Teil 29 - Etwas endet ...

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Mit etwas Mühe schloss Thalia den letzten Haken des Mieders. Auch, wenn die Verletzung im Laufe der letzten Woche fast vollständig verheilt war, so war die linke Schulter doch immer noch etwas steif und bei vielen Bewegungen zog ein leichter Schmerz durch Thalias Arm bis in die Fingerspitzen.

Der in ihrem Körper verbliebene Katalyst-Stein verstärkte nach wie vor die Wirkung des heilungsfördernden Amuletts, das Triss ihr überlassen hatte. Die Vorstellung, für den Rest ihres Lebens einen Fremdkörper in sich zu beherbergen, löste in Thalia leichtes Unbehagen aus - jedoch könnte die magieverstärkende Wirkung des Steins sich auch später noch als nützlich erweisen. Sobald die Heilung abgeschlossen wäre, würde sie ein wenig mit Zeichen und vielleicht sogar anderen Zaubern experimentieren - falls eine der magiekundigen Damen sich dazu bereit erklären sollte, ihr etwas beizubringen. Eine fähige Zauberin würde wohl nie aus ihr werden, aber für kleine, im Alltag nützliche Anwendungen würde es möglicherweise reichen.

Das grüne Kleid war eines der wenigen Kleidungsstücke in ihrer Reisetasche, das nicht nur praktisch, sondern auch einigermaßen ansehnlich war. Triss hatte ihr angeboten, sich an ihrer Garderobe zu bedienen. Doch obwohl Thalia seit ihrer Expedition mit Eskel deutlich schlanker geworden war, wies ihre Figur dennoch mehr Rundungen auf, als die schlanke Gestalt der Zauberin. Deshalb war sie auf die Garderobe angewiesen, die sie für ihre Reise nach Toussaint eingepackt hatte. Vor ihrer Abreise nach Corvo Bianco hatte Yennefer sie bereits in leicht abfälligem Ton darauf aufmerksam gemacht, dass Thalias Stil, sich schlicht zu kleiden, im Herzogtum auf wenig Verständnis stoßen würde. Sobald sie dort waren, würde sie sich wohl den dortigen Gepflogenheiten entsprechend eine neue Garderobe zulegen müssen, um in Beauclair nicht negativ aufzufallen.

Der Ausschnitt des Kleides war zum Glück dazu geeignet, die Narbe zu verdecken, die unterhalb von Thalias Schlüsselbein gut sichtbar war. Der Bolzen der Armbrust hatte nicht nur mit Wucht ihr Schulterblatt durchschlagen, sondern war sogar vorn wieder ausgetreten und hatte ihren Körper komplett durchbohrt. Thalia schauderte beim Gedanken an die Schmerzen und die Angst, die sie empfunden hatte, bevor die Bewusstlosigkeit sie gnädigerweise umfangen hatte.

Das heilende Amulett lag wie ein Schmuckstück an einer schmalen Kette auf ihrer Brust. Ihr Haar hatte sie in ihrer üblichen Art locker im Nacken zusammengesteckt. Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel zog sie ihre kurzen Stiefel an und verließ das Gästezimmer, das sie seit ihrer Ankunft in Triss' Haus zusammen mit Eskel bewohnte.

Auf dem Weg ins Untergeschoss hörte sie Keira und Lambert, die sich in der Küche unterhielten und offenbar über irgendetwas geteilter Meinung waren. Obwohl Lambert oft seine gewohnt zynische Art an den Tag legte und mit Spötteleien in Keiras Richtung nicht geizte, schien er doch weitaus zufriedener zu sein, als Thalia ihn in Kaer Morhen je erlebt hatte. Seine Verletzungen waren nach der Behandlung durch die Zauberinnen und Shani noch zügiger geheilt als ihre eigene. Doch die Zeit im Verlies schien nicht spurlos an ihm vorübergegangen zu sein. Während der gemeinsamen Abende war er ungewohnt schweigsam gewesen und Thalia hatte ihn öfters nachdenklich gesehen, den Blick abwesend in die Flammen des Kaminfeuers gerichtet.

Thalia ging weiter zur Hintertür des Gebäudes und überließ Lambert und Keira ihrem offenbar nicht ganz ernst gemeinten Disput. Im Hof sog sie die warme Frühlingsluft tief in ihre Lungen - dankbar, dass sie wieder ohne Schmerzen atmen und den Duft der blühenden Büsche genießen konnte.

Vincent Laikos und Marik Yonka unterhielten sich mit Triss, die gepackten Reisetaschen lagen zu ihren Füßen auf dem Kiesweg. Eskel saß etwas abseits auf einer Bank und ölte eins seiner Schwerter.

Thalia nickte Triss grüßend zu und trat zu ihren Kollegen.

"Vincent. Marik. Ihr wollt also wirklich heute aufbrechen?"

Das Herz der Alchemie (The Witcher FF)Where stories live. Discover now