Kapitel 16

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16. Dezember

So viel Lüge in der Liebe, so viel Liebe in der Lüge.

Manfred Hinrich (1926 - 2015), Dr. phil., deutscher Philosoph, Philologe, Lehrer, Journalist, Kinderliederautor, Aphoristiker und Schriftsteller

Mein Vater sah mich erwartungsvoll an. Wahrscheinlich dachte er, dass wenn ich ihn schon störte, ich auch einen sehr spannenden Grund dafür hatte. Und meiner Meinung nach war dies definitiv der Fall. Dennoch oder gerade deswegen war ich aber wieder nervös. Jetzt legte ich mein Schicksal gleichsam in die Hände des Königs. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm dieses anvertrauen sollte, aber ich hatte keine andere Wahl.

Ich knickste leicht, bevor ich sagte: ,,Eure Majestät." Nur nebenbei bemerkte ich, dass Wills Finger schwitzig waren. Das musste wohl daran liegen, dass er ebenso aufgeregt war wie ich. Auch meine Hände zitterten. ,,Wir würden gerne mit Euch verhandeln." Der König und auch Konstantin sahen mich mit verwirrtem Gesichtsausdruck an. Wahrscheinlich ahnten sie nicht mal, dass Will und ich tatsächlich ineinander verliebt sein könnten.

,,Ich soll ja verheiratet werden", begann ich, ,,und als ich auf dem Kennenlern-Ball Will getroffen habe, war er nur einer von vielen Männern, der aber im Gegensatz zu den anderen ziemlich gleichmütig schien." Ich bemerkte, wie die Augen der beiden Männer, die mir gegenübersaßen, bei Wills Namen komisch zu ihm schauten, schob das aber darauf, dass sie irritiert waren, dass ich nicht über Augustus sprach.

,,Nun ja, und dann habe ich ein paar der Männer, die ich dort kennengelernt habe, öfter getroffen, aber keiner war mir so offen und freundlich gegenüber wie Will." Ich wusste, dass ich in diesem Moment zu meinem eigenen Wohle log. Doch ich half mir damit ja selbst und so schlimm war diese Unwahrheit nun auch nicht.

,,Und irgendwann war der Zeitpunkt, wo Will und ich uns immer besser kennengelernt und mehr gemocht haben. Und jetzt sind wir in dem Augenblick angekommen, in dem wir mit euch verhandeln wollen." Ich sah, dass mein Vater nun nicht mehr genau wusste, um was es überhaupt ging. Wahrscheinlich hatte ich ihn mit dem, was ich sagte, eher verwirrt, als ihn aufzuklären.

,,Ich weiß, dass ich am Ende Wills Bruder, Augustus heiraten soll. Aber Will und ich würden lieber zusammen leben als in dem Wissen, dass wir uns zwar öfter begegnen würden, aber uns nie so verhalten dürften, wie wir es wollen würden. Ich heirate unter der Bedingung, dass ich nicht mit Wills Bruder, sondern ihm selbst die Ehe eingehen darf."

Nach diesen Sätzen war es erstaunlich still. Ich war unglaublich aufgeregt. Meine Hände zitterten wie verrückt, obwohl sie von Wills gehalten wurden. Ich wusste, dass mein Gesicht vermutlich sehr undamenhaft rot glänzte, weil ich so schwitzte, und in meinem Rücken spürte ich noch dazu den Blick meines hoffentlich baldigen Gattens. Ich wusste, dass unter seiner Kleidung viele Muskeln waren, die sich bei jeder Bewegung anspannten. Der Gedanke daran, dass ich da bald meine Finger entlanggleiten lassen könnte, trieb mir die Röte ins Gesicht.

Ich konzentrierte mich wieder auf die Gesichter meines Vaters, des Königs, und Konstantin. Ich wollte wissen, was sie dachten, doch dass stellte sich als große Schwierigkeit heraus. Die beiden sahen aus, als wären sie sich nicht sicher, ob sie ein großes Geheimnis tatsächlich gelüftet hatten. Sollten sie nicht sauer sein oder zumindest ein nachdenkliches Gesicht machen? Bestimmt hatte König Maximilian nicht gewollt, dass ich mir das Recht nahm einen anderen Mann heiraten zu wollen. Doch er sah einfach nur unentzifferbar aus.

Als ich die drückende Stille nicht mehr aushalten konnte, wollte ich gerade anfangen, meinen Vater zu besänftigen, als Will einen Schritt nach vorne an meine Seite trat. ,,Wahrscheinlich ist es jetzt an der Zeit, ein Geheimnis zu lüften", begann er. Was sollte das? Welches Geheimnis meinte er überhaupt? Wollte er mir nun etwas über seine Familie erzählen, das mich verschrecken sollte, um zu testen, ob ich ihn wirklich genug liebte? Das konnte nicht sein. Ich wusste, dass ich Will so sehr liebte wie niemanden bisher.

,,Was meinst du?" Anfangs musste ich mich erst räuspern, weil mein Körper völlig verrücktspielte. Gebannt starrte ich auf seine Lippen, als könnte ich so erraten, was er gleich sagen würde. ,,Nun ja", Will schien nachzudenken, wie er anfangen sollte. Ich war zwar ein sehr ungeduldiger Mensch, aber wenn ich ihn gedrängt hätte, wäre er auch nicht schneller fertig geworden. ,,Ich weiß ja auch schon länger, dass i- äh, Augustus dich heiraten soll." Ich nickte brav, um ihn zum Weiterreden aufzufordern. Seinen kurzen Versprecher schob ich auf die Nervosität.

,,Ich bin hierhergekommen", Nick unterbrach sich, als hätte es keinen Sinn, so anzufangen. Währenddessen hielten sich mein Vater und Konstantin zurück. Sie wollten uns anscheinend unsere Privatsphäre lassen. Will seufzte noch einmal. ,,Ach, es hat doch keinen Zweck. In Wahrheit bin ich Augustus."

Erst realisierte ich nicht, was er da grade gesagt hatte. Ich wartete geistig immer noch darauf, dass Will nun zum springenden Punkt kam. Aber als ich verinnerlichte, was mir in diesem Moment erklärt worden war, stockte mir erst der Atem. Zuerst vor Verblüfftheit. Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Selbst, dass Will mir sagte, er wolle mich doch nicht heiraten, wäre mir in diesem Moment realitätsnäher vorgekommen.

Dann war ich verblüfft, weil ich so froh war, dass Will folglich mit mir zusammen sein könnte. Uns würde niemand daran hindern, dass wir heirateten. Nein, sogar mein Vater würde es unterstützen. Er hatte es ja von Anfang an gewollt.

Doch das letzte Gefühl war das, das am längsten blieb. Er hatte mir von Anfang an etwas vorgemacht, mich belogen. Ich war naiv gewesen, so geblendet von meinen Gefühlen, von der Freude, jemanden getroffen zu haben, der mich liebte, so wie ich ihn. Und dann stellte sich heraus, dass er mich die ganze Zeit angelogen hatte. Augustus hatte es nicht einmal für nötig befunden, mir das zu sagen, bevor ich zu meinem Vater stürzte, bevor er mich hier auflaufen ließ, bevor ich mich blamierte, bevor er mich blamierte.

Ich war fassungslos. Dies war das einzige, das ich in diesem Moment spürte. Ich war nicht mal verärgert oder traurig. Ich sah ihn einfach entgeistert an und wartete darauf, dass irgendetwas passierte. Dass er etwas sagte oder ich endlich etwas anderes spürte. Denn ich war mir nicht sicher, wie ich auf diesen Verrat reagieren sollte. Ja, es war Verrat. Er hatte mich betrogen und mein Herz ausgenutzt.

Eliza Where stories live. Discover now