Kapitel 23

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23. Dezember

Der größte Feind der Liebe ist die grübelnde Vernunft, die in kleinmütige Zweifel verfällt.


Heinrich Martin (1818 - 1872), deutscher Schriftsteller, Pseudonym für Heinrich Martin Jaenicke

Quelle: Martin, H., Ein Buch der Weisheit und Wahrheit, H. Jaenicke's Verlag, Dresden 1871

(ist der Name des Autors nicht ein Zufall? :D)


Am nächsten Tag wachte ich ziemlich müde auf. Auch jetzt hatte wieder einmal der Hahn gekräht, aber im Gegensatz zu dem Morgen, der nun schon einige Wochen her war, war ich erst spät ins Bett gegangen. Ich war noch ewig mit Martin draußen gewesen und hatte mir mit ihm die Sterne angesehen. Gewärmt hatte er mich ebenfalls.

Das brachte mich auf meine heutige Wahl zurück. Ich würde mich heute entscheiden müssen. Mein Vater wartete immerhin schon ewig auf meine Entscheidung, er hatte mir ja sogar im Endeffekt die Chance gegeben, mich tatsächlich zu verlieben und nicht irgendjemand fremdes zu heiraten. Aber ich war nicht glücklich. Freilich sahen alle gut aus. Jeder einzelne der Männer war ein Augenschmaus. Genug Geld besaßen sie alle sowie einen guten Adelsnamen, der viel zu sagen hatte. Aber in meinen Büchern und Fantasien war es immer um die wahre Liebe gegangen.

Doch inzwischen war ich mir wieder ziemlich sicher, dass Augustus mich nicht so geliebt hatte wie ich ihn, und auch ich wäre nicht vor ein Schwert gesprungen, um ihn zu beschützen. Zumindest konnte ich mir das jetzt einreden. Mein Gespräch mit ihm schob ich vorerst aus meinem Kopf. Ich stand auf und zog mich an, nachdem ich meine Haare geflochten hatte. Währenddessen dachte ich weiterhin darüber nach, wen ich heiraten sollte. Vielleicht hätten sich die meisten Mädchen in dieser Lage schon längst entschieden, aber so einfach war das für mich nicht.

Ich entschied am heutigen Tage immerhin mein Schicksal, alles über mein späteres Leben. Sollte ich jemanden heiraten, der durchaus nett war, mit dem ich mir aber nicht im Entferntesten vorstellen konnte, das Bett zu teilen, oder jemanden wählen, für den ich bereits Gefühle gehegt hatte, und der mir dasselbe über seine Liebe erzählt hatte. Doch dann bestand immerzu die Chance, belogen zu werden. Martin hatte mich nie belogen. Vielleicht hatte er ab und zu nicht alles erzählt, aber das immer nur zu meinem Besten.

Und Augustus? Hatte er dies nicht auch für mich getan? Die kleine Lüge war doch nicht so schlimm, oder etwa doch? Inzwischen war ich fertig angezogen und ging aus meinem Zimmer, noch immer völlig in Gedanken. Wenn Augustus gestern wirklich die Wahrheit gesagt hatte, dass ich mich heute entscheiden musste, dann war ich wirklich spät dran. Doch was brachte es mir, mir solche Vorwürfe zu machen...

Unten angekommen saßen alle am Frühstückstisch und warteten offenbar auf mich. Ich atmete unauffällig einmal tief durch und setzte mich dann auf meinen Platz, zu dem mir kurz darauf wieder Pfannkuchen gebracht wurden. Immerhin ein gewohntes Ereignis. Niemand aß, weshalb auch ich nun meinen Blick zu meinem Vater schweifen ließ. Es wunderte mich noch immer, wie schnell ich mich mit der Tatsache vertraut gemacht hatte, dass mein Vater, mein Erzeuger der König war.

Er sah mich an, als wollte er mir etwas vermitteln und schweifte mit dem Kopf nach unten. Erst jetzt bemerkte ich den Brief. Ich räusperte mich kurz und bemerkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Ich hatte heute nicht so viel Farbe aufgelegt wie sonst, da ich einfach unterbewusst gehandelt hatte. Ich hatte ja die ganze Zeit über Augustus und Martin nachgedacht. Auch Heinrich hatte ich kurz in Erwägung gezogen.

Auf dem Brief stand, dass wir nur noch gemeinsam zum Abschied frühstückten und ich mich noch am Vormittag entscheiden musste. Also hatte Augustus nicht gelogen. Ein Mal. Ich würde sofort mit meinem Ehemann abreisen. Zumindest stand das hier. Ob das bedeutete, dass ich hier heiraten würde, wusste ich nicht. Noch war ich nicht traurig. Mein Vater bedeutete mir nicht wirklich etwas, wie könnte er auch?

Anscheinend dachte dieser, dass ich mit der neuen Information, mich heute schon entscheiden zu müssen, noch nicht vertraut gewesen war. Umso besser, dass ich jetzt einen gefassten Eindruck machen konnte. Also war ich Augustus vielleicht doch etwas schuldig. ,,Wollen wir nun anfangen?", fragte ich, da mir schon der Magen knurrte. Ich musste ihn stoppen, solange ihn noch niemand gehört hatte.

Der König sagte nichts mehr und als er nach seinem Besteck griff, machten alle anderen Anwesenden die Geste nach. Inklusive mir natürlich. Ich beobachtete unauffällig alle Männer. Mit den Meisten hatte ich nur selten etwas unternommen, und wenn überhaupt, dann in größeren Gruppen. So konnte ich mehrere auf einmal abarbeiten. Doch jetzt wünschte ich mir, ich hätte mir mehr Zeit für sie genommen. Dann hätte ich vielleicht eine optimale Lösung für meinen Ehepartner. Nun ja, jetzt war es eindeutig zu spät.

Augustus saß mir schräg gegenüber und beobachtete mich durchgängig. Er wollte anscheinend jetzt schon wissen, für wen ich mich entschieden hatte. Doch ich wusste es noch nicht einmal selbst. Da konnte er lange warten. Vielleicht wollte er mich auch warnen, dass ich mich keinesfalls für Martin entscheiden sollte. Dieser saß auf einer komplett anderen Seite und schien gelangweilt zu sein. Unser Abend gestern war schön gewesen, aber mit Augustus wäre er noch schöner gewesen, das wusste ich.

Ständig schweifte mein Blick zwischen den beiden her. Den Rest ignorierte ich. Plötzlich sprach mich von rechts Heinrich an. Er war mir noch immer sehr sympathisch. Bei ihm tat es mir tatsächlich leid, dass ich ihn nicht besser kannte. Vielleicht wäre er ja eine gute Lösung gewesen. Zumindest wollte ich ihn mindestens als guten Freund in Erinnerung behalten. ,,Seid Ihr aufgeregt?"

Ich unterdrückte ein Lachen. Und wie ich inzwischen aufgeregt war. Aber nicht über die Tatsache, dass ich mich entscheiden sollte, sondern über mich selbst. Warum war ich nicht einfach abgehauen? Dann wäre ich nun nicht in dieser Lage. Vielleicht wäre ich auch inzwischen mit Augustus verheiratet und er würde mich nicht mehr anlügen, weil er vor mir sowieso nichts verheimlichen konnte. Aber wer wusste schon, was alles hätte passieren können?

,,Naja, es geht schon so", wich ich aus. Um aber nicht allzu unfreundlich zu sein, fügt ich hinzu: ,,Seid Ihr optimistisch?" Heinrich wusste natürlich, worauf ich hinauswollte. ,,Naja, ich glaube jeder hier weiß, für wen Ihr euch entscheiden werdet." Währenddessen sah er bedeutungsvoll in Augustus' Richtung. Wenn ich nur auch so überzeugt wäre. ,,Ihr wisst, dass er ein guter Mensch ist", er ließ es eher wie eine Frage klingen, aber ich war mir sicher, dass er mich ermutigen wollte.

,,Martin ist vielleicht ein Wittelsbacher, aber er will Euch nur heiraten, weil er einen höheren Stand braucht. Außerdem ist er stark verschuldet. Ob er Euch liebt, weiß ich natürlich nicht, aber ich glaube nicht dass seine Gefühle annähernd an die von Augustus kommen." Ich hatte bereits einmal zu hören geglaubt, dass Martin nur entfernt von den Wittelsbachern abstammte, aber dass Heinrich das wusste, überraschte mich.

,,Ihr seid Euch sicher?", fragte ich ihn. ,,Eindeutig", antwortete er nur. Jetzt war ich mir meiner Entscheidung nur noch unsicherer geworden. Na danke, mein Freund.

Eliza Where stories live. Discover now