Kapitel 12

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12. Dezember

Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt.

Johann Wolfgang von Göthe, (1749 - 1832), deutscher Dichter der Klassik, Naturwissenschaftler und Staatsmann


Ich war mehr als nur leicht verwirrt. Hatte ich mich verhört? Oder war das vielleicht nur ein Test, um herauszufinden, wie leichtgläubig ich war? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mein Vater auch der Vater meiner Schwester war. Ich dachte immer, sie wäre tatsächlich das Kind des Königs gewesen. Georgiana unterbrach meinen Gedankengang.

,,Ich bin die Tochter des Königs", sagte sie. Ich war froh, dass ich in der Hinsicht recht gehabt hatte. ,,Aber du bist auch die Tochter meines Vaters. Der Mann, der dich aufgezogen hat, war einmal ein guter Freund unserer Mutter und Königin Karolina hat dich ihm übergeben, weil sie selbst dem König nicht vertraut hat."

Ich bemerkte nur nebenher, dass meine Schwester, ja meine leibhaftige, komplette Schwester, mich duzte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es stimmte, was sie sagte. Ich konnte nicht die Tochter von Maximilian sein. Dann wäre ich ja eine Prinzessin. Außerdem hätte er niemals zugelassen, dass seine Tochter entfernt von ihm aufwuchs. Nicht aus dem Grund, dass er mich so geliebt hatte, das taten adelige Männer eher selten heutzutage, nein, sondern einfach weil es sich nicht gehörte und er dadurch in ein schlechtes Licht gerückt wäre.

Der Mann, der mich aufgezogen hat. So hatte Georgiana es ausgedrückt. Dieser Mann hieß Konstantin und ich liebte ihn mehr als ich sonst jemanden geliebt hatte. Die einzige Ausnahme war vielleicht einmal meine Mutter gewesen, aber das war schon so lange her, dass ich mich nicht mehr erinnern konnte.

,,Ich bin eine Prinzessin?" Meine Stimme klang ungläubig und ein bisschen zittrig. Mal davon abgesehen, dass ich es nicht ganz nachvollziehen konnte, dass ich dann nicht bei meinen Eltern aufgewachsen war, wollte ich weder hier wegziehen noch eine Prinzessin sein. Die waren unbeliebt, hatten trotzdem ein langweiligeres Leben als ich und mussten die ältesten und reichsten Männer des Landes heiraten. Allein schon wegen des letzten Punktes wäre ein solches Leben für mich völlig ungeeignet.

Meine Schwester antwortete mir nicht, aber sie nickte leicht mit dem Kopf. Inzwischen war unsere Mutter, die Königin weggegangen. Das hatte ich überhaupt nicht bemerkt. Meine Gedanken spielten Verrückt, weshalb ich mich bei Georgiana entschuldigte und in Richtung Ausgang des Saals lief. Kurz bevor ich dort angekommen war, stellte sich mir jedoch Will in den Weg. Anscheinend war er nicht mehr sauer auf mich oder ließ es sich zumindest nicht anmerken.

,,Was ist los?", fragte er sofort. Ich konnte die Sorge in seiner Stimme hören. Obwohl er mich noch nicht so lange kannte, schien er stets auf mich aufzupassen. Ein warmes Gefühl fuhr durch meinen Bauch. Ich bemerkte außerdem, wie sich meine Backen erröteten. ,,Will, was machst du hier", fragte ich, um ihn abzulenken. Doch er bemerkte meinen Versuch natürlich sofort. ,,Kommen Sie mit", sagte er und zog mich, ganz anders als es sich gehörte, an der Hand aus dem Saal. In diesem Moment machte ich mir noch keine Gedanken, ob uns jemand gesehen hatte.

Als wir draußen standen, manövrierte Will mich weiter in einen Gang, den keiner der Gäste betreten durfte. Als er mir dann gegenüberstand und mich betrachtete, als wollte er herausfinden, was ich dachte oder was passiert war, wendete ich meinen Blick ab. Ich wollte nicht, dass er wusste, dass ich eine Prinzessin war. Ich hatte ja bis jetzt selbst nicht viel von ihnen gehalten, sogar noch weniger als von den anderen adeligen Mädchen. Ich war schon immer eher unadelig gewesen, oder hatte mich zumindest so verhalten.

Als ich seinen schweigenden Blick nicht mehr ertragen konnte, sah ich ihm wieder in die Augen und seufzte. Ich wollte ihm nicht sagen, was ich erfahren hatte. Ich mochte ihn mehr als die anderen Männer, aber mein Vertrauen war trotzdem nicht ausgeprägt genug. Vor allem aber wollte ich nicht, dass er dann nur noch darauf aus sein würde, mich zu seiner Frau zu machen, um Prinz zu werden.

Will sah mich immer noch an. ,,Es tut mir leid", rief ich verzweifelt. Meine Gefühle spielten so verrückt, dass ich nicht wusste, ob ich traurig war oder ich mir nur Gedanken machen wollte. Will trat einen kleinen Schritt auf mich zu. ,,Wieso entschuldigst du dich?" Er sprach leise und mit einer Stimme, die so klang als müsste er sich räuspern. Schon wieder wollte ich den Blick abwenden. Das Chaos in mir verwirrte mich. ,,Ich kann dir nicht sagen, was ich heute alles erfahren habe, noch nicht." Entfernt erinnerte ich mich daran, dass ich heute erst mit meinem Vater geredet hatte. Es fühlte sich so an, als wäre das alles schon viel früher gewesen.

Als ich in Wilhelms Augen sah, die wie am ersten Tag, an dem wir uns begegnet waren, noch immer dunkelblau waren, versank ich in ihnen. Ich erkannte, dass sie fast überall dieselbe Farbe hatten, nur am Rand wurden sie noch dunkler, bis sie anschließend ein schwarzer Kreis umgab. Unbewusst trat nun auch ich näher an ihn heran. Ich wusste nicht genau, wie es geschah, aber ich bemerkte, dass auch Will mir in die Augen sah. Ich stellte mir vor, wie mein Karamellbraun mit seinem Dunkelblau verschmolz und die Farben sich ineinander verbanden.

,,Du kannst mir alles sagen", flüsterte Will nahe an meinem Gesicht. Gänsehaut überzog meinen Körper. Auch das flatternde Gefühl im Magen, das ich davor schon gespürt hatte, erschien wieder. Und in diesem Moment hätte ich alle meine Geheimnisse mit ihm geteilt, wenn er mich darum gebeten hätte. Wir kamen uns immer näher und wie automatisch schlossen sich meine Augen. Unsere Münder berührten sich schon fast, als in mir Zweifel aufkamen.

Spielte er nur mit mir? War er tatsächlich ein Spitzel für den König, wie ich es mir schon so oft vorgestellt hatte? Doch am beißendsten war die Tatsache, dass ich ihn nicht heiraten durfte. Ich musste seinen Bruder Augustus heiraten. Auch wenn das viel in einen Kuss hineininterpretiert war, war das der Grund, wieso ich mich diesem Moment entzog.

Ich drehte meinen Kopf und ein drückendes Gefühl lastete plötzlich auf meiner Brust. Ich war traurig und wusste selbst nicht, wieso. Wills Lippen berührten meine Backe und nun öffnete auch er die Augen und trat nach einem Augenblick des Erkennens wieder einen Schritt zurück.

Diesmal war es mir um einiges banger zu Mute, als ich mich wieder entschuldigte. ,,Es tut mir wirklich leid." Ich drehte mich um und lief in meine Gemächer, wohin er mir nicht folgen konnte. Aber ich konnte einfach nichts mit ihm machen, wenn ich seinen Bruder heiraten musste. Als ich auf meinem Bett saß, bemerkte ich erst, dass mir still Tränen über die Wangen liefen.

Eliza Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt