Teil 23 - Wieder vereint

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Skorpions beschlagene Hufe verursachten ein rhythmisches Geräusch auf den Steinen des gepflasterten Weges, der über die Brücke zur Fakultätsinsel der Akademie von Oxenfurt führte. Ein Schwarm Wildgänse flog in Keilformation über die Stadt hinweg, die Rufe der Vögel überdeckt von den Geräuschen der Menschen, die den nahe gelegenen Marktplatz bevölkerten. Wie die Zugvögel, so hatte auch der Hexer sein Winterquartier verlassen, doch sein Weg führte ihn von Norden her zur Stadt am Pontar.

Seit er heute noch vor dem Morgengrauen aufgebrochen war, um Oxenfurt so früh wie möglich zu erreichen, hatte ihn die Aussicht, Thalia in nur wenigen Stunden wiederzusehen, mit Euphorie und Aufregung erfüllt. Immer wieder hatte er sich den Moment ihres Wiedersehens vorgestellt, hatte versucht, sich Worte zurechtzulegen. Doch nun, da er endlich sein Ziel erreicht hatte, verspürte er bei aller Vorfreude auch eine Unsicherheit, die bereits seit mehreren Wochen immer wieder seine Laune getrübt hatte.

Er stieg ab und führte Skorpion am Zügel zum Tor. Wie erwartet, musterten die Wächter ihn kritisch, mit kaum verhohlener Abscheu.

"Wohin will der Hexer?", fragte der linke der beiden Männer, ohne eine Begrüßung voranzustellen.

"Seid gegrüßt. Mein Name ist Eskel und ich wünsche, Professorin van de Wintervoord zu sprechen." Er hoffte, dass er mit seiner Vermutung richtig lag und Thalia inzwischen ihre Professur erhalten hatte.

"So, so, das wünscht er also. Hat er einen Grund für seinen Besuch?"

"Es geht um einen Auftrag für die alchemistische Fakultät", log Eskel. Falls es Thalia unangenehm sein sollte, mit einer fragwürdigen Person wie ihm in Verbindung gebracht zu werden, wollte er ihr einen plausiblen Ausweg offen halten.

"Aha. Na dann. Wartet hier. Ich schicke einen Boten los. Wenn die Frau Professorin Euch sehen will, wird sie nach Euch schicken."

Der Wächter trat durch das Tor und rief offenbar einen Jungen herbei, der die Nachricht an Thalia übermitteln sollte. Der verbliebene Wachmann ließ Eskel dabei keine Sekunde aus den Augen. Als der Wächter vor das Tor zurückkehrte, verzog er leicht herablassend den Mund. Er schien nicht so recht zu glauben, dass der Besuch des Hexers tatsächlich erwünscht war und freute sich offenbar schon darauf, ihn mit deutlichen Worten fortzuschicken.

Eskel zog sich ein paar Schritte zurück und lehnte sich an die Brüstung der Brücke, die den Pontar überspannte und die Akademie mit der Hauptinsel der Stadt verband. Das Wasser glitzerte in der Mittagssonne und floss ruhig in Richtung der nördlichen See. Diese Ruhe wünschte sich Eskel momentan auch für sich selbst - doch ganz entgegen seiner sonstigen Gelassenheit war sein Inneres in Aufruhr. Einerseits dominierte die Vorfreude darauf, Thalia endlich wiederzusehen. In den vergangenen Monaten war kein Tag - wenn er ehrlich zu sich war, keine Stunde - vergangen, in der er nicht an sie gedacht und sie vermisst hatte. Doch zu der freudigen Erwartung hatten sich Zweifel in seinen Gedanken eingenistet. War er zu naiv, wenn er glaubte, dass sie einfach an ihre gemeinsame Zeit in Kaer Morhen würden anknüpfen können?

In seinem Kopf kreisten wieder die selben Gedanken, die ihn bereits in den letzten Wochen beschäftigt hatten.

Hatten die Monate, die seit ihrem Fortgang vergangen waren, etwas zwischen ihnen verändert? Ihr Abschied war sehr emotional gewesen, doch Thalia war im Grunde genommen ein pragmatischer, rationaler Mensch.

Was, wenn der räumliche und zeitliche Abstand dazu geführt hatte, dass sie ihre Beziehung nun in einem anderen Licht sah? Wenn ihr ihre Reputation nun doch zu wichtig war, als dass sie mit einem Mutanten zusammen gesehen werden wollte? Wenn sie zu dem Schluss gekommen war, dass es für sie beide keine Zukunft geben konnte - er ein umherreisender Hexer, der von einem Auftrag zum anderen lebte, sie eine angesehene Wissenschaftlerin, die in höheren Kreisen verkehrte...

Das Herz der Alchemie (The Witcher FF)Where stories live. Discover now