I'm Gonna Puke It Anyway

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Mit einer ruckartigen Bewegung wischte ich mit die Tränen unter den Augen weg, welche immer zum Vorschein kamen, wenn ich mich übergab. Wieder sah ich mich im Spiegel, um mir sicher zu sein, dass ich gut aussah. Das Make-Up saß wie immer perfekt, die Haare auch. Nur der Ansatz musste wieder gefärbt werden. Ich müsste die nächsten Tage zum Frisör und sie mir kürzer schneiden lassen. Das ständige Färben und frisieren war ihnen anzusehen, jedoch hielt mich das immer dünner werdende Haar nicht davon ab. Ich verließ die Toilette in unserer Schule und ging wieder zum Unterricht. Als ich die Tür zum Klassenraum öffnete, sah Ana mich mit hochgezogenen Brauen an und ich konnte ihre Neugier schon sehen.
Sobald ich mich hingesetzt hatte fragte sie:《Wo warst du solange?》
《Auf Toilette》, gab ich trotzig von mir und begann wieder in meinem Block zu kritzeln, wie ich es in jeder Stunde tat.
Meine Noten hatten sich seit den letzten Monaten rapide verschlechtert und ich war mir nicht sicher, wie ich sie bis zum Abitur wieder verbessern sollte. Alle Klausuren waren im Vierer-Bereich oder schlechter ausgefallen und mündlich beteiligte ich mich nicht mehr am Unterricht, was die Lehrer nicht grade hellauf begeistert aufschreien lies. Im Gegenteil. Ich wurde von der Lieblingsschülerin zur Schulschlampe. Das nenne ich doch mal eine hervorragende Leistung. Mittlerweile war es mir gleichgültig. Alles war egal und sollte nicht anders sein, als wäre ich gefangen in meinen eigenen Fehlern und könnte nicht entkommen.

Wieder in Anas Wohnung, ohne dass sie da war. Stattdessen blieb ich mit Ian und hoffte Ana würde so lange wie möglich bei Lynn bleiben, damit ich mit ihm sein konnte. Mir war nicht bewusst wo wir beide überhaupt standen. Ein Paar würden wir niemals sein, da ich mittlerweile viel zu labil für etwas in der Art sein würde. Außerdem hat kein Mann von Ians Klasse kein Interesse für Mädchen wie mich, da er ohne Zweifel etwas viel besseres bekommen könnte. Ich hatte auch keine falschen Hoffnungen oder stellte mir vor es würde wie in romantischen Filmen enden, jedoch hatte ich ein ernstes Problem, welches ich so schnell wie möglich lösen musste. Mittlerweile hatte ich Gefühle für ihn, was nie gut enden könnte. 

Meine Gedanken wurden von einem Räuspern unterbrochen und ich sah zu ihm hoch.

„Was ist", fragte ich ihn und setzte mich auf, um ihn ansehen zu können.

Er zuckte mit den Schultern und rieb seinen Nacken. Man konnte ihm seine Nervosität ansehen und ich war verwirrt, da ich nicht nachvollziehen konnte warum. Ich setzte mich im Schneidersitzt hin und sah ihn mit schief gelegtem Kopf an.

„Hey", sagte ich mit sanfter Stimme, „was bedrückt dich?"

Er atmete tief ein und beichtete schließlich: „Ich mache mir Sorgen um dich und ich weiß nicht waru- also eigentlich weiß ich es schon. Wegen dieser ganzen Situation in der du dich befindest und ich habe Angst, dass du da nicht mehr raus kommst."
Ians Blick war nun auf mich gerichtet und ich fühlte mich als könnte ich nicht mehr atmen. Diese Aussage war nachdem ich mir eingestanden hatte, dass ich etwas für ihn empfinde, nicht nötig gewesen. Es führte dazu, dass mein Herz förmlich einen Schlag aussetzte.

„W-Was meinst du? Es gibt keinen Grund, dass du dir Sorgen machst mir geht es gut und außerdem befinde ich mich in keiner sogenannten Situation", brachte ich hervor und ich musste innerlich auflachen wie unehrlich ich klang. Nicht nur ihm Gegenüber. 

Nach einer kurzen Pause atmete er hörbar aus und sah mich voller Mitleid an und drehte sich ein wenig zu mir.
„Cassia, ich mache mir wirklich Sorgen, okay? Du hast zu stark abgenommen und in der Schule bist du abgerutscht. Du gehst fast jedes Wochenende saufen und kiffen- ich will gar nicht wissen, was Lauren dir sonst noch verkauft hat."

Die Zeit stand still und ich musste mich zusammenreißen nicht zu weinen. Meine zitternden Hände konnte ich jedoch nicht sonderlich gut verstecken und krallte mich förmlich in meine Oberschenkel, was mich den spitzen Plastiknägel nicht sonderlich vorteilhaft war. 

„Ich sollte jetzt gehen", sagte ich nach kurzem überlegen und stand auf. Ian griff nach meiner Hand und zog mich wieder zurück auf das Sofa.

„Verdammt Cassia! Du musst doch wenigstens ein Mal im Leben zuhören können", sagte er und sah mich eindringlich an, als wäre ich zu dumm um meine Lage einschätzen zu können.

Ich schlug seine Hand weg und antwortete: „Denkst du ich bin dumm? Glaubst du ernsthaft ich könnte meine Lage nicht einschätzen und würde nicht sehen worauf mein Leben hinsteuert? Meine Eltern haben sich offen gegen mich gestellt und ich kann wahrscheinlich nichts mehr essen ohne mich von alleine zu übergeben. Die Lehrer hassen mich und mein Körper ist ständig dabei Alkohol oder ähnliches zu verarbeiten. Glaubst du wirklich ich würde nicht sehen worauf das alles hinsteuert? Dass ich nicht bemerke, dass ich in eine Depression falle, aber nicht dagegen ankämpfen kann?"

Sprachlos saß er da und öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, verstummte jedoch und senkte den Blick nachdenklich, bis er schließlich fragte: „Warum unternimmst du dann nichts dagegen?"

Ich lächelte ein wenig und zuckte mit den Schultern. Seine Hand war nun an meiner Wange und er rieb sie sanft mir seinem Daumen, bis ich aufstand und wortlos die Wohnung verließ, ohne dass er mich aufhielt. Als ich draußen vor seiner Tür stand wartete ich noch eine gefühlte Ewigkeit, in der Hoffnung er würde mich aufhalten oder mir hinterherlaufen. Aber er tat es nicht und ich beeilte mich so schnell wie Möglich nach Hause zu kommen. 

Dort angekommen schlich ich mich zur Treppe, bis ich bemerkte, dass niemand zu Hause war und ich in Ruhe in die Küche gehen konnte, um mir einen Apfel holen zu können.

Auf den Boden starrend saß ich auf meinem Bett und dachte über alles nach. Wie ich mein Leben so schnell weggeworfen hatte, es jedoch nicht bereute. Ich spürte nichts. Weder Reue noch Wut. Da war bloß eine Leere in mir, welche mich auffraß. 
Mir gingen Ians Worte durch den Kopf und ich konnte es nicht. Mir fehlte jegliche Motivation etwas zu ändern und ich wollte es nicht. 
Ich starrte nun auf den Apfel in meiner Hand welchen ich ständig nach oben warf und verzog den Mund. Es war unmöglich, dass ich mich von alleine übergab und biss in den Apfel rein. Nachdem ich ihn gegessen hatte warf ich den Rest weg und legte mich erleichtert hin. Zumindest bis mir übel wurde und ich zum Bad eilen musste.

Die Ellenbogen auf den Sitz gestützt, lehnte mein Kopf gegen meinen Arm, während ich weinte. Verzweifelt nach ich mein Handy raus und rief Ian an. Jedoch ging er nicht ran und ich wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Nachdem ich mich beruhigt hatte sah ich in den Spiegel und begann mich zu schminken.

Ich zog meine Sneaker an und verließ das Haus, als mein Handy plötzlich klingelte. Zu meinem Bedauern war es nicht Ian, sondern meine Mutter.
"Bist du zu Hause", fragte sie mich.
"Nein. Ich schlafe bei Ana", log ich und sie seufzte nur auf um nach einem Abschied aufzulegen. Ich schluckte schwer und ging Richtung Stadt, zum alten Parkhaus. 

Ich machte Halt an einem kleinen Kiosk und kaufte mir Zigaretten und eine Flasche Vodka, welche anscheinend einen gratis Anmachspruch enthielten. Ich lächelte bloß und zündete mir eine Zigarette an während ich auf das Dach des Parkhauses ging. Ich setzte mich auf den Rand und setzte meine Cap verkehrtherum auf, mit welcher ich meinen Ansatz versteckte. Das Shirt war mir zu groß, da es von Ian war. Wenn ich so darüber nachdachte, war es keine Gute Idee dieses Oberteil zu tragen, da ich mich erwischte wie ich daran roch. Seufzend machte ich die Flasche auf und trank daraus. Der Alkohol brannte in meiner Kehle und die Ziagretten machten es nicht besser.

Nach langer Zeit hatte ich mehr als einen Viertel der Flasche leer getrunken und lehnte mich zurück und dann nach vorne, um runter sehen zu können. Mein Handy klingelte und ich zuckte zusammen. Dieses Mal war es Ian und wieder hatte ich Unglück, da er mich in diesem Zustand hören würde. 
„Ja?"
„Du hattest angerufen?"
„Mhm", murmelte ich und versuchte einen klaren Satz formulieren zu können.
„Aber das hat- also alles wieder in Ordnung", nuschelte ich.
„Wo bist du", ertönte es aus dem anderen Ende der Leitung. 
„Auf dem Dach vom Parkhaus", antwortete ich und er legte sofort auf. 
Ich nahm mir eine weitere Zigarette aus der schon halb leeren Packung und sah wieder nach unten, ehe ich mich zurücklehnte und tief aufatmete während ich auf ihn wartete. Ich wollte nicht, dass er mich so sah, jedoch war ich nicht in der Lage gerade zu gehen.

Teen Idle {Marina And The Diamonds}Where stories live. Discover now