32 | Wie gestalte ich Sichtwechsel aufgrund mehrerer Protagonisten?

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Hallo, ihr Menschen da draußen.

In der heutigen Ausgabe meines Schreibratgebers beschäftigen wir uns mit der Thematik mehrerer Protagonisten, die teilweise recht umstritten und subjektiv ist. Denn nicht jeder liest gerne Geschichten aus mehreren Sichtweisen; andere jedoch lieben genau das. Daher möchte ich in diesem Kapitel darauf eingehen, wie man möglichst leserorientiert und elegant mit unterschiedlichen Perspektivcharakteren umgeht und hoffe, euch näherzubringen, warum eine umfangreiche Evaluation vor dem Einsetzen diverser Sichtweisen notwendig ist, um ein lesenswertes Buch zu erschaffen.


32.1 | Komplexität der Handlung

Bei diesem Unterpunkt möchte ich thematisieren, ab wann mehrere Protagonisten sich als Ergänzung und nicht Verkomplizierung der Buchhandlung erweisen. Kann die Handlung, die ihr erzählen möchtet, auch aus einer Sichtweise wiedergegeben werden, oder ist es tatsächlich notwendig, eine zweite, dritte, usw. einzubauen? Ist es für die Geschichte möglich, auch ohne einen der Protagonisten gleichzubleiben, oder bringt er, bzw. sie etwas vollkommen Neues hinzu, das dem Leser ansonsten verwehrt geblieben wäre und für die Logik des Plots unvermeidbar wichtig ist?


32.2 | Notwendigkeit der Protagonisten

Wenn ihr die Entscheidung für mehrere Perspektivcharaktere getroffen habt, erweist es sich als hilfreich, sich mit jedem Protagonisten so zu beschäftigen, als würde man ihn einstellen wollen. Was sind seine Schwächen und Stärken? Was unterscheidet ihn von seinen Kollegen (anderen Protagonisten)? Inwiefern bereichert er das Team (den Roman)? Ist das Team eine bunte Mischung oder besteht aus verschiedenen Interpretationen ein und desselben Charakters? Wenn ihr beispielsweise drei Protagonisten habt, die alle schüchtern, hochbegabt und logisch denkend agieren, ist das keine Bereicherung für den Leser. Achtet eher darauf, dass sich auch die Denkweisen und Ansichten eurer Protagonisten unterscheiden, damit ihr auch im Schreibstil variieren und somit deutlicher differenzieren könnt, wann wer erzählt. Außerdem gelingt es eher, sich in die Protagonisten individuell einzufühlen, wenn sie sich in deutlich ausmachbaren Aspekten voneinander unterscheiden. Sei es das grundsätzliche Motiv, der familiäre Hintergrund oder Leidenschaften.


32.3 | Zeit zum Kennenlernen

Ein großes Problem bei diversen Perspektivcharakteren ist die Tatsache, dass die Leser sich oft schwertun, alle Protagonisten zu Beginn des Romans einzuordnen. Oft verwechseln oder vergessen sie einen Charakter. Das kann vermieden werden, indem man sich bei Projekten, die aus mehreren Sichtweisen erzählt werden, anfangs Zeit lässt, jeden Protagonisten und sein Umfeld vorzustellen, damit sich möglichst wenig Verwechslungsgefahr bietet. Wenn gleich vom ersten Kapitel an die Spannung und Handlung in die Höhe stiegt, können sich die Leser schnell überfordert fühlen und die Lust am Lesen verlieren, woraufhin euer Buch im Regal verstaubt. Um das zu vermeiden, ist der langsam ansteigende Spannungsbogen, wie er klassisch dargestellt wird (s. Ausgabe 4), anfangs noch weiter auszustrecken, um der durch mehrere Perspektiven deutlich komplexere Geschichte genug Raum zum Atmen zu lassen und eventuell auch Nebenhandlungen einbauen zu können. Erst dann empfiehlt es sich, die Charaktere in die spannungsträchtigere Handlung einstiegen zu lassen.


32.4 | Namen der Protagonisten

Die Namen eurer Protagonisten können ebenfalls ein Faktor sein, der das Leseerlebnis entweder erleichtert oder erschwert. Wenn ihr beispielsweise vier Perspektivcharaktere habt, sollten sie vorzugsweise nicht Madlen, Madlyn, Maddilein und Maddy heißen. Besonders bei den Anfangsbuchstaben kann es zu Beginn hilfreich sein, möglichst auf Differenzierungen zu achten. Wenn jeder Protagonist einen Namen trägt, der mit dem Buchstaben M beginnt, macht ihr es euren Lesern deutlich schwerer, sich in der Geschichte zu orientieren.

Ich persönlich halte es so, dass ich mir Namen bildlich vorstelle. 'Scarlett' wirkt auf mich zum Beispiel vollkommen anders als 'Sam' oder 'Flint'. Auch wenn die ersten beiden Namen also mit einem S beginnen, haben sie unter anderem durch die Länge, Silbenanzahl und Laute in der Aussprache einen deutlich anderen Effekt auf den Leser. Wirken Namen wichtiger Charaktere zu ähnlich auf mich – beispielsweise Axel und Alex oder May und Fay –, versuche ich meistens, eine Alternative zu finden. Gerade bei Protagonisten ist das sehr wichtig; Nebenrollen oder Statisten haben diesbezüglich nicht dieselbe Relevanz und können auch gerne ähnlich klingende und aussehende Namen haben.


32.6 | Länge der Kapitel

Bei mehreren Protagonisten ist es selbstverständlich, dass man nicht ständig überall sein kann. Als Konsequenz daraus zu ziehen, möglichst oft zwischen den Sichtweisen zu wechseln und dadurch kürzere Kapitel zu schreiben, ist jedoch langfristig gesehen keine kluge Wahl. Gerade weil ihr mehrere Protagonisten an den Mann – und die Frau, etc. – bringen wollt, solltet ihr ihnen Zeit lassen, um sich und ihr Schicksal sowie selbstverständlich ihren Handlungsstrang dem Leser zu präsentieren, anstatt wie bei Fernsehsendern zwischen ihnen hin und her zu schalten. Ihr seht doch auch lieber eine Sendung nach der anderen, als bei jeder nur kurze Ausschnitte mitzubekommen, nicht wahr? Gebt dem Perspektivcharakter also den Raum und die Zeit, um sich zu entfalten, bevor ihr die Geschichte eines anderen weitererzählt. Ansonsten wird übrigens auch die Gefahr zur Verwechslung zwischen Charakteren gesteigert.


32.6 | Übergänge gestalten

Doch wenn all das bedacht wurde: Wie bringt man es auf die Reihe, elegant von einer Perspektive auf die nächste zu wechseln? Ihr ahnt es bereits.

Cliffhanger.

Bevor ihr aufschreit, euren Bildschirm von euch werft und euch aus dem nächstbesten Fenster stürzt; lest weiter. Einen Cliffhanger verbinden wir zumeist mit einem abrupten Ende eines Kapitels, dass elementare Fragen zum Schicksal unserer geliebten Buchwelt offenlässt, doch so dramatisch muss es gar nicht sein, um den Leser eines Romans mit mehreren Protagonisten bei der Stange zu halten. Viele eher geht es hierbei darum, etwas anzudeuten oder zu zeigen, dass die Geschichte unseres Protagonisten weiterspinnt und unsere Neugier weckt. Vielleicht wird ein vollkommen neuer Charakter vorgestellt? Oder der Protagonist sieht etwas in der Ferne, das ihm Hoffnung bereitet? Wie gesagt muss es nichts à la 'Es geht um Leben und Tod!' sein, sondern kann auch in der Radikalität vermindert werden, um nicht nur die Spannung hochzuhalten, sondern auch ein angenehmes Leseerlebnis zu gestalten.


Meine Frage: Bevorzugt ihr Romane mit einem oder mehreren Protagonisten?


Das war es auch schon wieder – eine weitere Woche ist um und eine neue Ausgabe ist zu Ende. Hoffentlich konnte ich euch auch dieses Mal auf eventuell ungeahnte Thematiken aufmerksam machen und zum Nachdenken anregen – mich würde es zumindest sehr freuen.

Frohes Schreiben!

P.C.

P.C.'s SchreibratgeberWhere stories live. Discover now