Kapitel 11

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Die Schule ist jetzt vorbei und ich seufze erleichtert auf.
Schnell packe ich meine Sachen zusammen und verlasse den Klassenraum.

Ich schlendere den Flur entlang und gehe zu meinem Spind.
Langsam hole ich mein Spanischbuch raus, für die Hausaufgaben und schließe den Spind dann wieder.
Werde ich nicht im Unterricht schon genug gequält?
Nein, da bekomme ich auch noch Hausaufgaben machen.

Ich drehe mich um und zucke zusammen, als ich sehe das jemand vor mir steht.
Verdammt was geht denn jetzt ab?
Mein Blick wandert den garantiert männlichen Körper hinauf und erschrocken stelle ich fest, dass es Jayce ist.

Für einen Moment hört mein Herz auf zu schlagen, um nach ein paar Sekunden gefühlt doppelt so schnell weiter zu schlagen.

"Kate, richtig?" fragt er mit seiner wunderschönen Stimme und ich gucke ihn einfach nur perplex an.
Mein Herz pocht gegen meinen Brustkorb und es fühlt sich so an, als würde es jeden Moment hinausspringen.
Er spricht gerade wirklich mit mir, oder?

"Ehm j-ja." Warum stottere ich denn jetzt? Noch auffälliger geht's auch nicht nh?
Meine Augen wandern seinen Körper entlang, er hat sich wirklich krass verändert, nicht nur vom Aussehen her.

"Hallo?" fragt er und ich reiße meine Augen auf. Was hat er gesagt?
Scheiße, was ist denn los mit mir?

"Sorry, was hast du gesagt?" frage ich nach und er verdreht genervt die Augen.

"Ich soll dir das von Lex geben, sie ist krank." sagt er und reicht mir einen Zettel. Ich seufze.
Lexie hat ihn also geschickt.
Warum hätte er auch von alleine zu mir kommen sollen?

Er sieht immernoch vollkommen fertig aus, seine Haare sind ungemacht und stehen zu allen Seiten ab, als wäre er gerade erst aufgestanden.
Ich kann nicht sagen das es schlecht aussieht, aber die Tatsache, dass seine Haare nur so liegen, weil es ihm verdammt schlecht geht machen die Tatsache nicht gerade schön.
Vor allem weil es nur wegen mir ist.

"Danke." flüstere ich und schaue ihm in die Augen.
Diese vertrauten grünen Augen.
Ich liebe sie.

Er dreht seinen Kopf zur Seite und verweilt so noch ein paar Sekunden, ehe er mit hängendem Kopf weggeht.
Mit zusammengepressten Lippen gucke ich ihm hinterher.

"Es tut mir leid Jayce." flüstere ich so leise, dass nur ich es hören kann und gehe nun auch zu Mason's Motorrad.
Mason wartet schon auf mich und ich lächele ihn an, als er mich sieht.
Ich erzähle ihm einfach nichts von dem Zusammentreffen mit Jayce.

"Hey, sorry ich hatte ein paar Probleme mit dem Spind." erkläre ich und lache einmal gespielt.

"Kein Ding, ich warte ja erst seit einer viertel Stunde." erwiedert er ironisch und macht eine abwinkende Bewegung mit den Händen, dann fängt er an zu Lachen.
Ich grinse jetzt auch, aber ehrlich.

"Wollen wir?" frage ich und er reicht mir den Helm.
Ich setze ihn auf und setze mich hinter ihn aufs Motorrad.

"Natürlich, wie die Dame wünscht." grinst er und ich schlage ihm spielerisch auf den Oberarm.

"Dann fahr jetzt." lache ich und halte mich wieder an ihm fest.
Mein Blick schweift über den Schulhof und schließlich bleibt er an Jayce hängen, der lässig an eine Wand gelehnt steht.
Sein Blick fällt auf mich und er mustert mich kurz, dann fährt Mason auch schon los.

Ich atme tief durch und spüre wie der Wind durch meine Haare peitscht.
Das Gefühl ist wundervoll und verdammt befreiend.

Nach weiteren zehn Minuten fahren wir die Einfahrt hoch und er macht den Motor aus.
Ich steige ab und reiche Mason den Helm. Mein Blick wandert zu meinem Haus. Ich habe mir vorgenommen heute endlich rein zu gehen, auch wenn ich Angst davor habe, dass nach all den Jahren in denen ich nicht hier war, alles wieder hoch kommt.

"Mason? Kann ich-" er unterbricht mich, als er meinen Blick bemerkt.

"Geh schon. Ich mach uns Essen." sagt er und ich lächele ihn dankbar an. Ich bin so froh Mason zu haben.

"Danke." lächele ich und gehe rüber zu meinem alten Haus.
Das Haus in dem ich meine gesamte Kindheit erlebt habe, das Haus in dem so viele schöne, aber auch traurige Erinnerungen stecken.
Mit zittrigen Händen hole ich den Schlüssel aus meiner Tasche und öffne die Tür.

Ich atme einmal tief durch, bevor ich dann den Flur betrete und die Tür langsam schließe.
Ich gucke mich im Flur um, der mir aufeinmal so leblos und trist vorkommt und gehe auf die Bilder, die an der Wand hängen zu.

Fotos von Mama und mir, manche nur von mir und ein paar sind sogar noch mit Papa.
Mama hat es früher nicht übers Herz gebracht die Fotos wegzutun, geschweige denn erst abzunehmen.
Ich glaube sie hatte immernoch die Hoffnung, dass Papa irgendwann zurückkommt.
Sie konnte ihn nicht loslassen.

Ich streiche vorsichtig über ein Bild, das Mama und mich zeigt.
Wir sitzen vor einer großen Geburtstagstorte, die meine Oma gebacken hat als ich zehn geworden bin. Ich will die Kerzen gerade auspusten und Mama betrachtet mich lächelnd.

Meine Atmung geht schwer und mein Gehirn ist komplett überfordert.
Überfordert, weil ich plötzlich die ganzen Erinnerungen wieder vor mir sehe.
Ich sehe, wie ich lachend durch das Haus renne und ich sehe, wie Mama grinsend versucht mich zu fangen.

Ich sehe alle Erinnerungen, die ich in England beiseite geschoben habe und das tut weh.
Es tut so verdammt weh.
Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich muss schluchzen.
Ich wende meinen Blick von den Fotos ab und gehe weiter Richtung Wohnzimmer.

Ich schlucke einmal, bevor ich das Wohnzimmer betrete.
Es ist so wie immer, aber trotzdem irgendwie anders.
Ich war immer fröhlich, wenn ich das Wohnzimmer betreten habe.
Jetzt fühle ich mich einfach nur leer.
Die Leere breitet sich in meinem Körper aus und schließlich spüre ich nichts mehr bis auf die Trauer und den Schmerz.

Ich lasse mich auf unser Sofa sinken und gucke durch die Fensterfront in unseren Garten.
Ich sehe die Schaukel, auf der ich immer mit Jayce gespielt habe.
Mama hat uns dann immer Kakao gemacht und Gummibärchen, Kekse oder Schokolade hingestellt.
Tränen laufen mir über die Wangen.
Ich vermisse sie so.
Jayce vermisse ich auch, obwohl ich ihn jeden Tag sehe vermisse ich ihn.

Hello againWhere stories live. Discover now