61 | Wie erzeuge ich Spannung? TEIL 2

401 38 106
                                    

Hallo, ihr Menschen da draußen.

Mit geprelltem Handgelenk (dank einer eisigen Treppe) und immer noch leicht zittrig (dank einer universitären Prüfung heute morgen) melde ich mich wieder, um über das Mammutthema Spannung zu schreiben. In der heutigen Ausgabe möchte ich nach dem vergangenen Kapitel, in dem ich mich vor allem mit den Grundsätzen von Bewegung und ihrer Verbindung zu Spannung in Büchern auseinandergesetzt habe, einen ersten Einblick in die Praxis geben.

Diese Ausgabe wird besonders von Beispielen geleitet werden, denn ich möchte zu Beginn der Spannungsreihe euren Sinn für Spannung oder Drucksituationen trainieren, damit wir umso geschulter gemeinsam in die kommenden Ausgaben gehen können. Denn das Thema ist leider häufig so abstrahiert, dass man sich als Autor fragt: Wo fange ich eigentlich an, wenn ich mein Buch spannend verfassen oder überarbeiten möchte? Wie genau geht man Spannung eigentlich an?


61.1 | Wie diese Ausgabe (hoffentlich) ablaufen wird

Ihr werdet heute besonders gefragt sein – und ich stelle an euch die Forderung, auch interaktiv zu sein! Denn ihr sollt zu jedem Beispiel eine Frage beantworten und die Antworten anderer Kommentatoren sezieren, soll heißen: Wir helfen uns gegenseitig mit etwaigen Korrekturen und Anmerkungen.

In den folgenden Beispielen werde ich jeweils eine Textpassage vorstellen, die ihr auf die folgenden Aspekte untersuchen sollt:

• Ist Bewegung in der Szene? (Mit verschiedenen Arten der Bewegung haben wir uns bereits in der vergangenen Folge auseinandergesetzt – hier können wir also gleich etwas aus der letzten Ausgabe anwenden!)

• Wie fühle ich mich beim Lesen der Szene? Fühle ich mich der Figur/ den Figuren und ihren Schicksalen/ Handlungen/ Entscheidungen verbunden?

• Habe ich ein Bild von der Szene?

• Drohen aus dieser Szene Konsequenzen für die Figur/en?

• Wird der Spannungsbogen aufrechterhalten?

Die Zauberworte sind also Bewegung, Gefühl, Bild, Konsequenz und Spannungsbogen.


61.2 | Beispiel A

»Ich kann nicht glauben, dass du das gerade wirklich gesagt hast.«

»Wieso? Ich kann doch nichts für meine Gefühle!«

»Aber er ist dein Bruder! Mein Gott, Amelie, ich kann das nicht fassen!« Meine Mutter fasste sich an die Stirn. »Nochmal langsam, Amelie: Du willst mir gerade bitte nicht wirklich erzählen, dass du Gefühle für deinen Bruder entwickelt hast? Dass du mit ihm in einer Beziehung bist?«

»Mama, dank dir«, spuckte ich die Worte geradezu in ihr Gesicht, »wusste ich bis vor einem Monat noch nicht einmal, dass ich einen Bruder habe, geschweige denn seine Identität! Ich kenne Florian jetzt seit drei Jahren, ich habe dir andauernd von ihm erzählt und du hast nie etwas gesagt!«

»Weil ich nicht wusste, dass er das ist! Wie hätte ich das auch wissen können, wenn du deinen ›Freund‹ partout nicht nach Hause bringen willst? Das wirkte fast so, als ob du dich für uns schämen würdest. Und jetzt das, ich fasse es nicht!«

»Bist du bescheuert, mir jetzt einen Vorwurf zu machen, wenn du diejenige warst, die mir über zwanzig Jahre hinweg verheimlicht hat, dass ich einen verdammten Bruder habe?«

»Ich dachte nicht, dass ihr euch jemals treffen würdet!«

»Aber wieso hast du nie etwas gesagt?«

P.C.'s SchreibratgeberΌπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα