Das wunderte mich tatsächlich. Wusste man nicht, zu wessen Fest man ging, wenn man mit der Person auch noch reden musste? Sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er es tatsächlich nicht wusste. Ihn nachahmend antwortete ich: ,,Ich heiße Elizabeth, aber Ihr könnt mich gerne Els nennen." Wieder drehte ich mich um. Plötzlich hörte ich nochmal seine Stimme: ,,dürft"

Ich drehte mich um. ,,Was?"

Ich habe gesagt: ,,Ihr dürft mich gerne Will nennen."

Noch immer verwundert bemerkte ich nicht, dass mein Vater mich beobachtet hatte und nun ein Gesicht zog, als hätte es eine Woche ohne Pause geregnet. Oder schlimmer noch- als er meinen ihm zugewandten Blick sah, verschlimmerte er sich nur noch. Wahrscheinlich hätte es sonst einen guten Monat regnen müssen, um ihm eine derart schlechte Laune zu machen.

,,Vater, geht es Euch nicht gut?"

,,Ob es mir nicht gut geht? Meine Tochter verhält sich wie eine dahergelaufene Bäuerin, die keine Manieren hat, und ich sitze hier seit Ewigkeiten ohne ein einziges Gespräch geführt zu haben. Bist du wenigstens langsam zum Ende gekommen?" Sein genervter Blick durchbohrte mich. So übellaunig war er schon lange nicht mehr gewesen.

,,Ich bin gerade mit der Hälfte fertig, allerdings bin ich der Meinung, dass ich bereits geeignete Männer getroffen habe und die restlichen gerne nach dem heutigen Tag gehen können." Es widerstrebte mir, das zu sagen, aber schlimmer war nur das, was noch kommen würde. ,,Ich bin sicher, der König hat bereits eine kleinere Auswahl getroffen, die tatsächlich nur für mich in Frage kommt?" Mein Verdacht bestätigte sich, als ich den ertappten Blick meines Vaters sah. Ich wandte meinen Blick ab, um nicht enttäuscht das Gesicht zu verziehen. Mein Vater hatte mich belogen.

,,Er hat in der Tat ein Dutzend Männer gewählt, die einzig für dich in Frage kommen werden." Hätte ich ihm in diesem Moment ins Gesicht gesehen, hätte ich erkannt, dass er mich schon wieder belogen hatte. Und diese Lüge war um einiges schlimmer. Da ich davon aber keine Kenntnis hatte, atmete ich erleichtert auf und wandte mich ihm zu. ,,Ist es in Ordnung für dich, wenn wir den heutigen Tag abschließen und ich mich morgen mit der Auswahl an Männern treffe?", fragte ich.

So machten wir es. Doch wegen der Lügen meines Vaters kam alles anders als gedacht.

Eliza Where stories live. Discover now