Teil 22 - Im Verborgenen

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Das Gefängnis von Oxenfurt befand sich ein Stückweit außerhalb der Stadt, auf einer Insel, umflossen von den Strömungen des Pontar.

Thalia war bereits zeitig aufgebrochen, um sich dort mit den anderen Professoren wie vereinbart zur Mittagsstunde zu treffen. Sie hatte sich ohnehin nicht auf etwas anderes konzentrieren können, so sehr nagte das Bevorstehende an ihr.

Auf ihrem Weg war sie an den ihr so wohl bekannten Häusern, Läden und Gaststuben vorbei gekommen, hatte unter den Menschen, die ihr unterwegs begegneten, vertraute Gesichter ausgemacht - Studenden von der Universität, Händler, bei denen sie regelmäßig einkaufte. Sie alle gingen ganz normal wie immer ihrem Tagewerk nach. Ihre Welt war nach wie vor die gleiche wie am Tag zuvor.

Doch für Thalia hatte sich seit gestern alles geändert. Ihr Verständnis ihrer Profession, der Universität, ihrer Integrität - alles war gestern mit der Ankündigung von Professor Basilius in Frage gestellt worden.

Je mehr sie sich dem Gefängnis näherte, um so schwerer wurden ihre Schritte. Alles in ihr sträubte sich dagegen, in diese Machenschaften involviert zu sein. Und dennoch blieb ihr vorerst keine andere Wahl, als zumindest den Anschein zu erwecken, das selbe Ziel zu verfolgen wie ihre Kollegen.

Ein Wagen überholte sie auf der gepflasterten Straße, die zur Brücke über den Pontar führte. Ein Gefangenentransport, der weitere arme Seelen zu ihrer womöglich letzten Wohnstatt beförderte. Die steinerne Brücke bildete den einzigen Zugangsweg zum Gefängnis, das auf der Insel in der Mitte des Flusses thronte. Ein einschüchterndes, freudloses Bauwerk aus grauem Stein.

Thalia überquerte die Brücke. Vor dem Eingangstor hatten sich bereits zwei der anderen Professoren eingefunden. Marik Yonka und Vincent Laikos hatten gestern auch nicht glücklich bei der Ankündigung des neuen Forschungsauftrages gewirkt. Doch ob die beiden auch willens waren, sich den Wünschen der Akademie - und denen des Königs - entgegenzustellen, stand auf einem ganz anderen Blatt. Sicherlich würden sie keinen offenen Protest riskieren. Aber vielleicht waren sie trotzdem bereit, im Verborgenen Widerstand zu leisten?

Thalia überlegte, wie sie dies in Erfahrung bringen könnte, ohne zu viel von ihrer eigenen Haltung zu dem Auftrag preiszugeben.

"Seid gegrüßt, werte Kollegen." Sie trat zu den beiden Professoren, die sich leise miteinander unterhalten hatten. "Kein angenehmer Ort für eine Zusammenkunft, wie mir scheint..."

"Sicherlich nicht." Marik Yonka, ein hagerer Mann in mittleren Jahren, presste die Lippen aufeinander und atmete tief durch. "Professor van de Wintervoord, uns ist gestern nicht entgangen, dass Ihr diesem Auftrag gegenüber ähnliche Bedenken hegt wie wir..."

Thalias Augen weiteten sich. Offenbar hatten die beiden ihre Reaktion auf die Ausführungen von Professor Basilius bemerkt. Ähnlich, wie sie auch deren Betroffenheit registriert hatte. Bevor Thalia jedoch damit beginnen konnte, ihre Bedenken in Worte zu fassen, setzte Professor Laikos an.

"Professor... Thalia. Wir kennen uns schon recht lange." Der jüngere der beiden Männer blickte sie eindrücklich an. "Während eures Studiums habe ich Euch als ambitionierte Wissenschaftlerin kennengelernt. Mit hohen Prinzipien. Deshalb warne ich Euch: Tut nichts, was die Aufmerksamkeit der Akademie oder unserer Auftraggeber auf Euch lenken könnte. Im negativen Sinne. Habt ihr verstanden, was ich Euch damit sagen will?"

Thalia schluckte. Offenbar hatte sie von den beiden keine Hilfe zu erwarten, auch wenn sie ähnliche Ansichten vertraten wie sie selbst.

"Ja, Professor Laikos. Ich verstehe..."

"Ihr seid Euch hoffentlich im Klaren darüber, was für Euch auf dem Spiel steht. Es geht nicht nur um eure akademische Laufbahn. Also stellt eure Bedenken hintan und gebt euer Bestes. In eurem eigenen Interesse."

Das Herz der Alchemie (The Witcher FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt