41 | Wie lasse ich den inneren Kritiker verstummen?

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Hallo, ihr Menschen da draußen.

Heute führen wir alle einen persönlichen Dialog – oder auch einfach ein Selbstgespräch. Doch mit wem, fragt ihr euch? Nun, der Titel dieser Ausgabe sollte es euch schon verraten haben: Heute dreht sich alles um den inneren Kritiker. Jeder von uns trägt ihn in sich und seine kritische Stimme ist oft dringend nötig, wenn es um das Optimieren unserer Schreibkunst geht, doch wenn seine Einflüsterungen uns lähmen und nicht mehr helfen, nimmt der innere Kritiker sich zu viel heraus. Nur wie lässt man diesen Teil von sich verstummen, um wieder zu seiner Motivations- und Inspirationsquelle, dem Schreiben, zurückzufinden?
Neben zwei Schlussfolgerungen, die ich mir persönlich über die Jahre hinweg erarbeitet habe, möchte ich zudem auf Kritik und Lob sowie das Konstrukt persönlicher Niederlagen eingehen.


41.1 | Selbstreflexion = Unabhängigkeit

Das leichteste Opfer für die unerbittliche Seele des inneren Kritikers? Ein mit Unsicherheit durch mangelnde Reflexion durchsetzter Schreiberling. Doch gerade Selbstreflexion sollte ein jeder von uns im Hinterkopf behalten, während wir schreiben. Viele von euch mögen das Gefühl kennen, literarisch auf Wolke Sieben zu schweben und geradezu einen Schreibmarathon hinter sich zu legen, bei dem alles glattläuft. Man fühlt sich toll, selbstsicher und denkt: "Warum geht das nicht immer so?" Doch am nächsten Tag dann die Ernüchterung; der nächste Ernest Hemingway wird man so schnell wohl doch nicht. Unerwartete Problematiken wie mangelhafte Satzkonstruktionen, fehlerbestückte Rechtschreibung oder ein schlicht und einfach grauenhaftes Logikkonstrukt können jede Schriftstellerseele nach einem solchen Hoch aus der Bahn werfen. Warum nehmen wir uns während des eigentlichen Schreibprozesses also nicht auch einmal die Zeit und rufen uns bewusst in Erinnerung, woran wir an der ersten Rohfassung definitiv noch basteln sollten, loben uns gleichzeitig aber auch für die Aspekte, die für authentisch in unserem Geschriebenen darstellen konnten? Dadurch wird dem große Abfall von Hoch auf Tief ein Riegel vorgesetzt und es wird ein deutlich effizienteres Arbeiten ermöglicht.


41.2 | Vergleiche = Gift

Vergleiche sind Gift für die junge Schreiberseele! Natürlich kann es ermutigend sein, sich vor Augen zu führen, was Kollegen in der Literaturbranche bereits erreicht haben, doch sich allein an solchen Maßstäben zu messen wird schnell zum krankhaften Verhalten. "Warum bin ich nicht so gut?" ist dann oft die Frage, die man sich nur allzu gerne stellt. Dem inneren Kritiker kann man ganz simpel den Wind aus den Segeln nehmen, indem man sich von den Erfolgen anderer Schriftsteller losreißt und sich auf sein eigenes Schreiben fokussiert. Doch das ist einfacher gesagt als getan. Gerade hier auf Wattpad beobachte ich oft Zahlen-Vergleiche: Wer hat die meisten Follower, die größte Leserschaft? Welches Buch ist erfolgreicher als meine künstlerischen Ergüsse? Muss ich so wie diese User schreiben, damit ich hier Erfolge feiern darf? Die Antwort auf letztere Frage lautet Nein. Und zwar ein deutliches, allübertönendes Nein, das auch noch auf den Osterinseln zu hören ist. Ich haue hier jetzt keine Sprüche à la "Be Yourself and Love Yourself" raus, das wird mir dann doch zu kitschig, aber ein wahrer Kern steckt schon in ihnen – das lässt sich nicht leugnen. So oder so würden die meisten von euch sicherlich lieber für ihre eigenen Ideen bekannt werden als mit den Kopien anderer.


41.3 | Lob geben und annehmen

Hierzu möchte ich gar nicht so viel schreiben, da der Punkt eigentlich selbsterklärend ist – nur so schwer umzusetzen. Das nächste Mal, wenn ihr ein ernstgemeintes und vielleicht sogar rational hinterlegtes Lob erhaltet, bedankt euch dafür. Es ist keine Schande, eigene Leistungen anzuerkennen, doch viele auf dieser Plattform leiden noch unter dem 'Aber-Ich-Bin-Doch-Eigentlich-Voll-Scheiße'-Komplex, was heißt, dass sie bei nur der leisesten positiven Äußerung über sich selbst sogleich in betretenes Schweigen oder – noch schlimmer – Entkräftungsmechanismen ("schau doch, das hier ist an mir echt beschissen") verfallen. Verdammt noch mal, freut euch doch über die lieben Worte! (Tun wir mal so, als würde ich selbst nicht noch damit kämpfen, Komplimente anzunehmen. Aber wir arbeiten ja alles zusammen daran.)

Meine 1. Frage: Könnt ihr Komplimente annehmen?


41.4 | Selbstgespräche mit innerem Kritiker

Das hilfreichste Mittel für mich, um mit meinem inneren Kritiker umzugehen zu lernen, waren Selbstgespräche mit ihm. Das mag anfangs etwas gestört klingen, doch lest weiter, bevor ihr urteilt. Wie auch bei echten Menschen hilft es beim inneren Kritiker, seinen Grundmotivationen auf den Grund zu gehen. Warum denkt er, mein Buch sei fabrizierter Kuhmist? Haltet bei solchen emotionalen Tiefs, in denen ihr am liebsten die Schreibfeder hinschmeißen würdet, inne, fühlt ihn euch selbst und fragt nach. Warum fühle ich mich so? Wann hat das Ganze angefangen? Will mein innerer Kritiker mir mit diesem Gefühlsausbruch eventuell etwas mitteilen, dass mir bis jetzt noch gar nicht so wirklich klar war? Vielleicht erhaltet ihr daraufhin Antworten, mit denen ihr in der Form gar nicht gerechnet hättet.


41.5 | Es gibt keine persönlichen Niederlagen

An diesem Punkt folgt eine kleine Geschichte aus meinem Privatleben. Vor wenigen Wochen ist ein Freund der Familie zu Besuch gekommen, ein Mediziner, der sich auf den Bereich der Psychosomatik spezialisiert hat. Für diejenigen unter euch, die sich damit noch nicht bekannt gemacht haben: Psychosomatik bedeutet vereinfacht gesagt, dass der seelische Zustand sich sichtlich auf den Körper auswirkt. Wenn es einer Person mental sehr schlecht geht, können daraus in Extremfällen sogar ganze Tumore wachsen. Mit diesem Experten habe ich mich einige Stunden lang über meine Zukunftspläne unterhalten und wir sind schließlich auf meine Ängste zu sprechen gekommen: Was passiert, wenn meine Traumuniversität mich ablehnt? Oder meine Erkrankungen sich wieder verstärkt bemerkbar machen und mich in meiner Zukunftsplanung ausbrechen? So ging es immer weiter mit meinen Gedanken und ich war schon dabei, mich in eine Panikattacke hineinzusteigern, als mein Gegenüber auf einmal seine Kaffeetasse auf den Tisch stellte, mir über mehrere Sekunden tief in die Augen sah und schließlich folgende Worte sprach:

"Und? Dann passiert das eben. Diese persönlichen Niederlagen, die du da beschreibst, mögen jetzt noch so schrecklich und gruselig und grauenvoll wirken – in vierzig Jahren lachst du darüber. Deine Traumuniversität nimmt dich nicht an? Dann machst du bis zur nächsten Anmeldefrist eben etwas anderes oder suchst nach einer Alternative, wenn du nicht länger warten möchtest. Deine Erkrankungen klingeln an der Tür? Dann schlägst du sie ihnen eben vor der Nase zu und schließt alle Fenster, damit sie auch ja nicht reinkommen, oder stellst dich dem Kampf. So oder so, du sammelst lediglich weitere Erfahrungen – da ist die Einteilung in Gewinne und Niederlagen eigentlich dämlich, denn du gewinnst aus jeder Situation etwas heraus. Und verdammt noch eins: Ich finde einen Menschen, der in seinem Leben Hindernisse überwinden musste, um an sein Ziel zu kommen, tausendmal interessanter als einen, der überall einfach durchgerutscht sind."

So etwas Inspirierendes hatte ich zu dem Zeitpunkt selten gehört. Besonders schön ist es in meinen Augen, dass seine Worte sich so wunderbar aufs Schreiben übertragen lassen. Der Satz hört sich irgendwie ungelenk an und du sitzt schon seit einer halben Stunde daran, ihn umzustellen? Verschieb das auf später und verwende deine Energie auf das Vorantreiben der Geschichte. Du findest einfach keinen passenden Buchtitel? Dann fang mit dem Schreiben an und lass die Inspiration auf dich einrieseln, bis sich etwas richtig anfühlt. Dein innerer Kritiker zerfetzt jedes geschriebene Wort, das sich aus deinem geschundenen Hirn hervortraut? Dann hau ihm eins über den Kopf und genieß die Ruhe, während er langsam wieder zum Bewusstsein kommt. Denn wie schon in der Einleitung erwähnt, ist der Kritiker nicht das personifizierte Böse. Doch manchmal wird er ein wenig zu eigenständig und abwertend – warum holen wir ihn dann nicht auf den Boden der Tatsache zurück? Ihr wollt schreiben? Dann schreibt. Ihr wollt Kritik und Hinterfragungen? Dann fragt den inneren Kritiker, wenn er aus dem Koma erwacht.

Meine 2. Frage: Hattet ihr auch schon einmal ein ähnliches Erlebnis oder Gespräch, das euch hinsichtlich Selbstkritik und Reflexion die Augen geöffnet hat?


Zum Schluss sei zu sagen, dass es natürlich nicht empfehlenswert ist, dem inneren Kritiker für immer und ewig eine Bratpfanne über den Kopf zu schlagen, sobald er sich zu Wort meldet – immerhin können seine Beiträge auch dabei helfen, unser Geschriebenes auf ein vollkommen anderes Qualitätsniveau zu hieven. Von daher meidet einen zu engen Kontakt zum Kritiker, haltet ihn aber nach Möglichkeit immer abrufbereit. Das war das Wort zum Sonntag, hust, Montag.

Frohes Schreiben!

P.C.

P.C.'s SchreibratgeberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt