Teil 4 - Aufbruch nach Kaedwen

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„Verdammt, das muss doch passen..." Thalia versuchte, noch ein weiteres Buch in die Satteltasche zu stecken. Erst, nachdem sie alles darin bereits Verstaute noch einmal ausgepackt und dann neu arrangierte hatte, schaffte sie es, alles unterzubringen. Sie wollte nur wenige persönliche Dinge mitnehmen, auch ihre Reisegarderobe hielt sich in Grenzen. Es fiel ihr aber schwer, sich für die richtigen Bücher zu entscheiden, die sie für ihre Arbeit benötigen würde. In die Taschen, die das Packpferd tragen sollte, hatte sie bereits einige Instrumente und alchemistische Substanzen gepackt, die sie in Aedd Gynvael wahrscheinlich nicht finden würde.

Ganz unten in ihrer Satteltasche lag auch der Prototyp der "Feuerarmbrust", wie einer ihrer Kollegen die Metallkonstruktion getauft hatte, an der Thalia seit einiger Zeit im Auftrag der Akademie arbeitete. Falls sie schneller als erwartet mit ihrer Forschung fertig werden sollte, konnte sie die Zeit, die sie bis zur Rückreise im Norden warten musste, sinnvoll nutzen und das Gerät weiterentwickeln.

Es war schon spät und Thalia wusste, dass sie nun eigentlich schlafen sollte, um für den morgigen Tag ausgeruht zu sein. Doch sie war zu aufgeregt, um auch nur an Schlaf zu denken. Auch ein Lavendelsud, den sie gern vor dem Schlafengehen trank, hatte daran nichts geändert.

In wenigen Stunden würde sie zu einer wochenlangen Reise aufbrechen, zwei Wächter und ein Hexer als einzige Gesellschaft. Als der Mutant ihr plötzlich in ihrem Labor gegenübergestanden hatte, hatte sie sich sehr beherrschen müssen, um sich ihren Schrecken nicht anmerken zu lassen. Die grauenhaften Gesichtsverletzungen des hünenhaft großen Mannes zogen sofort jeden Blick auf sich. Seine kräftige Statur sorgte zusätzlich dafür, dass er beängstigend und einschüchternd wirkte. Das Gespräch mit ihm hatte sie ihren ersten Eindruck jedoch revidieren lassen.

Immer wieder schweiften ihre Gedanken zu dem Moment ab, in dem sie die Hand des Hexers berührt hatte. Seine Haut schien eine Art Vibration auszustrahlen, die bei ihrem Händedruck ein sanftes, angenehmes Prickeln hinterließ. Von solch einem Phänomen hatte sie noch nie gehört. Vielleicht handelte es sich dabei um eine Eigenart der Hexer? Sie sollte Shani danach fragen...

„Klopf, Klopf."

Thalia drehte sich um. Shani stand vor der offenen Tür zu Thalias Kammer. „Das ist ja ein Zufall. Ich habe gerade an dich gedacht."

„Sag, packst du etwa? Was hast du vor?"

„Ich gehe doch auf die Expedition, von der wir letztens gesprochen haben."

„Bitte? Du willst selbst reisen? Ich dachte, du suchst nur einen Hexer, der dir die Organe besorgt und bereitest hier alles für die Experimente vor..."

„Ja, das hatte ich eigentlich auch so geplant, aber... Ich muss sichergehen, dass das Gift in hoher Konzentration gewonnen werden kann und das kann ich nur, wenn ich die Drüsen so frisch wie möglich verarbeite und die Leberenzyme extrahiere, bevor sich die Bestandteile zersetzen. In Aedd Gynvael kann ich in Ruhe in Miros Labor arbeiten. Er hat mir schon auf meine Nachricht geantwortet. Und mit etwas Glück kehre ich dann mit brauchbaren Ergebnissen zurück, sobald die Gebirgspässe nach dem Winter wieder passierbar sind."

Shani sah sie fragend an. "Miro? Meinst du Miroslav Kajczak? Der lebt jetzt in Aedd Gynvael? Ich wusste gar nicht, dass es diesen komischen Kauz so weit in den Norden verschlagen hat. Widmet er sich immer noch der... wie nannte er das damals noch gleich? 'Herstellung von Substanzen, die das Bewusstsein in höhere Ebenen der Wahrnehmung versetzen'?"

Thalia seufzte. „Vermutlich. Aber so genau will ich das eigentlich gar nicht wissen. Vielleicht will ich durch die Reise auch beweisen, dass ich nicht die weltfremde Laborhexe geworden bin, für die mich viele hier an der Akademie halten. Eigentlich will ich es vor allem mir selbst beweisen... Aber mittlerweile, wo es morgen schon losgeht, habe ich Angst vor der eigenen Courage."

Das Herz der Alchemie (The Witcher FF)Where stories live. Discover now