Teil 2 - Eine wissenschaftliche Herausforderung

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Die rubinrote Flüssigkeit brodelte in dem bauchigen Gefäß und verbreitete einen leicht bitteren Geruch im Labor. Thalia drosselte die Flamme des Brenners ein wenig, um den Prozess der Destillation zu verlangsamen. Zu viel Hitze konnte die wertvollen Inhaltsstoffe der Alraunenwurzel schädigen – ein Fehler, der ihr in ihren ersten Jahren in der alchemistischen Fakultät öfters wiederfahren war. Geduld war leider keine ihrer Tugenden. Mittlerweile hatte sie jedoch viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Apparaturen und Ingredienzien entwickelt – wenn man ihrem Dekan Glauben schenkte, mehr, als die meisten ihrer Kollegen am Lehrstuhl an den Tag legten.

Sie löschte die Flamme, befreite das Auffangglas aus der Apparatur und hielt die darin enthaltene Flüssigkeit gegen das Licht, das zum Fenster hereinfiel. Zufrieden mit dem Ergebnis füllte sie das gewonnene Destillat in eine kleine Flasche um, etikettierte sie und stellte die benutzen Retorten in das Reinigungsbecken. Nach der lästigen, aber notwendigen Säuberung der Gefäße, Mörser und Stößel wischte sie sich die Hände an ihrer Schürze ab, löste die Bänder und strich ihr schlichtes, grünes Kleid glatt. ‚Das saß auch schon einmal etwas lockerer um die Mitte herum...' dachte sie und musterte ihren nicht mehr ganz flachen Bauch. Seit Gregors Tod vor zwei Jahren hatte sie nur noch für ihre Arbeit gelebt und sich selbst etwas vernachlässigt. Ein paar überflüssige Pfunde waren nun das Ergebnis. Und so wie es aussah würde ihre Arbeit sie auch noch in der nächsten Zeit voll und ganz in Anspruch nehmen.

Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken, die sich wie so oft um ihre bevorstehende Forschungsarbeit drehten. Shani, ihre Freundin aus der medizinischen Fakultät, stand im Türrahmen.

„Grüß dich, Thalia. Störe ich gerade?" Shani sah wie immer umwerfend aus. Mit ihren kurzen, roten Haaren und ihrem hinreißenden Lächeln brachte sie so manches Studentenherz dazu, schneller zu schlagen. Wäre sie nicht gleichzeitig einer der nettesten Menschen gewesen, die Thalia kannte, hätte sie glatt eifersüchtig auf die gewinnende Persönlichkeit ihrer Kollegin sein können. Aber seit Shani ihr damals vor fünf Jahren Gregor vorgestellt hatte, verband die beiden Frauen eine herzliche Freundschaft.

„Nein, du störst überhaupt nicht. Komm doch herein, ich bin eben fertig geworden."

Shani betrat das Labor und rümpfte leicht die Nase. „Was hast du denn hier wieder gebraut? Das riecht ja fürchterlich... Sag mal, stimmt es, was ich gehört habe? Du hast dich um die Promotion beworben?"

„Ja, das stimmt." Thalia lächelte zufrieden und strich eine Strähne ihres rotbraunen Haars zurück, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. „Der alte Professor Heineken hat ganz schön große Augen gemacht, als ich ihm meine Bewerbung vorgelegt habe. Er ist ja immer noch der Meinung, dass Frauen in Laboren nichts zu suchen hätten, außer zur Reinigung der Gefäße. Aber die anderen Professoren haben meine Bewerbung befürwortet."

„Herzlichen Glückwunsch", sagte Shani mit ehrlicher Freude und umarmte die Freundin kurz. „Du hast es aber auch wirklich verdient, du lebst ja praktisch schon im Labor. Aber du hast noch einen Konkurrenten, oder? Hatte Alric Efferen nicht auch Interesse an der Promotion bekundet?"

„Ja, das hat er. Und leider stehen seine Chancen wesentlich besser als meine. Gestern Morgen haben wir unsere Forschungsaufträge erhalten. Und rate mal, wer von uns beiden mit der Herstellung eines Gegengiftes für Krabbspinnenbisse betraut wurde und wer einfach nur eine Abhandlung zur Sublimation von ionischen Verbindungen schreiben soll?" Ein säuerliches Lächeln stahl sich auf Thalias Lippen.

„Oh nein", sagte Shani bestürzt. „Das ist so ein abgekartetes Spiel. Ich wette, Alrics Familie hat der Akademie wieder einmal eine ordentliche Spende zu Teil werden lassen. Alles für die Wissenschaft..." Sie schüttelte enttäuscht den Kopf. „Willst du es trotzdem versuchen?"

„Natürlich. Falls ich Erfolg habe, bleibt den Dekanen eigentlich keine andere Möglichkeit, als die Professur mir zuzusprechen. Alrics Aufgabenstellung würde es dann in keiner Weise rechtfertigen, dass die Wahl auf ihn fällt. Außerdem häufen sich seit einiger Zeit wohl auch weiter im Norden Todesfälle durch Krabbspinnenbisse. Die Biester breiten sich anscheinend immer weiter aus. Die meisten der armen Teufel, die gebissen werden, sterben - meistens Holzfäller oder Bauern. Mit einem Gegengift, das man oral verabreichen kann, könnte man die Dörfer beliefern und so manchen Tod verhindern. Ich habe auch schon einige Ideen, wie mir die Rezeptur gelingen könnte. Aber die Umsetzung wird nicht ganz einfach..."

„Wie lange hast du denn Zeit für deine Arbeit?"

„Fünf Monate. Das sollte eigentlich reichen, ich habe mich ja schon öfters mit Giften und Gegengiften beschäftigt, die Grundlagen kenne ich. Das Problem ist nur: Alle Zutaten, die ich hier in Oxenfurt um diese Jahreszeit bekomme, sind entweder getrocknet oder konserviert. Basis für das Gegengift müsste ein Enzym aus der Leber der Krabbspinne sein – ich benötige also intakte Lebern und am besten auch einige der Giftdrüsen, um die Wirkung des Enzyms auf das Gift zu testen. Aber es ist unmöglich, so etwas jetzt im Herbst frisch zu bekommen. Ich habe schon sämtliche Händler in Oxenfurt besucht – Fehlanzeige. Und mein Dekan meint, dass ich auch in Novigrad keinen Erfolg haben werde..." Thalia hielt inne, um einen Gedanken zu verfolgen. „Moment mal... Shani, du hast mir doch früher einmal von einem Bekannten von dir erzählt. Einem Hexer. Hast du noch Kontakt zu ihm?"

Shani lächelte. Die Erinnerung an Geralt war noch immer sehr lebendig, wenn er sich auch seit drei Jahren nicht mehr in Oxenfurt gezeigt hatte. Er hatte wohl dann doch noch sein Glück bei dieser Zauberin gefunden, der er schon während der Zeit ihrer kurzen, aber heftigen Affäre verfallen war. Dass das, was sie und Geralt miteinander gehabt hatten, nichts Ernstes werden würde, war Shani von Anfang an klar gewesen. Dennoch hätte sie sich über ein Wiedersehen mit dem weißhaarigen Hexer gefreut... „Leider nein. Aber die Idee, einen Hexer zu beauftragen, ist gar nicht so schlecht. Um diese Jahreszeit hast du vielleicht noch Glück und findest jemanden, der sich auf die Suche nach Krabbspinnen macht."

„Hm... Ich habe noch nie einen Hexer getroffen. Stimmen die Gerüchte denn? Dass das kaltblütige Monsterschlächter sind? Ich meine, ich kann es mir kaum vorstellen, sonst hättest du dich bestimmt nicht mit diesem Geralt abgegeben. Aber diese Mutationen müssen faszinierend sein..."

Wenn Shani an ihre intimen Stunden mit Geralt zurückdachte – ja, faszinierend wäre schon ein passender Ausdruck dafür. Sie lächelte versonnen. „Also, ich kann ja nur für Geralt sprechen, aber kaltblütig ist nun wirklich keines der Worte, mit denen ich ihn beschreiben würde. Schreib doch einfach den Auftrag aus und warte ab, wer sich bei dir vorstellt. Das Angebot zurückziehen kannst du dann immer noch, falls du bei demjenigen ein schlechtes Gefühl haben solltest."

„Du hast Recht." Thalia lächelte schelmisch. „Das klingt doch nach einem brauchbaren Plan..."

Das Herz der Alchemie (The Witcher FF)Where stories live. Discover now