Teil 14 - Klare Worte

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Die Klinge fuhr in einer geraden Linie über seine Kehle, verursachte dabei ein leises, kratzendes Geräusch. Eskel fuhr kurz prüfend mit dem Daumen über seine Wange. Die Rasur an den Rändern seiner Narbe erforderte besondere Sorgfalt, aber durch die jahrelange Übung ging ihm die Prozedur zügig von der Hand. Zufrieden mit dem Ergebnis reinigte er die Klinge in der Waschschüssel und klappte das Rasiermesser zusammen.

Es klopfte an der Tür. Eskel trocknete seine Haut mit einem Handtuch, bevor er dem Besucher öffnete. Auch, wenn er nicht die leisen Schritte auf der Treppe gehört hätte, würde ihn der Anblick der Person vor seiner Tür nicht überraschen. Triss.

Sie lächelte ihn an, schön wie immer. "Guten Morgen, Eskel. Wie geht es dir?"

Eskel öffnete die Tür ein Stück weiter, um sie einzulassen. "Gut. Besser noch als gestern." Eskel griff nach seinem Hemd und zog es über.

"Wenn es dir recht ist, würde ich gern noch einmal prüfen, ob dein Körper das Gift weiter abgebaut hat."

"Bitte, wenn du möchtest."

Eskel nahm auf dem Stuhl neben seinem Bett Platz. Triss legte ihm eins ihrer magischen Amulette um und intonierte leise einen Spruch. Als sie ihre Hand auf seinen Brustkorb legte, dicht oberhalb des Herzens, drang das sanfte Glühen, das von ihren Fingerspitzen ausging, in seinen Körper ein. Eskel war mittlerweile an das prickelnde Gefühl der magischen Sondierung gewöhnt. In den letzten Tagen hatte Triss ihn immer wieder dieser Prozedur unterzogen. Es war nicht unangenehm - im Gegenteil. Jedoch fragte Eskel sich einmal mehr, ob diese häufigen Kontrollen wirklich sein mussten, da er sich merklich besser fühlte. Aber um Triss nicht vor den Kopf zu stoßen, sagte er nichts und ließ sie gewähren.

"Das Gift ist anscheinend vollständig aus deinem Körper verschwunden. Ich kann es nicht mehr spüren und das Amulett reagiert auch nicht mehr. Du hast es geschafft, Eskel." Triss zog lächelnd die Hand zurück.

Eskel knöpfte sein Hemd zu. "Ich fühle mich auch schon wieder richtig gut. Höchste Zeit, dass ich aus diesem Zimmer herauskomme..." Er stand auf und griff nach seinem Wams. Nach drei Tagen im Bett, in denen er sich von den Nachwirkungen der Vergiftung erholt hatte, wollte er jetzt so schnell wie möglich sein Krankenlager verlassen.

"Vorsicht, Eskel. Du musst dich immer noch erholen. Das Gift hatte schon sehr viel Schaden angerichtet. Bis dein Körper sich vollständig regeneriert hat, wird es noch ein paar Tage dauern", warnte Triss.

"Keine Sorge, ich passe auf, dass ich mich nicht übernehme. Aber wenn ich auch nur noch einen weiteren Tag in diesem Bett zubringen muss, werde ich wahnsinnig. Etwas Bewegung wird mir nicht schaden."

Als er mit Triss zusammen in die große Halle trat, war dort Lambert gerade dabei, eines seiner Hemden zu flicken. Er saß auf der breiten Bank am Esstisch, die Füße bequem auf einen Schemel gelegt. Durch den weißen Stoff des Hemdes, das auf seinem Schoß lag, zog sich ein langer Riss, den er offenbar mit wenig Geduld und Geschick schloss. Als er Triss und Eskel hörte, blickte er auf. 

"Hey! Wer ist denn da von den Toten auferstanden?" Lambert legte seine Näharbeit zur Seite, stand auf und umarmte Eskel herzlich. "Schön, dich wieder auf deinen Beinen zu sehen, Bruder. So halbtot hast du noch gruseliger ausgesehen, als du es normalerweise schon tust."

"Tja, meinen Anblick wirst du wohl noch etwas länger ertragen müssen", konterte Eskel, der die Umarmung erwiderte. "Ist Thalia im Labor?"

In den letzten Tagen hatte sie ihn immer nur kurz an seinem Krankenbett besucht. Anscheinend war sie sehr in ihre Arbeit vertieft und verbrachte die meiste Zeit im Labor von Kaer Morhen. Bei ihren Besuchen hatte sie sich immer sehr zurückhaltend gezeigt - was möglicherweise auch daran lag, dass jedes Mal Triss zugegen gewesen war. Vielleicht fühlte Thalia sich durch Triss' Anwesenheit verunsichert. Dass sie großen Respekt vor ihr hatte, war unübersehbar. Aber Eskel hatte Triss gegenüber nicht unhöflich sein wollen, indem er sie bat hinauszugehen.

Das Herz der Alchemie (The Witcher FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt