Kapitel 22

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22. Dezember

Wenn auch der Liebe sanftes Mondlicht untergeht,

die höhern Sterne ihres Himmels leuchten noch immer.

Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770 - 1843), deutscher evangelischer Theologe, Dramatiker und Lyriker (begann ab 1841 seine Gedichte mit ›Scardanelli‹ zu unterzeichnen)


Abends traf ich mich mit Martin. Für diese kurze Zeit würde ich nicht an Augustus denken, für keine einzige Sekunde. Ich hatte mich sogar ein bisschen hübsch gemacht, obwohl die Freude von heute Morgen verschwunden war. Ich war mir nun nicht mehr absolut sicher, ob ich mich für Martin oder Augustus entscheiden sollte. Warum brachte mich ein kurzes Gespräch nur so aus der Fassung?

Wir liefen nach draußen in den Garten und ich war froh, dass ich mir etwas zum Überwerfen mitgenommen hatte. Obwohl gewissermaßen fast noch Sommer war, war es nachts ziemlich kühl und Sommerkleider wärmten einen nicht mehr genug. Ich war schon sehr gespannt, was wir machen würden. Die Zeit, in der wir still hintereinander herliefen, nutzte ich, um Martin zu mustern. Der Wittelsbacher war bestimmt von meinem Vater als würdig erachtet worden, denn wer wollte nicht die Frau eines Mannes mit so hohem Stand werden?

Er war bisher immer nett gewesen, ich hatte mit ihm fast genauso viel Zeit verbracht wie zuvor mit Augustus und er sah auch nicht schlecht aus. Alles in allem war er für eine Zwangsheirat ein Traummann. Doch meine Gedanken schweiften unweigerlich zu meinem vorherigen Gespräch ab. Ich wusste nicht genau, wieso ich mein Herz nicht einfach abschalten und auf mein Gehirn hören konnte. Als ich ein Knacken hörte, achtete ich sofort wieder auf das Geschehen um mich herum.

Wir waren dem Grenzzaun nun ziemlich nahe. Ich wusste, dass ich unser Grundstück nicht einfach so verlassen durfte. Was plante Martin nur? Er war bestimmt auch darüber in Kenntnis gesetzt worden. Doch wir liefen immer weiter auf ihn zu, immer darauf bedacht, dass uns niemand sah. Ich wollte mir nicht ausmalen, was passieren würde, wenn mein Vater davon erfuhr. Doch noch immer vertraute ich Martin. Er hatte mich ja noch nicht enttäuscht.

An der Mauer angekommen, ja, es war eher eine Mauer als ein Zaun, sah sich Martin um und lächelte mich an. Er schien ziemlich aufgeregt zu sein. Ich war jedoch eher abgelenkt gewesen. ,,Na, bist du schon aufgeregt?", fragte er mich. Irgendwie war es doch ganz süß, wie viel Mühe er sich für mich gegeben hatte. ,,Was hast du denn geplant? Das würde mir helfen, um herauszufinden, ob es denn aufregend ist." Ich sah ihm in die Augen, fühlte aber noch nicht das Kribbeln, das ich mir wünschte, um sicher zu werden, dass ich das Richtige tat. Dass ich mich für den Richtigen entschieden hatte. Für einen guten Ehemann, der einen ebenso guten gesellschaftlichen Stand hatte. Vielleicht würde das Kribbeln, die Schmetterlinge noch kommen.

Martin wandte zuerst den Blick ab. ,,Ich hoffe, es wird dir gefallen", sagte er nur, bevor er zu den Gebüschen an der Mauer ging und sich durch die Äste durchquetschte. ,,Komm", rief er aus ihnen. Ich war mir nicht ganz sicher, was er denn in einem Busch zu suchen hatte, doch ich hatte beschlossen, ihm eine Chance zu geben, und lief deshalb hinterher. Ich bemerkte überhaupt nicht, dass ich die Mauer durchquerte. Doch als ich auf der anderen Seite angekommen war, war ich ziemlich erstaunt.

Ich stand vor einem wunderschönen kleinen See, der vom Mond angestrahlt wurde. Doch das war nicht das Unglaubliche. Das Beste daran war nämlich, dass ich kleine Lichter sah, die umherflogen. Und in der Mitte des Szenarios lag eine kleine Decke auf dem Boden, auf der wiederum ein paar weitere Decken lagen. Obwohl es bestimmt keine Meisterleistung gewesen war, diese Unterlagen zu organisieren, war ich begeistert. Es sah einfach wunderschön aus.

Martin trat neben mich; er musste wohl neben der Mauer stehen geblieben sein. Er sah mich von oben an und nahm mich leicht an der Hand, um mich mit sich zu ziehen. Doch im Gegensatz zu Augustus damals war er mehr als nur sanft. Langsam aber sicher wurde mir doch wieder wohler zu Mute. Meine Zweifel waren so gut wie verschwunden.

Wir ließen uns auf der Decke nieder und ich fühlte mich dazu verpflichtet etwas zu sagen. ,,Woher wusstest du von diesem Teich?", frage ich. Währenddessen sah ich Martin in die Augen. Obwohl wir saßen, war er noch immer deutlich größer als ich. ,,Ich habe da so meine Quellen", erwiderte er anfangs nur. ,,Und auf der Suche nach einem möglichst schönen Platz kam ich hier her. Nur den Durchgang habe ich nicht selbst gefunden." Ich war froh, dass Martin ehrlich war. Das tat Beziehungen immer gut.

Ich legte mich auf den Rücken und protestierte nicht, als sich Martin neben mich legte und meinen Kopf auf seine Brust zog. Es fühlte sich einfach gut an, mit einem Freund an so einem schönen Ort zu liegen und einfach zu schweigen. Erst jetzt fielen mir die Sterne auf, die hier strahlten. Schon immer hatte ich Sterne geliebt. Ich kannte verschiedenste Konstellationen und war schon früher immer extra lange aufgeblieben um Sternschnuppen betrachten zu können. Es hatte auch etwas Trauriges, wenn Sterne starben. Als ich jung war, hatte ich mich immer mit ihnen verbunden gefühlt, weil mich meine Mutter verlassen hatte. Doch jetzt fand ich den vielfältigen Himmel einfach nur schön.

,,Siehst du den Polarstern?", fragte ich Martin. Er spannte seine Muskeln leicht an, als er sich vorsichtig aufrichtete. Ich mochte das Gefühl von Muskeln unter meinen Händen. Sie erinnerten mich immer an Augustus... Schnell versuchte ich mich abzulenken. ,,Du magst die Sterne?", fragte der Wittelsbacher mich. Er hörte sich ziemlich erstaunt an. ,,Ist das denn komisch?", fragte ich.

Wir lagen eine Weile da und ich dachte schon, Martin würde nicht mehr antworten. ,,Ich mag Sterne auch", sagte er dann doch. Jetzt richtete ich mich leicht auf, drehte mich um und sah ihm direkt in die Augen. ,,Warum?", fragte ich. Ich musste einfach wissen, ob er es nur behauptete oder er die Himmelskörper wirklich mochte.

,,Sie sind so schön und erleuchten den Himmel, obwohl sie doch eigentlich kalt und alleine sind", sagte Martin, als wolle er mir etwas offensichtliches erklären. Ich glaubte ihm, dass das seine Meinung war, doch ich konnte ihm nicht zustimmen. ,,Sterne sind eine große Familie", sagte ich, eigentlich zu niemand Bestimmtes. Doch nur er war anwesend.

,,Glaubst du das wirklich?", fragte Martin nun mich. Ich flüsterte: ,,Ja." Wir redeten nicht weiter. Ich fühlte mich verbunden, so als könnte mir in dieser Stunde, die ich in der Kälte lag, niemand etwas anhaben. Mein Freund, den ich vielleicht heiraten würde, lag ja neben mir und wärmte mich. Und ich konnte fühlen, dass er mich beschützen würde, sowohl körperlich als auch psychisch. Ich war mir absolut sicher, dass mir mit ihm an meiner Seite niemand etwas anhaben könnte.

Eliza Where stories live. Discover now