Ein Jahr

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Am nächsten Morgen ist Ausschlafen angesagt. Doch entgegen meiner Erwartungen schlafe ich den Mittag nicht durch, sondern wache noch vor dem Sonnenaufgang auf. Einige Zeit bleibe ich in meinem Bett liegen und sehe einer Staubflocke zu, wie sie über den Boden des Schlafsaals hüpft und irgendwann unter dem Bett von Summer landet.

Nach einer Stunde stehe ich jedoch so leise wie möglich auf und ziehe mir meinen Umhang an. Obwohl wir heute keine Schule mehr haben werden, möchte ich trotzdem meinen Umhang tragen, mit dem ich Hogwarts und dieses ganze vergangene Jahr verbinde.

Ich schleiche mich aus dem Gemeinschaftsraum und sehe, dass auch die Fette Dame noch leise schnarcht. Am Fuß der Marmortreppe laufe ich an den Stundengläsern vorbei: Slytherin liegt immer noch vorne, gefolgt von Gryffindor. Danach kommen Hufflepuff und Ravenclaw.

Ich lasse die Große Halle links liegen, denn fürs Frühstück ist es zu früh. Ich gehe durch die große Eingangshalle, durch das Eichenportal und dann hinaus, in den milden Morgen hinein.

Immer weiter laufe ich, bis ich zum See gelange. Ich lasse mich am Ufer nieder, ziehe mir meine Schuhe und Socken aus und lasse meine Füße ins Wasser baumeln. Kein einziges Geräusch dringt aus dem Verbotenen Wald, man hört nur ab und zu ein leises Flügelrascheln vom Eulenturm her. Ich sitze noch lange am See und tue nichts, außer dem Sonnenaufgang zuzusehen.

"Es wird traurig sein, uns von alldem zu verabschieden.", meint Ruby, als wir am Abend die Große Halle betreten. Die vier langen Haustische sind bis auf ein paar Plätze alle schon besetzt. Die Große Halle ist in den Farben der vier Häuser geschmückt: rot, gelb, blau und grün. Die Atmosphäre wirkt geladen und man spürt, dass die Jahresabschlussfeier ein ganz besonderes Ereignis in jedem Schuljahr ist.

Zusammen mit Summer und Ruby laufen wir am Hufflepuff- und am Ravenclawtisch vorbei, bis wir bei den Gryffindors ankommen. "Wollen wir hier sitzen?", fragt Summer und macht eine Kopfbewegung zu drei Plätzen zwischen meinen Brüdern und Toby aus unserem Jahrgang hin. Ruby und ich nicken. An diesem Abend hat es mir die Sprache verschlagen.

"Und, wie fandest du dein erstes Jahr in Hogwarts?", fragt mich James, kaum dass ich mich hingesetzt habe. Ich lächele. "Ich habe viel erlebt, Gutes sowie Schlechtes. Aber ich denke, beides hat dazu beigetragen, mir ein Jahr mehr Lebenserfahrung zu geben und mir Hogwarts besser vorstellen zu können. Denn gesehen habe ich hier in Hogwarts noch lange nicht alles.".

James grinst: "Oh, glaub mir Schwesterherz, nicht mal ich kenne jede Ecke von Hogwarts, geschweige denn Albus.". Er wirft Albus einen spöttischen Blick zu. Aber Albus bemerkt ihn gar nicht erst, weil er seine Nase in ein Buch mit dem Titel "Die Märchen von Beedle dem Barden" gesteckt hat.

"Hey!", macht James und schnippt mit seinem Finger vor Albus' Gesicht herum: "Die Prüfungen sind vorbei, du musst nicht mehr lernen!". Doch Albus schüttelt nur genervt den Kopf und erwidert hochnäsig: "Das ist Freizeitlektüre.". James schaut genervt zu mir und murmelt leise: "Bei ihm ist alles Freizeitlektüre.".

Ruby, Summer und ich brechen in schallendes Gelächter aus. "Ruhe, bitte.", unterbricht die Stimme meines Vaters die Gespräche in der Großen Halle. Seine laute Stimme hallt in der Halle wider und ich muss wieder daran denken, wie komisch es ist, einen Vater als Schulleiter zu haben. "Bevor wir zu den traurigen alljährlichen Abschiedworten kommen: Haut rein!".

Und mit diesen Worten erscheinen auf jedem der fünf langen Tische hunderte Speisen und Getränke, unter denen die Tische ächzen. James nimmt sich gleich fünf Steaks und auf meinen empörten Blick hin zuckt er nur die Schultern. Ich versuche, mir so gesittet wie möglich etwas von dem Kartoffelbrei zu nehmen und probiere später von der Sahnetorte.

Nachdem auch der letzte Schüler aufgegessen hat, verschwinden die Speisen und nur sauberes Geschirr steht jetzt noch auf den fünf Tischen. Dad erhebt sich, breitet seine Arme aus und lächelt in die Runde. Ich muss grinsen: Genauso hat er es schon gemacht, als er James, Albus und mir damals immer von Hogwarts vorgeschwärmt hat. Zu diesem Zeitpunkt haben wir alle gehofft, mit 11 Jahren den Brief mit der Einladung nach Hogwarts zu bekommen und jetzt sind wir alle in den Genuss davon gekommen.

Die Tochter Harry Potters Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt