Teil 15 - In greifbarer Nähe

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Sonnenlicht fiel durch die großen Fenster der Bibliothek auf die hölzernen Tische und Sitzbänke und ließ feine Staubfäden in der Luft glänzen. Den glitzernden Partikeln gesellten sich bald neue hinzu, als Thalia ein weiteres verstaubtes Buch aus einem der großen Wandregale zog. Auf einem Tisch in ihrer Nähe stapelten sich bereits einige alchemistische Lehrbücher der Wolfsschule, gemeinsam mit Bestiarien und medizinischen Abhandlungen. Die Bibliothek von Kaer Morhen beherbergte neben den für Außenstehende geheimen Schriften der Hexer auch eine große Auswahl an Lehrbüchern der verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen. Für Thalia ein unermesslicher Schatz. Eine vom Umfang her größere Buchsammlung hatte sie bisher lediglich in Oxenfurt gesehen.

Irgendwo in diesen unzähligen Büchern verbarg sich vielleicht der Schlüssel zur Lösung ihres Problems. Genau die richtigen unter den unzweifelhaft ebenfalls interessanten, jedoch momentan für sie nutzlosen Büchern herauszufinden, stellte jedoch ein Dilemma dar. Denn es gab weder eine vollständige Auflistung aller hier lagernder Bücher, noch ließ die Sortierung der Werke in ihren Regalen eindeutige Schlüsse auf die Fachrichtung zu. Thalia blieb nichts anderes übrig, als alle dem Titel nach in Frage kommenden Bücher einer kurzen Inspektion zu unterziehen. Ein langwieriges Unterfangen.

Wenn ihr mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte, hätte Thalia jede Minute in dieser Bibliothek genossen. Jedoch barg nun jedes Buch, das sie zur Hand nahm, die Gefahr, sie von ihrem eigentlichen Ziel abschweifen zu lassen - zu interessant waren manche Werke, auch wenn sie ihr bei ihrer Problemstellung nicht weiterhelfen würden.

Ein schnelles Durchblättern offenbarte Thalia, dass die Abhandlung, die sie soeben aus dem Regal gezogen hatte, einer genaueren Betrachtung wert war. Aber nach mehreren Stunden, die sie nun schon in der Bibliothek zugebracht hatte, benötigte sie dringend eine Pause. Die Buchstaben der verschnörkelten Schrift auf den vergilbten Seiten begannen schon vor ihren Augen zu verschwimmen. Also legte sie das Buch neben den Stapel, der sich bereits angesammelt hatte und verließ die Bibliothek. Etwas frische Luft würde schnell wahre Wunder wirken und nicht nur ihre müden Augen, sondern auch ihren Geist wieder beleben.

In ihren wollenen Mantel gehüllt betrat sie wenig später den Wehrgang und stieg über eine kleine Treppe zu einem Balkon am Ostturm hinauf. Die Aussicht auf die Berge war atemberaubend. Die Gipfel waren bereits von Schnee gekrönt. Die kühle Luft zeugte deutlich davon, dass der Winter nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Für Thalias Empfinden hatte er schon Einzug gehalten, jedoch hatte Lambert sie heute Morgen erst darauf aufmerksam gemacht, dass es hier im Gebirge noch viel kälter werden würde. Der Hexer hatte für die Umschreibung natürlich wieder einmal deftige Worte gefunden. Nicht mehr lange, und die Straßen Richtung Oxenfurt würden für viele Wochen nicht mehr passierbar sein.

Auch wenn Thalia auf dem richtigen Weg war, so würde ihre Forschungsarbeit noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Triss hatte ihr angeboten, sie per Portal nach Oxenfurt zu schicken, damit sie nicht die beschwerliche Reise per Pferd würde bewältigen müssen. Dadurch würde sie den Zeitverlust von mindestens zwei Wochen vermeiden - ganz abgesehen von den möglichen Gefahren und sicheren Unannehmlichkeiten einer solch langen Reise. Vor ihrer Rückkehr wollte Thalia jedoch in der Bibliothek von Kaer Morhen weiter nach möglichen Hinweisen auf die Lösung des Problems suchen.

Anstelle der Mutagene, die sie dem Trank für Eskel zugegeben hatte, benötigte ein gewöhnlicher menschlicher Organismus einen anderen Katalysator, um die Enzyme zu verarbeiten. Die Chancen, die Lösung hier zu finden, mit Zugang zu unzähligen Büchern mit Hexerwissen sowie auch den gängigen Standardwerken der Alchemie, schätzte Thalia höher ein, als die Erfolgswahrscheinlichkeit in Oxenfurt. Deshalb hatte sie sich bei Triss für das Angebot bedankt und ihr versichert, dass sie sehr gern darauf zurückkommen werde, sobald sie mit ihrer Forschung brauchbare Ergebnisse erzielt habe. Dass die Miene der Zauberin daraufhin leichten Missmut gezeigt hatte, hatte sie sich nicht nur eingebildet, da war sich Thalia sicher.

Das Herz der Alchemie (The Witcher FF)Where stories live. Discover now