Die ganze Geschichte

495 28 8
                                    

Gleich nachdem Ruby gegangen ist, bin ich ins Bett gegangen und habe geschlafen. Naja, ich habe es nur versucht. Denn wirklich gelingen wollte es mir nicht. Ich habe mich hin und her gewälzt, weil ich an nichts anderes mehr denken konnte, als an Ruby, an Scorpius, ja sogar an Jack.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich total unausgeschlafen und mir ist es so vorgekommen, als hätte ich nur wenige Minuten geschlafen. Und so ging es noch den Rest der Ferien weiter: Tagsüber sind Albus, James und ich auf dem Spielplatz gewesen oder haben die Straßen unseres kleinen Wohnorts unsicher gemacht. Oder ich lag in meinem Zimmer und habe das Buch angestarrt, in dem ich eigentlich lesen wollte. Aber irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass ich schon fünfmal die selbe Zeile gelesen, ihren Sinn aber einfach nicht verstanden habe. An einem Tag sind wir sogar in der Winkelgasse gewesen und haben uns mit neuen Zutaten für Zaubertränke aus der Apotheke eingedeckt. Und nachts habe ich geschlafen.

Wie man sehen kann: spektakulär war der weitere Verlauf meiner Ferien nicht wirklich. Am Sonntag auf dem Bahnhof Kings Cross bin ich schon fast froh gewesen, den Ferienalltag hinter mir zu lassen und wieder nach Hogwarts zu fahren, doch schon im nächsten Moment taten mir meine Gedanken selbst leid und ich wünschte, ich wäre noch eine Weile länger bei Mum geblieben.

Tja, und jetzt sitze ich in einem Sessel im Gemeinschaftsraum vor dem Kamin und starre trübselig vor mich hin. Wir sind erst vor ungefähr einer Stunde wieder in Hogwarts angekommen und schon habe ich keine Lust mehr auf Schule. Ruby hat sich schon vorhin von mir verabschiedet, gleich im Zug, weil sie Jack nachspionieren will oder: "mehr über ihn herausfinden", wie sie es betont hat.

Scorpius will in Ruhe auf seinem Zimmer lernen, wie man eine Nadel in ein Streichholz verwandelt, weil er es immer noch nicht beherrscht. Und Professor Mason, unsere Lehrerin für Verwandlung, übt schon Druck auf diejenigen auf, die immer noch zu tiefbegabt dafür sind.

Ich fühle mich so allein wie noch nie. Obwohl ich ganz genau weiß, dass ich mich erst vor ein paar Tagen wieder mit beiden vertragen habe, fühle ich mich ihnen immer noch unendlich fern. Ich rede mir ein, dass das nach einem Streit so ist. Dass man erst wieder das Vertrauen zueinander aufbauen muss. Doch das Band, welches wir anfangs zwischen uns banden, ist bei dem Streit gerissen und fühlt sich jetzt - selbst nach der Versöhnung - immer noch kaputt an.

Ich schaue aus dem Fenster. Es regnet. Das passt perfekt zu meiner Stimmung, die gerade den Höhepunkt eines Regenfalles erreicht hat. Ich weiß selbst nicht, warum ich gerade alles so negativ finde. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich innerlich schon auf den großen Schritt vorbereite, den ich gleich gehen werde. Oder - doch mir fällt keine andere Möglichkeit ein. Es muss die erste Vermutung sein.

Ich seufze und stehe widerwillig auf. Ich habe vor, meinen Dad heute zur Rede zu stellen. Ihn zu fragen, warum er die Lehrplanänderung eingeführt hat. Ob die Alraunen angepflanzt werden müssen, weil die Kammer des Schreckens vielleicht wieder geöffnet wird. Warum er uns nie etwas davon erzählt hat, dass er nach Slytherin gepasst hätte. Drei Dinge. Eigentlich sind alle guten Dinge drei, aber dann müssten sie mir doch auch ein gutes Gefühl geben, oder? Aber das tun sie nicht...

Ich laufe durch die Korridore von Hogwarts. Plötzlich fällt mir jedes Detail auf, auch wenn es noch so winzig ist. Ich sehe alles klarer, schärfer, höre aber die Stimmen der Schüler, die mir auf dem Weg begegnen, wie durch einen Schleier. Sie scheinen ganz weit weg zu sein, obwohl sie doch eigentlich ganz nah sind.

An den beiden Wasserspeiern fällt mir das Passwort plötzlich nicht mehr ein. War es "Lakritzstangen"? Ich weiß nur noch, dass es eine Süßigkeit war. Irgendetwas, was ich unwahrscheinlich lecker finde. Und dann fällt es mir wieder ein: "Schokofrösche"!

Die Tür schwenkt zur Seite und gibt den Weg zur Wendeltreppe frei. Mir wäre es lieber gewesen, wenn sich die Tür nicht bewegt hätte, wenn das Passwort einfach falsch gewesen wäre. Aber das Schicksal macht mir einen Strich durch die Rechnung. Vielleicht weiß es, dass alles geklärt sein würde, wenn ich diese Wendeltreppe wieder hinabsteige. Vielleicht ist es richtig so.

Ich klopfe zaghaft an die Tür. Erst leise und dann nochmal laut, als niemand aufmacht. Dann schwenkt auch diese Tür zu Seite und ich gehe in das runde Büro meines Vaters. Dieses Mal sitzt er hinter seinem Schreibtisch und blättert sich durch einen Stapel Akten. Er hat Daumen und Zeigefinger an seine Schläfen gelegt und sitzt mit einem Stift in der Hand über die Papiere gebeugt.

Als ich eintrete, hebt Dad seinen Blick. "Oh, Lily. Schön dich zu sehen. Obwohl das letzte Mal ja noch nicht so lange her ist!", sagt er. "Was ist los?". Ich denke kurz darüber nach, wie ich meine und Scorpius' Erkenntnisse am besten zusammenfassen könnte. Aber schnell wird mir klar, dass es nicht viel bringen würde, ihm alles zu erzählen, bis ins klitzekleine Detail. Wichtig ist eigentlich nur die Pointe.

"Stimmt es, dass die Kammer des Schreckens wieder geöffnet wird?", frage ich. Dad braucht erst einige Sekunden, um zu verstehen, was ich gesagt habe. Doch dann wird er leichenblass. "Wie kommst du denn jetzt darauf?", stellt er eine Gegenfrage. Nicht gerade das, was ich erwartet habe. Aber mir war auch klar, dass er nicht einfach "ja" oder "nein" sagen würde.

"Scorpius und ich haben uns gewundert, dass Alraunen schon im ersten Schuljahr behandelt werden. Dann haben wir einen Eintrag in der Bibliothek über Alraunen gefunden und da stand auch, welche Wirkung auf Versteinerungen sie haben. Scorpius ist dann die Kammer des Schreckens in den Sinn gekommen. Er wusste, dass in ihr ein Basilisk haust, dessen Erscheinung schon Menschen versteinern kann. Und so ist das eine zum anderen gekommen.", erkläre ich kurz und knapp.

Es nützt niemandem etwas, wenn ich um den heißen Brei herumrede. Mir ist schon oft aufgefallen, dass das Leben viel einfacher ist, wenn man einfach die Wahrheit sagt. Dad legt die Stirn in Falten und meint: "Die Lehrplanänderung wurde vom Zaubereiministerium so angeordnet. Das hat wirklich nichts mit der Kammer des Schreckens zu tun!". Ich atme erleichtert aus. Ich habe gar nicht bemerkt, wie sehr die Angst mich belastet hat!

Und jetzt kommt der weit aus persönlichere Teil. Die Sache mit dem Hut. "Wieso hast du mir nichts davon erzählt, dass der Sprechende Hut dich eigentlich nach Slytherin schicken wollte?", frage ich. Darauf herrscht Stille, eine sehr unangenehme. "Ich habe mich schon gefragt, wann du das sagen würdest.", bekommt Dad nach einer Minute heraus. Ich runzele die Stirn. Weiß er etwa, was der Hut zu mir gesagt hat?

"Als du mich nach der Auswahl keines Blickes mehr gewürdigt hast, hatte ich schon den Verdacht. Danach habe ich mir den Hut einfach mal in meinem Büro aufgesetzt und ihn gefragt, was er zu dir gesagt hat. Und da hat sich mein Verdacht bestätigt.", erklärt er. "Weißt du, Lily. Irgendwann habe ich meinem Schulleiter geglaubt. Zu ihm bin ich damals gegangen, als ich mich mit der Frage beschäftigt habe, ob ich nicht doch nach Slytherin gehören würde. Er sagte mir stets und ständig, dass die Entscheidung allein aussagt, in welches Haus man gehört. Und indirekt darfst du dir somit aussuchen, in welches Haus du möchtest. Irgendwann habe ich meinem Schulleiter das geglaubt. Doch tief in meinem Inneren habe ich noch immer Zweifel, weshalb ich euch nichts davon erzählt habe.".

Ich kenne Dads Schulleiter. Er redet oft über ihn. Albus Dumbledore hieß er. Er gilt als mächtigster Zauberer und wir haben ihn schonmal in Geschichte der Zauberei behandelt. Doch es ist nicht sein Schulleiter, der mir in seiner Erklärung wichtig ist, sondern die Ehrlichkeit, die in ihr liegt. Also gehe ich zu Dad und umarme ihn, wie ich es schon seit einem halben Jahr nicht mehr getan habe.

Als ich die Wendeltreppe wieder hinuntergehe, kann ich förmlich hören, wie die Steine von meinem Herzen auf die Stufen aus Marmor knallen. Ich fühle mich leicht wie eine Feder und so glücklich, wie schon lange nicht mehr. Und was soll ich sagen - das Schicksal hat sowas von Recht gehabt!

---------------------------------------------
Hey,
ich hänge heute einfach nochmal ein Kapitel hintenan. Doch irgendwie bin ich nicht so wirklich zufrieden mit diesem Kapitel 🤔
Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem ✨🙈💞
Noch einen schönen Samstag, wünsche ich euch!

Eure Vilureef

Die Tochter Harry Potters Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt