Teil 12 - Kaer Morhen

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Die halb verfallene Festung war im Dunkel der Nacht mit bloßem Auge kaum auszumachen. Erst, als sie nur noch wenige hundert Meter von dem alten Bauwerk entfernt waren, konnte Thalia vage Umrisse ausmachen. Keine Fackel erhellte den Weg, keine Laterne beleuchtete das Tor, durch kein Fenster drang ein Lichtschein nach außen. Kaer Morhen wirkte nur wenig einladend. Doch Thalia fühlte unendliche Erleichterung, als sie über die Brücke ritten und das große Tor zum Innenhof passierten.

Auch im Hof war es stockfinster, was Lambert offensichtlich nicht daran hinderte, sich zu orientieren. Thalia hatte aufgehört, sich über die Nachtsichtfähigkeit der Hexer zu wundern. Schon auf dem Weg zur Festung hatte sie um sich herum nur noch vage Umrisse wahrnehmen können, während Lambert problemlos die Führung ihrer kleinen Kolonne übernommen hatte.

"Steigt vom Pferd ab und wartet hier", hörte sie ihn nun ganz in ihrer Nähe sagen. Er hatte eine rauhe, leicht kratzige Stimme - ganz anders als Eskel. Als sie abgestiegen war, führte er offenbar Arenaria und sein eigenes Pferd ein Stück weiter, während Thalia weiterhin Skorpions Zügel hielt. Sie tastete blind nach Eskel, der über Skorpions Rücken lag und immer noch bewusstlos war. Als sie seine Halsschlagader gefunden hatte und seinen kräftigen Puls fühlte, atmete sie erleichtert auf. Zum Glück war es noch nicht zu spät.

Von weitem sah sie einen Lichtschein näher kommen. Lambert hatte - wohl ihretwegen - eine Fackel entzündet und kam nun mit großen Schritten auf sie zu.

"Gebt mir die Zügel, wir bringen ihn in die Halle", erklärte Lambert. Er reichte ihr die Fackel und führte selbst Skorpion den Weg zum Hauptgebäude hinauf. Thalia folgte eilig.

Oben angekommen, hob Lambert Eskel vom Pferderücken und legte sich dessen Arm um die Schultern. Thalia beeilte sich, die Portaltür zu öffnen, sodass Lambert den Bewusstlosen ungehindert hineintragen konnte.

"Merigold!" Lamberts Stimme hallte in der großen Halle wider. Er legte Eskel auf eines der Betten, die an der Wand in der Nähe des Kamins standen. Das lodernde Feuer spendete eine angenehme Wärme. Thalia steckte die Fackel in eine Halterung an der Wand und trat sofort zu Eskel hinüber.

"Merigold!"

Thalia berührte Eskels Hand - seine Haut war kalt, jedoch spürte sie deutlich die Emanation, die von ihm ausging. Sie öffnete die Verschlüsse des Gurtes, der über seiner Brust lag und legte die beiden Schwerter neben seinem Bett auf den Boden.

Sie wollte sich gerade Lambert zuwenden, um ihn zu fragen, wie es nun weitergehen solle, als dieser zum dritten Mal aus voller Kehle den Namen der Zauberin rief.

"Ja, ja, ich komme ja schon", hörte sie eine leise Stimme irgendwo aus dem hinteren Bereich der Halle, von wo eine Treppe in höhere Stockwerke führte.

Als die Gerufene sich näherte, kam Thalia nicht umhin, die Frau ob ihrer Erscheinung zu bewundern.

Die Zauberin trug nur ein leichtes, langes Nachtgewand, das an ihr jedoch aussah wie eine königliche Robe, die eine atemberaubende Figur erahnen ließ. Das rote Haar schien perfekt frisiert und fiel als feurige Mähne um die zarten Schultern der Frau. Obwohl sie augenscheinlich schon zu Bett gegangen war, betonten Lidstrich und Wimperntusche die strahlenden, kornblumenblauen Augen, die sinnlichen Lippen glänzten. Sie bewegte sich mit solch einer Grazie, dass sie eher zu schweben als zu gehen schien. Thalia fühlte sich schlagartig unscheinbar wie eine Maus. Hoffentlich standen die Fähigkeiten dieser Frau ihrer Schönheit in nichts nach und sie war in der Lage, Eskel zu helfen.

Als die Zauberin sah, wer dort auf dem Bett lag, weiteten sich ihre Augen und sie beschleunigte ihren Schritt. "Eskel! Was ist mit ihm passiert?"

Thalia erklärte ihr, was sie vorhin auf dem Weg bereits Lambert erzählt hatte. Die Miene der Zauberin verfinsterte sich während Thalias Ausführungen.

Das Herz der Alchemie (The Witcher FF)Onde histórias criam vida. Descubra agora