25 | Welche Erzählperspektiven eignen sich für mein Buch?

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Hallo, ihr Menschen da draußen.

Hier bin ich wieder. Nach einer langen Pause durch gesundheitliche Einschränkungen kann ich mich endlich wieder an meinen Schreibratgeber setzen und eine neue Ausgabe schreiben. Heute widme ich mich den verschiedenen Erzählperspektiven, die ihr in euren Romanen, also belletristischen Werken, anwenden könnt. Aus welcher Sichtweise möchtet ihr erzählen? Welche Blickwinkel sollen veranschaulicht werden? Die Entscheidung für eine Erzählperspektive ist als Antwort auf diese Fragen sehr bedeutend und ihr solltet sie nicht leichtfertig treffen, weshalb ich euch die verschiedenen Varianten des Erzählens in diesem Kapitel meines Schreibratgebers näherbringen möchte.


25.1 | Ich-Erzählperspektive

Die wohl am einfachsten zu erklärende Perspektive ist die sogenannte 'Ich-Perspektive', die man anhand ihrer Bezeichnung wortwörtlich verstehen darf. Hier erzählt man aus der Perspektive einer Person, als wäre der Leser der Protagonist selbst. Wir befinden uns in seinem Kopf, denken seine Gedanken und sehen mit seinen Augen. Daher eignet sich diese Art der Erzählperspektive besonders gut, um Gefühle und Gedanken des Protagonisten zu zeigen und zu verdeutlichen. Das zieht allerdings gleichzeitig einen Nachteil mit sich, wenn man es denn so bezeichnen möchte. Der Leser bekommt das Geschehen nur so mit, wie es der Protagonist selbst sieht und empfindet. Er wird mit der alleinigen Meinung des Protagonisten konfrontiert, weshalb die Ich-Erzählperspektive für manche nur eine sehr eingeschränkte und subjektive Möglichkeit der Beschreibung ermöglicht. Wenn das allerdings genau die Art und Weise ist, wie man seine Geschichte erzählen möchte, stellt diese Erzählperspektive die perfekte Wahl dar.

Als Buchbeispiel kann ich praktischerweise meinen Roman 'Ein Blumenstrauß an Krankheiten' anführen. Da sich die Geschichte um Scarlett, eine mental gestörte und schwer depressive Jugendliche, dreht und ihre Situation von außen nur schwer zu erahnen ist, war die Ich-Perspektive in diesem Fall die perfekte Wahl, denn als Autorin kann ich ihre Suizidgedanken, psychotischen Symptome und Zwangsneurosen viel besser verdeutlichen, wenn der Leser in ihr steckt und sich in solch intime Situationen hineinversetzen kann. Für manche Leser kann diese Art des Erzählens bei einer Thematik wie dieser jedoch auch zu intensiv sein. Daher gilt das persönliche Abwägen des Autors: Möchte ich meinen Lesern diese intimen Einblicke in den Kopf meines Protagonisten gewähren oder soll eine gewisse Distanz bewahrt bleiben?

Beispiel: Ich betrat die Eingangshalle und fühlte augenblicklich, wie die Wärme des Kamins mein Gesicht liebkoste und die Kälte des Winters von mir abstreifte. Das Praktikum als Lehrerin der kleinen Kronprinzessin würde ich sicherlich nicht bereuen, dachte ich, während ich meinen Mantel ablegte und in einen langen, dunklen Flur trat.


25.2 | Personale Erzählperspektive

In der 'personalen Erzählperspektive' erzählt man in der dritten Person – deshalb ist die Betitelung auch hier wortwörtlich zu verstehen. Der eigentliche Erzähler rückt dabei ein wenig in den Hintergrund und lässt den Leser wie auch bei der Ich-Perspektive an den Gefühlen und Meinungen des Protagonisten teilhaben. Der Leser bekommt allein das mit, was auch der Protagonist weiß, wodurch eine weitere Parallele zur Ich-Erzählperspektive besteht. In dieser Art und Weise des Erzählens besteht jedoch eine größere Distanz zwischen dem Leser und dem Protagonisten, was man als Vorteil, aber auch Nachteil werten kann. Auch hier gilt das individuelle Abschätzen von Werk zu Werk.

Besonders gut geeignet ist die personale Erzählperspektive meiner Erfahrung nach bei Projekten mit mehreren Protagonisten, aus deren Sichtweise erzählt wird, denn die Erwähnung der Namen (1. Kapitel: Bartholomäus tut dies. – 2. Kapitel: Brunhilde tut das.) schafft eine deutlich bessere Orientierungsmöglichkeit als bei der Ich-Perspektive (1. Kapitel: Ich tue dies. [aus Bartholomäus' Sicht] – 2. Kapitel: Ich tue das. [aus Brunhildes Sicht]), bei der man des Öfteren mal den Überblick verlieren kann, aus welcher Perspektive denn eigentlich gerade erzählt wird. Daher lege ich diese Erzählperspektive jedem ans Herz, der ein Projekt mit mehreren Erzählperspektiven schreibt. Doch auch ein Werk mit einem Protagonisten kann aus der personalen Perspektive erzählt werden; ein Paradebeispiel hierfür wäre die 'Harry Potter'-Buchreihe.

Beispiel: Brunhilde betrat die Eingangshalle und fühlte augenblicklich, wie die Wärme des Kamins ihr Gesicht liebkoste und die Kälte des Winters von ihr abstreifte. Das Praktikum als Lehrerin der kleinen Kronprinzessin würde sie sicherlich nicht bereuen, dachte die junge Frau, während sie ihren Mantel ablegte und in einen langen, dunklen Flur trat.


25.3 | Auktoriale Erzählperspektive

Die auktoriale Erzählperspektive wird auch stellvertretend als 'allwissender Erzähler' bezeichnet. Der Erzähler weiß schlichtweg alles über das vergangene, gegenwärtige und zukünftige Geschehen sowie die Personen, die in der Handlung auftauchen. Man könnte sie ansatzweise mit der personalen Erzählperspektive vergleichen, nur dass die Gefühle und Sichtweisen eines einzigen Protagonisten trotz der subjektiven Erzählform nicht ansatzweise so deutlich hervorgehoben werden. Hier ist es nicht die Subjektivität des Protagonisten, sondern die des allwissenden Erzählers. Kommentare, Vordeutungen und direktes Ansprechen der Leser greifen in die eigentliche Geschichte ein und ermöglichen somit dem Leser einen Überblick über das gesamte Geschehen sowie das Wissen von Ereignissen, die noch gar nicht stattgefunden haben und von denen die Protagonisten noch nichts ahnen.

Diese Erzählperspektive hat sich oft als besonders spannend erwiesen, wenn der Leser mitfiebert, da er zusammen mit dem allwissenden Erzähler als einziges von bestimmten Geschehnissen weiß und erahnen kann, was für Gefahren und Schicksalsschläge die Figuren ereilen können oder werden. Der allwissende Erzähler kann zeitgleich allerdings auch ganz gezielt mit den Erwartungen und Ängsten der Leser spielen, um sie infolgedessen hinters Licht zu führen und einen sprichwörtlichen roten Hering zu legen. Zu erwähnen ist noch, dass der allwissende Erzähler keineswegs mit dem Autor gleichzusetzen ist!

Beispiel: Brunhilde betrat die Eingangshalle und fühlte augenblicklich, wie die Wärme des Kamins ihr Gesicht liebkoste und die Kälte des Winters von ihr abstreifte. Das Praktikum als Lehrerin der kleinen Kronprinzessin würde sie sicherlich nicht bereuen, dachte die junge Frau, während sie ihren Mantel ablegte und in einen langen, dunklen Flur trat, an dessen Ende sie ihre persönliche Hölle erwartete. Doch davon ahnte Brunhilde noch nichts; stattdessen waren ihre Wangen gerötet vor Nervosität und Aufregung über die ihr bevorstehende Zeit.


25.4 | Neutrale Erzählperspektive

Die sogenannte 'neutrale Erzählperspektive' wird als Abhandlung der personalen Erzählperspektive gehandelt und wird auch als 'erzählloser Erzähler' bezeichnet. Denn in dieser Art des Erzählens zieht sich der Erzähler vollkommen aus der Welt der Protagonisten und sonstigen Figuren zurück, um die Geschehnisse objektiv beschreiben zu können. Das kann allerdings auch schnell dazu führen, dass sich der Leser kaum bis gar nicht mit dem Protagonisten identifizieren kann und deshalb auch nicht um ihn bangt und sich um sein Schicksal sorgt, weshalb diese Erzählperspektive nur sehr überlegt eingesetzt werden sollte.

Hervorragend eignet sich die neutrale Erzählperspektive für Werke, deren Szenen möglichst neutral und objektiv beschrieben werden sollen, damit sich der Leser eine eigene, reflektierte Meinung zu den Geschehnissen bilden kann. Bei gesellschaftskritischen Büchern über Themen wie Globalisierung und Lobbyismus kann man diese Art des Erzählens ganz gezielt einsetzen, um dem Leser die Irrsinnigkeit und Wahnwitzigkeit mancher Handlungsstränge und Entwicklungen deutlich zu machen. Ansätze davon habe ich beispielsweise bei Dave Eggers' Werk 'The Circle' entdecken können.

Beispiel: Brunhilde betrat die Eingangshalle. Die Wärme des Kamins traf auf ihr vom draußen herrschenden Winter kaltes Gesicht und löste ihre angespannten Gesichtsmuskeln. Sie war sich sicher, dass sie das Praktikum als Lehrerin der kleinen Kronprinzessin sicherlich nicht bereuen würde. Brunhilde legte ihren Mantel ab und trat in einen langen, dunklen Flur.


Meine Frage: Welche Erzählperspektive lest ihr am liebsten und welche habt ihr bereits in euren eigenen Werken verwendet?


Hoffentlich hat euch diese Ausgabe meines Schreibratgebers gefallen und ihr konntet etwas daraus mitnehmen. Ich würde mich in diesem Kapitel ganz besonders über eure Erfahrungen und Meinungen zur obigen Frage freuen, da ich am Anfang meines ersten Buches selbst ziemlich mit der Entscheidung für eine Erzählperspektive zu kämpfen hatte. Wie ging es euch dabei? Habt ihr eine präferierte Erzählperspektive, in der ihr euch einfach am allerwohlsten fühlt? Ich freue mich schon sehr auf eure Beiträge!


Frohes Schreiben!

P.C.

P.C.'s SchreibratgeberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt