Kapitel 13

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13. Dezember

Die Liebe braucht Unsicherheit; sie entzweit sich mit jeder Gewißheit und folgt Liebenden nicht viel weiter als bis zur Schwelle der Ehe.

Emanuel Wertheimer(1846 - 1916), deutsch-österreichischer Philosoph und Aphoristiker ungarischer Herkunft

Ich darf ihn nicht heiraten. Ich muss seinen Bruder heiraten. Ich darf nicht in ihn verliebt sein. Wie ein ständiges Mantra wiederholte ich diese Sätze. Noch immer war ich überrascht, dass es zu dieser Situation gekommen war. Ich hatte Will fast geküsst! Und er hätte mich wirklich geküsst.

Doch ich durfte nicht mit ihm zusammen sein. Selbst wenn wir nur eine Beziehung gehabt hätten, hätte dies mir und Augustus nur alles erschwert. Wieso musste alles so kompliziert sein? Klischeehafter als es so war ging es nicht mehr. Wie konnte ich mich nur in den Bruder meines künftigen Mannes verliebt haben? Wie es wohl wäre, wenn ich Will auf Feiern begegnen würde, aber mich ihm gegenüber nicht so verhalten durfte, wie ich es wollte?

Meine Kehle schnürte sich zu. Meine Augen brannten vor lauter Tränen und es fühlte sich alles schrecklich an. Wie hatte es so weit kommen können? Natürlich hatte ich mich mit Will von Anfang an am besten verstanden und ich hatte auch am meisten mit ihm unternommen, aber ich hätte nie damit gerechnet, dass ich für jemanden etwas empfinden konnte, obwohl ich genau wusste, dass ich keine Chance hatte.

Als ich ein Klopfen an der Tür hörte, stoppte mein Schluchzen und ich stand schnell auf, um mir die Nase mit einem meiner Stofftaschentücher zu putzen. Ich wusste, dass ich miserabel aussah, und hoffte, dass vor der Tür niemand wartete, vor dem ich gut aussehen musste.

Als ich das Schloss aufsperrte, das ich davor geschlossen hatte, um mich vor ungebetenen Menschen zu schützen, stand mir plötzlich meine Mutter gegenüber. Mir ihr hatte ich am wenigsten gerechnet. Verzögert machte ich einen Knicks, obwohl ich wusste, dass uns hier niemand beobachtete, und öffnete die Tür so weit, dass sie genug Platz hatte, um mein Hauptzimmer zu betreten.

Sie sah sich um und wandte sich anschließend wieder mir zu. ,,Es hat sich hier nicht sonderlich viel verändert, nicht wahr?" Da ich wusste, dass das eine rhetorische Frage gewesen war, antwortete ich nicht. Stattdessen sprach ich die Frage aus, die mir schon länger auf der Zunge gebrannt hatte. ,,Wieso hast du mich bei Konstantin aufwachsen lassen?" Karolina blickte mich erstaunt an und überging meine Frage zuerst. ,,Ich dachte, deine Schwester hätte dir schon meine Gründe genannt." Auch sie duzte mich anscheinend bereits nach so kurzer Zeit.

,,Ach, hast du meine Schwester etwa zu deinem Sprechsklaven gemacht?" Ich wusste, wie unverschämt ich war und dass ich, wenn sie mich verraten würde, meinen ersten guten Eindruck verspielt hätte. Doch ich wusste nun, dass ich meine Mutter als Person nicht mochte. Gut, wenn sie ihre Tochter schützen wollte, und sie dafür extra zurückließ, zeugte das von großer Liebe. Doch weshalb war meine Schwester dann bei ihr und dem König aufgewachsen? Diese Gründe waren für mich nicht offensichtlich genug und ich fragte mich, ob sie mich je geliebt hatte.

,,Du hast also auch ein sehr ausgeprägtes Temperament." Sie sah mich an als wäre ich eine Attraktion, die sie noch nie gesehen hatte und deren Aussehen sie sich deshalb genau merken musste. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut, doch das war schon so, seit ich meinen ersten beinahe-Kuss erlebt hatte. Noch immer spürte ich viele kleine Nadelstiche in meiner Brust. Doch zum Glück war ich von meiner Mutter abgelenkt. So überwog nämlich meine Wut.

,,Was willst du hier in meinem Zimmer?", fragte ich deshalb. Karolina war ja wohl aus einem Grund hier her gekommen. Als wäre es völlig belanglos, antwortete sie mir: ,,Nun ja, du bist so plötzlich mit einem Mann verschwunden. Ich nehme an, du weißt inzwischen, wen du heiraten sollst? Ich hoffe für dich, dass es inzwischen Fortschritte gibt. Es ist nicht immer leicht, jemandem näher zu kommen, das weiß ich nur zu gut." Es schien so, als würde sie nicht mehr weiterreden wollen, doch dann entschied sie sich doch um.

,,Ich war wirklich in Konstantin verliebt, damals." Interessiert hob ich meinen Blick. Jetzt hatte meine Mutter ein interessantes Gesprächsthema gefunden. ,,Ich wusste aber, dass mein Vater wollte, dass ich einen möglichst mächtigen Mann heiratete. Und wie du weißt, muss man als Frau eben das tun, was die Männer einem sagen." Langsam nahm das Bild meiner Mutter Gestalt in meinem Kopf an.

,,Ich war einen Sommer lang hier, um zu lernen, wie sich eine wahre Lady verhalten soll. Dort habe ich Konstantin kennengelernt. Ich wusste damals noch nicht, dass mein Vater in dieser Zeit mit dem damaligen König verhandelte, um mich zur Frau seines Sohnes zu machen. Und als der Sommer vorbei war, war das unsere Beziehung auch. Aber unsere Freundschaft und unser Vertrauen zählen noch immer. Nur aus diesem Grund habe ich eines meiner Kinder ihm überlassen."

Ich wusste nicht genau, was ich mit diesen Informationen anfangen sollte. Meine Mutter tat mir dafür leid, dass sie nicht den Mann hatte heiraten dürfen, den sie geliebt hatte, aber so war es nun mal. Ich hatte mir ihr nicht mehr Mitleid als mit allen anderen, mich eingeschlossen. ,,Aber König Maximilian ist doch ein guter Mann, oder?", fragte ich, um wenigstens irgendetwas zu sagen.

,,Er ist nicht die schlimmste Wahl gewesen, das muss ich meinem Vater lassen." Die Stimmung meiner Mutter verbesserte sich wieder und ich war froh, sie abgelenkt zu haben. Sie sah mich nun mit einem scharfen Blick an. ,,Entscheide dich, was du tun wirst, wenn du jemand anderes heiraten willst. Auch wenn es nicht so scheint, gibt es immer noch andere Möglichkeiten."

Sie wandte sich ab und trat aus meinem Zimmer heraus. Verwirrt überlegte ich noch, was sie gemeint haben könnte. Hatte sie gesehen, dass Will und ich uns nähergekommen waren? Oder hatte sie es vermutet? Wenn es so war, wollte sie dann etwa, dass ich darum kämpfte, mit ihm zusammenzukommen? Schon wieder stieg dieses warme Gefühl in meinem Bauch auf.

Doch was sollte ich tun, wenn ich mir dieser Gefühle noch nicht sicher war?

Eliza Où les histoires vivent. Découvrez maintenant