Kapitel 20

155 10 0
                                    

20. Dezember

An der Grenze der Möglichkeiten beginnen die neuen.

Peter Amendt (*1944), Franziskaner

Ich hatte mich zwar inzwischen auch mit einigen anderen der Adeligen getroffen, um mich von Augustus abzulenken und eine Alternative an Männern kennenzulernen, aber niemanden hatte ich so sympathisch gefunden wie Martin. Ich wusste nicht, ob es Schicksal war, dass ich mich immer in die Personen verguckte, denen ich als erstes begegnete, aber bisher war es definitiv der Fall.

Ebenfalls wusste ich nicht, ob auch Martin mich wieder belog oder ähnliches tat, das mich kränken würde, doch bei ihm hatte ich definitiv das Gefühl, dass er ehrlich war. Ich ignorierte schlichtweg den Gedanken, dass das bei Augustus anfangs auch so gewesen war.

Die Zeit, die ich mit einigen der anderen verbracht hatte, war mir eher verschwendet vorgekommen. Sie hatten einfach nichts an sich, das mich faszinierte. Bei Martin war das völlig anders. Ich hatte ihn zwar noch nicht Querflöte spielen hören, doch das würden wir bald tun. Ich hatte es schon mit ihm abgemacht.

Meinem Vater hatte ich durch mehrere Boten zukommen lassen, wen der Adeligen ich hier nicht länger haben wollte. Weder er noch Konstantin hatten etwas über das Thema Hochzeit mit Augustus gesagt, worüber ich ihnen vorerst dankbar war.

Nun lebten hier also nur noch sieben Menschen, von denen zwei leider Phillip und sein Bruder waren. Gegen die beiden konnte ich nun mal wenig unternehmen. Doch umso mehr freute ich mich, dass ich mit Martin Zeit verbringen konnte. Außerdem waren noch vier Männer da, die mir sehr sympathisch waren, allerdings eher als gute Freunde in Frage kommen würden. Doch das war nicht unbedingt ein Nachteil. Lieber heiratete ich jemanden, den ich mochte, aber nicht liebte, als jemanden, für den ich weder das eine noch das andere empfand.

Ich hatte mich heute wieder einmal mit Martin verabredet. Doch diesmal würde auch noch ein anderer Musiker dabei sein. Er hieß Heinrich und kam aus dem Norden. Doch er sprach fließend Deutsch und ich würde mich nicht schwertun eine andere Sprache zu lernen. Immerhin hatte ich mir bereits als Kind einige aneignen müssen.

Ich hatte mir ein luftiges Kleid angezogen, das tendenziell eher zu kalt war, da der Herbst bald anbrechen würde. Doch ich hatte ja zwei Männer zur Seite, die mich wärmen könnten. Geschminkt hatte ich mich nur dezent, doch dennoch sah ich nicht gut aus. Auf jeden Fall wäre es geeignet, um zu musizieren. Ich lief nach unten in das dafür ausgelegte Zimmer und wartete, bis meine Mitmusizierenden kommen würden.

Wir hatten ausgemacht, dass wir uns treffen würden, sobald die auf der Südseite angebrachte Sonnenuhr auf drei Uhr zeigen würde. Dann hätten wir genug Zeit, um Spaß zu haben und verschiedene Stücke auszuprobieren. Ich war mir sicher, dass unsere Instrumente gut zueinander passen konnten. Meine Harfe stand schon bereit und ich hatte auch eine Querflöte und eine Fidel anschaffen lassen. So würde uns hoffentlich nichts im Wege stehen.

Ich machte mir vermutlich mehr Gedanken als es nötig war, doch ich wollte, dass dies ein toller Nachmittag werden würde, an dem wir viel Spaß hätten. Als Martin und Heinrich den Saal betraten, begrüßte ich sie schon wie gute Freunde. Meiner Meinung nach waren wir das auch. Ich war froh, die kennengelernt zu haben. So fühlte ich mich als hätte ich Verbündete, Menschen die mir zur Seite stünden.

Ich hatte außerdem das Gefühl, dass die beiden mich auch nicht so schlimm fanden. Doch das könnte natürlich auch nur Wunschdenken sein. Wir setzten uns an die Instrumente, suchten ein Stück aus und begannen einfach zu spielen. Es klang zwar nicht perfekt, aber immerhin schien alles stimmig. Ich war entspannt und machte mir keine weiteren Gedanken, die mich nur nervös machten.

Vivaldi hatte mich schon immer beeindruckt und glücklicherweise hatte er auch weniger anspruchsvolle Stücke komponiert. Als wir fertig waren, sahen wir uns alle glücklich an. Wahrscheinlich war das ziemlich komisch, aber ich glaubte, dass wir alle vom alltäglichen Stress befreit waren. Man versank einfach in der ruhigen, aber dennoch mitreißenden Melodie. Es war mir bei der Planung dieses Treffens genau um dieses Gefühl gegangen. Selbst, wenn wir nicht viel redeten, fühlten wir uns untereinander doch wohl.

Eine gute Stunde später hatten wir beschlossen, dass es mit all den Stücken genug war. Wir gingen nach draußen in den Garten und ich war mehr als froh, dass die Sonne noch schien und ich so nicht frieren würde. Ich lief zwischen den beiden Männern und ich wäre am liebsten beschwingt den Weg entlanggehüpft, so glücklich fühlte ich mich. Ich war es nicht gewohnt, mit Begleitung zu spielen.

Doch ich hielt mich zurück und lächelte nur. Zuerst beobachtete ich Martin und Heinrich, dann fragte ich sie, was mir auf der Zunge lag. ,,Ihr spielt also beide Instrumente?" Das war zwar unter Adeligen nichts unnormales, aber es faszinierte mich dennoch. Von den drei übrigen Männern wusste ich nichts dergleichen.

,,Ich habe schon Fidel spielen gelernt als ich noch jünger war", erzählte Heinrich. Er war tatsächlich besser als ich gedacht hatte. Immerhin war es ein Unterschied, ob man gut oder perfekt spielte. Wobei ich natürlich nicht genug Ahnung hatte, um seine Art zu Spielen perfekt nennen zu können. Doch in meinen Ohren hatte es sich mehr als durchschnittlich angehört. ,,Und du bist auf die Fidel spezialisiert?", fragte ich, obwohl ich die Antwort schon zu kennen glaubte. Er bejahte die Frage.

Anschließend ging er einen anderen Weg, weil er seiner Familie noch einen Brief schreiben wollte. Er hatte sie immerhin schon lange nicht mehr gesehen. Martin und ich gingen nebeneinander weiter und ich bemerkte nun doch, wie ich zu frösteln begann. Wir waren hier im Schatten und es wehte ein kühler Wind, der mir eine Gänsehaut bereitete. Martin bemerkte dies sofort und er zog seine Jacke aus und hielt sie mir hin, ohne mich auch nur zu fragen, ob ich dies ebenfalls wollte. Doch mein Herz schlug nur kräftig und ich murmelte einen Dank.

Als wir an einem kleinen Brunnen angekommen, der so unspektakulär und abseits lag, dass ich glaubte ihn noch nie gesehen zu haben, blieben wir stehen und ich sah Martin in die Augen. ,,Wie geht es Eurer Familie?", fragte ich ihn. Ich wollte weiterhin ein belangloses Gespräch fühlen, bei dem wir uns vielleicht näher kommen würden. Er schaute auf das plätschernde Gewässer und seufzte kurz. ,,Ich weiß um ehrlich zu sein nicht, wie es ihnen geht."

Diese Antwort überraschte mich. ,,Ihr wollt das nicht herausfinden?"

Martin sah mich an und schien leicht verwirrt, als würde er sich fragen, wieso so etwas mich interessierte. ,,Ich bin hier, um zu wissen, wie es Euch geht. Meine Familie ist da eher nebensächlich." Diese Aussage erwärmte mein Herz. Etwa so, wie es bei Augustus immer gewesen war. Doch ich beschloss, ihm eine Chance zu geben. Mein Herz würde hoffentlich nicht wieder einen Fehler begehen. Selbst wenn es nur um Vertrauen ging.

Martin kam mir näher. Ich würde ihn heute noch nicht küssen, nahm ich mir vor. Wie kam ich überhaupt auf diesen Gedanken? Doch er schien das nicht vorzuhaben. Er trat zwar einen Schritt nach vorne, doch er redete einfach weiter. ,,Ihr seid anders, als ich es erwartet hätte." Verwirrt runzelte nun ich die Stirn. ,,Wie sollte ich denn sein?", fragte ich lächelnd. Doch ich wollte eine wahre Antwort hören. ,,Ich dachte, Ihr wärt verzogen und arrogant, so wie viele Frauen in eurem Alter." Das versetzte mir einen Stich in die Brust.

Nicht aus dem Grund, dass ich enttäuscht von ihm war, sondern dass ich mich tatsächlich früher so verhalten hatte. Früher, bevor all die Männer zu mir gekommen waren. ,,Woher wollt Ihr wissen, dass ich all dies nicht nur vorspiele und tatsächlich eine arrogante, unausstehliche Kuh bin?" Martin trat noch näher zu mir. Ich konnte seinen Atem auf meiner Wange spüren. Doch er küsste mich immer noch nicht. ,,Deswegen", sagte er schlichtweg und trat nun wieder von mir weg.

Ich wusste nicht, ob ich erleichtert war. Doch ich würde über all dies eine weitere Nacht schlafen. Das konnte schließlich nie schaden. Ich hörte Schritte und drehte mich mit einem ertappten Gesichtsausdruck um. Noch immer fühlte ich mich, als würden Martin und ich zu nahe aneinander stehen. Als ich Augustus erblickte, der einen mürrischen Gesichtsausdruck trug, wusste ich nicht genau, wie ich mich fühlte. Neben mir stand Martin, der sich ebenfalls umdrehte und einen Schritt näher an mich rückte. Augustus drehte sich beinahe empört weg und ich war froh, dass er nichts gesagt hatte. Denn ich musste mir über meinen Standpunkt selber noch klar werden. Oder wusste ich nicht, dass Augustus für mich nichts war?

Eliza Where stories live. Discover now